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Wieder drunter und drüber

Auf Nepals politischer Bühne dominiert erneut die Ungewißheit

Von Hilmar König *

In Nepal geht es, wie befürchtetet, wieder drunter und drüber. Auf der politischen Bühne dominiert Ungewißheit. Und das drei Tage vor Ablauf der Frist, die das höchste Gericht des Landes für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung gesetzt hat. Am kommenden Sonntag läuft nach richterlichem Urteil die Amtszeit der 2008 gebildeten verfassunggebenden Versammlung, wie das provisorische Parlament offiziell heißt, ab. Bis dahin sollen die Volksvertreter den Verfassungsentwurf, an dem immer noch fieberhaft gearbeitet wird, verabschiedet haben. Schaffen sie diese Aufgabe nicht pünktlich, wären Neuwahlen oder ein Referendum die Konsequenz.

Am Dienstag kamen die in der Regierung der nationalen Einheit tätigen Vertreter der politischen Hauptparteien zu der Erkenntnis, der Termin sei nicht zu halten. Sie beschlossen eine Verlängerung der Lebensdauer des Parlaments um drei Monate. Doch dazu muß die provisorische Verfassung ergänzt werden. Darüber wird gegenwärtig noch debattiert. Zwei der Hauptparteien, der Nepali Congress und die KP Nepals (Vereinte Marxisten–Leninisten), machten inzwischen einen Rückzieher. Sie wollen nun doch keine nochmalige Verlängerung der Legislaturperiode des Parlaments. Und sie fordern energisch den Rücktritt des Premiers Baburam Bhattarai, der zugleich stellvertretender Chef der Vereinten KPN (Maoistisch) ist. Das wiederum lehnen die Maoisten und die Madhesi-Allianz ab. Sie argumentieren, es sei unmöglich, in der verbleibenden Zeit die Arbeiten am Verfassungstext abzuschließen. Der Regierungschef werde erst dann seinen Job quittieren, wenn die Verfassung vorliegt. Der NC erwägt zudem, seine Mitwirkung in der Einheitsregierung zu kündigen. Somit liegt wieder einmal eine klassische Pattsituation vor.

Unterdessen macht die Bevölkerung gegen das Machtgerangel der politischen Parteien mobil. Am Mittwoch demonstrierten in Kathmandu Zehntausende Bürger. Sie riefen »Nepal, Nepal, Nepal« und formulierten auf Transparenten ihren Wunsch nach dauerhaftem Frieden und nach der neuen Verfassung. Von Montag bis Mittwoch waren im Rahmen eines Generalstreiks andere Bevölkerungsgruppen auf den Straßen der Hauptstadt und protestierten teils gewaltsam gegen die Bildung von elf Provinzen. Darauf hatten sich vor einigen Tagen die Politiker geeinigt, ohne sich über Einzelheiten dazu im klaren zu sein. Nicht einmal die Namen der Provinzen vermochten sie festzulegen.

Die Provinzbildung sowie die Einigung über eine gemischte Regierungsform mit einem vom Volk gewählten Staatspräsidenten und einem vom Parlament gewählten Premier waren als »Durchbruch« bei der Ausarbeitung des Verfassungstextes bewertet worden. Dinesh Tripathi, ein Verfassungsexperte in Kathmandu, erklärte am Rande der Kundgebung am Mittwoch: »Die Menschen hegen die falsche Vorstellung, Föderalismus würde die Nation spalten. Richtig ist, daß er dazu beiträgt, die Bürgerrechte zu gewährleisten.« Aber Föderalismus auf der Basis hinduistischer Kasten sowie von Ethnien sei dem Land nicht dienlich, meinte Tripathi.

Beim Höchsten Gerichtshof gingen unterdessen vier Beschwerden ein. Sie bezeichnen die angestrebte Ergänzung der Verfassung und in deren Folge eine Fortsetzung der gegenwärtigen Volksvertretung über den 27. Mai hinaus als verfassungswidrig und als eine grobe Mißachtung der juristischen Autorität. Nun scheint sich eine Konfrontation zwischen dem Gericht und der Regierung kaum noch verhindern zu lassen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 25. Mai 2012


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