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Zehn Nullrunden in drei Monaten

Nepals Parlament bemüht sich weiter vergeblich um einen neuen Premier

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Es kam so, wie es alle erwartet hatten: Auch die zehnte Runde, einen neuen Regierungschef Nepals zu wählen, brachte am Mittwoch (6. Okt.) im Verfassungskonvent, dem provisorischen Parlament, keine Entscheidung. Der einzige Bewerber, der Fraktionschef der bürgerlichen Partei Nepali Congress (NC), Ram Chandra Paudel, fiel erneut mit Pauken und Trompeten durch. An der Abstimmung nahmen nur 156 der insgesamt 601 Abgeordneten teil. Davon votierten 109 für Paudel.

Erforderlich gewesen wäre eine einfache Mehrheit. Von vornherein stand jedoch fest, daß es sich um eine Farce handelt, denn die beiden anderen großen Parteien - die Vereinte KP Nepals (Maoistisch) und die KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) - boykottierten die Wahl ebenso wie die Allianz der Madhesi-Parteien. Damit schmorte der NC sozusagen im eigenen Saft. Eine Stimmenmehrheit war ausgeschlossen. Das gleiche Ergebnis wurde am Donnerstag für die elfte Abstimmungsrunde erwartet.

Am 30. Juni war der Premier Madhav Kumar Nepal zurückgetreten, angeblich um den Weg für eine Regierung der nationalen Einheit, für einen politischen Konsens aller politischen Parteien zu ebnen. So sollte die schwelende tiefe politische Krise überwunden werden. Wegen ihr konnten bislang der Staatshaushalt nicht verabschiedet und die ohnehin schon arg verzögerte Ausarbeitung der Verfassung nicht fortgesetzt werden. Madhav Kumar Nepal steht seitdem einer Übergangsregierung vor. Alle Bemühungen der politischen Parteien, eine Regierung der nationalen Einheit auf die Beine zu bringen, scheiterten. Auch der anschließende Versuch, das Parlament mit der Wahl eines Regierungschefs zu betrauen, lief ins Leere. Anfangs stand als Gegenkandidat zu Paudel der Chef der VKPN (Maoistisch) Pushpa Kamal Dahal Prachanda, zur Wahl. Er erhielt im Schnitt die doppelte Anzahl von Ja-Stimmen. Aber sie reichten nicht zur einfachen Mehrheit. Nach der achten gescheiterten Wahlrunde stieg Prachanda aus, um der Farce ein Ende zu setzen.

Alle Appelle an Paudel, ebenfalls seine Kandidatur zurückzuziehen, lehnt der NC bislang ab. Er stellt für einen solchen Schritt Bedingungen: Die Maoisten, die mit Abstand die stärkste Fraktion im Parlament stellen, sollten sich dem Friedensprozeß verpflichtet fühlen. Sie sollten einen übersichtlichen Plan für die Integration und Rehabilitation ehemaliger maoistischer Rebellen vorlegen, das während des zehnjährigen Krieges eroberte Land und Privateigentum zurückgeben und die paramilitärischen Strukturen ihrer Jugendorganisation auflösen. Die VKPN (ML) denkt jedoch nicht daran, sich erpressen zu lassen. Wiederholt deutete ihre Führung an, wenn man keine politische Lösung für die Krise findet, werde sie ihre Kader und Anhänger zu anderen Kampfformen mobilisieren.

Jhala Nath Khanal, der Vorsitzende der Marxisten-Leninisten, erklärte in dieser Situation: »Der politische Konsens verzögert sich wegen der Hartleibigkeit des Nepali Congress. Die Maoisten sind gleichfalls dafür verantwortlich.« Auf einem anderen Blatt steht allerdings, daß zwischen Khanals und Prachandas Partei tiefe Meinungsverschiedenheiten bestehen. Sie äußerten sich besonders drastisch darin, daß die Marxisten-Leninisten Prachandas Kandidatur als Premier nicht unterstützten. Ihre Mitschuld an der gegenwärtigen Situation steht außer Zweifel. Beide Parteien sitzen im Bestreben um ein »Lösungspaket« mit dem NC seit Wochen am Verhandlungstisch. Aber eine Einigung oder Annäherung ist hier ebensowenig in Sicht wie im Parlament.

* Aus: junge Welt, 8. Oktober 2010


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