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Der König läßt scharf schießen - Und tritt zurück (Letzte Meldung)

Drei Tote in Kathmandu. Zehntausende demonstrieren trotz Ausgangssperre


Letzte Meldungen:

Massendemonstrationen

In Nepal haben am Freitag erneut zehntausende Menschen der Ausgangssperre getrotzt und gegen König Gyanendra protestiert. Zwischen 10.000 und 20.000 Menschen zogen am Freitagnachmittag in einem Protestmarsch über die Ringstraße der Hauptstadt Kathmandu, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Ein Mitarbeiter der nepalesischen Menschenrechtsgruppe INSEC sprach von mehr als 100.000 Teilnehmern. Der Protestzug sei etwa acht Kilometer lang. Die größte Kundgebung fand im Westen von Kathmandu statt, der außerhalb des Sperrgebietes liegt. Aber auch innerhalb des Sperrgebietes gingen tausende Menschen auf die Straße und machten ihrem Unmut Luft. Die Sicherheitskräfte schritten nicht ein. König Gyanendra wollte am Abend eine Fernsehansprache halten. (AFP, 21. April, 13.34 Uhr)

Machtübergabe angekündigt

Nach mehr als zweiwöchigem Generalstreik und Massenprotesten in Nepal hat König Gyanendra am Freitag die Wiedereinsetzung demokratischer Institutionen versprochen. Die Macht solle «von heute an dem Volk zurück gegeben werden», sagte Gyanandra, der vor mehr als einem Jahr die Alleinherrschaft übernommen hat. (AP, 21. April, 15.30 Uhr)



Der König läßt scharf schießen

Von Hilmar König, Neu-Delhi*

Drei Menschen starben am Donnerstag in Kathmandu auf offener Straße durch Kugeln aus Polizeigewehren. Dutzende erlitten Verletzungen. Sie hatten es gemeinsam mit Zehntausenden gewagt, trotz der von einem riesigen, martialischen Aufgebot an Uniformierten brutal überwachten Ausgangssperre gegen die Diktatur des nepalesischen Königs Gyanendra zu demonstrieren. Das Verbot, die Häuser zu verlassen, hatte Donnerstag nacht um 2 Uhr begonnen, dauerte zunächst bis 20 Uhr und galt auch für Diplomaten, UNO-Personal, Medienvertreter und Beobachter von Menschenrechtsorganisationen. Offenbar versucht das Regime, die Proteste unter Ausschluß der Öffentlichkeit niederzuschlagen – auf seine Art und Weise.

Aus den umliegenden Dörfern hatten sich am Donnerstag morgen zunächst mehr als 40000 Menschen auf den Weg in die Hauptstadt des Himalaya-Staats gemacht. Auf einer Hauptstraße blockierten nach Angaben von Augenzeugen Polizisten den Weg. Sie feuerten zunächst Tränengas ab, später auch Gummigeschosse und scharfe Munition. In Kathmandu stiegen Bewohner auf die Dächer ihrer Häuser und schlugen Töpfe und Pfannen gegeneinander. Sprüche, die vor Jahresfrist noch undenkbar gewesen wären, wurden gerufen: »Der König muß weg!« oder sogar »Hängt den Monarchen!«

Die Opposition aus einem Sieben-Parteien-Block (SPA), dessen Aktionen auch von der maoistischen Guerilla unterstützt werden, intensiviert ihren Widerstand und findet unaufhörlich Zulauf. So verstärkt sich der Eindruck, daß die Tage des Herrschers, der im Februar 2005 alle Macht an sich riß, gezählt sind. Er steht mit dem Rücken zur Wand und überlebt nur mit Hilfe der Armee. Deshalb zielt ein wesentlicher Teil des jüngsten Appells der SPA auf Soldaten und ihre Angehörigen: Sie sollten sich dem Volk anschließen. Zumindest in der westlich von Kathmandu gelegenen Stadt Nepalganj fruchtete der Aufruf offenkundig. In Berichten hieß es, Familienmitglieder von Soldaten wären erstmals mit auf die Straße gegangen. Die SPA rief zudem zum zivilen Ungehorsam auf, Steuerzahlungen zu verweigern, Überweisungen von im Ausland beschäftigten Landsleuten zu stornieren und die internationale Hilfe zu unterbrechen.

Noch klammert sich Gyanendra mit rigoroser Gewalt an die Macht, getreu seinem Schwur beim Amtsantritt nach der Ermordung seines Bruders Birendra vor fünf Jahren: »Ich werde kein schweigsamer Herrscher sein.« Er läßt auf Wehrlose schießen, knüppeln und Tränengasgranaten werfen. Seit dem 6. April kamen in verschiedenen Landesteilen insgesamt 13 Menschen ums Leben, sieben allein am Mittwoch und Donnerstag. »Die Ereignisse zeigen, wie sehr das königliche Regime in die Ecke gedrängt ist. Es wird paranoid. Die Volksbewegung aber wächst und breitet sich aus«, erklärte Dhruv Adhikary vom unabhängigen Presseinstitut Nepals.

* Aus: junge Welt, 21. April 2006


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