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Nepal vor der Präsidentenwahl

Am Samstag will verfassunggebende Versammlung nach Abschaffung der Monarchie ein Staatsoberhaupt wählen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Am Mittwoch sollte in Nepals verfassunggebender Versammlung die mehrtägige Wahl eines Staatspräsidenten und dessen Stellvertreters beginnen. Bis zum späten Nachmittag aber lagen noch keine Anträge vor. Dabei mangelt es nicht an Bewerbern. Vielmehr konnten sich die politischen Parteien wiederum nicht einigen. Dadurch gerät nun auch der Zeitplan für die Wahl ins Wanken. Am Samstag sollte immerhin schon der Wahlakt über die politische Bühne gehen, am Nachmittag der Sieger feststehen. Eine einfache Mehrheit der Abgeordneten im Verfassungskonvent, der zugleich als vorläufiges Parlament fungiert, genügt, um die Wahl zu entscheiden. Erhält keiner der Kandidaten eine Mehrheit, gibt es eine Stichwahl.

Wie schon bei anderen wichtigen politischen Entscheidungen entbrannte auch bei der Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten der jungen Republik ein erbitterter Kampf zwischen den Parteien. Die KP Nepals (Maoistisch) und die KP Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten), die zusammen deutlich über die Hälfte der Abgeordneten stellen, hatten sich schon vor Wochen geeinigt, die beiden Spitzenämter unter sich aufzuteilen. Die KPN(M) soll demnach den Regierungschef und die VML den Staatspräsidenten stellen. Während Einigkeit darüber besteht, daß Maoistenchef Pushpa Kamal Dahal Prachanda Premier wird, gingen die Meinungen über die Nominierung des Staatsoberhauptes auseinander. Die Marxisten/Leninisten favorisieren ihren früheren Generalsekretär Madhav Kumar Nepal für diesen Posten, während die Maoisten lieber eine Frau oder einen Vertreter aus den Reihen der bislang benachteiligten indigenen oder Dalit-Gemeinschaften in diesem Amt sehen möchten. Die Konsultationen darüber dauerten bis zum Donnerstag vormittag.

Im anderen Lager hält die Partei Nepali Congreß (mit seinen gut 100 Abgeordneten) an ihrer Absicht fest, den bisherigen Premier Girija Prasad Koirala zum Präsidenten wählen zu lassen. Doch sowohl die KPN (Maoistisch) und die VML als auch die Madhesi-Parteien der südlichen Terai-Region lehnen das strikt ab. Sie wollen den greisen und kränkelnden Politiker in den Ruhestand schicken. Seinen Rücktritt als Premier hat Koirala immerhin schon vor einen Wochen in Aussicht gestellt. Bei den jüngsten Beratungen zwischen dem Nepali Congress und mehreren kleineren ethnischen Gruppierungen bekräftigten diese ihre Entschlossenheit, einer neuen Regierung nicht beizutreten, wenn ihre Forderung nach einer »autonomen Madhes-Provinz« bei den politischen Parteien weiterhin auf Ablehnung stößt.

Die Präsidentenwahl ist also nur eine unter mehreren aktuellen Aufgaben des Verfassungskonvents. Auf der Liste stehen die Wahl des Premiers, des Vorsitzenden der verfassunggebenden Versammlung, das Terai-Problem, die Verschmelzung der kasernierten maoistischen Guerillaeinheiten mit den Streitkräften und das ureigene Anliegen des Konvents: die Ausarbeitung einer demokratischen, republikanischen, föderalen Verfassung.

* Aus: junge Welt, 18. Juli 2008


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