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Prachanda ist Premier

Nepal: Chef der KP (Maoistisch) vom Verfassungskonvent gewählt. Bisher regierende Kongreßpartei will "verantwortungsbewußte Opposition" sein

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Vier Monate nach dem Überraschungssieg seiner Partei bei den Wahlen vom 10. April wurde der Vorsitzende der KP Nepals (Maoistisch), Pushpa Kamal Dahal Prachanda, am Freitag vom Verfassungskonvent in Kathmandu zum Premierminister gekürt. Für ihn stimmten mehr als zwei Drittel der Abgeordneten. Er setzte sich gegen seinen Konkurrenten Sher Bahadur Deuba vom Nepali Congress (NC) durch. Damit steht erstmals in der Geschichte des Landes ein Maoist an der Spitze der Regierung. Das Ereignis ist nicht nur die Krönung der politischen Karriere Prachandas, sondern zugleich ein Höhepunkt im unermüdlichen Wirken seiner Partei, deren bewaffneter Arm zehn Jahre lang für den Sturz der Monarchie gekämpft hatte.

Langer Weg der Maoisten

Die Wahl des Parteichefs zum Regierungschef wurde erst möglich, nachdem die KPN(M) mit der KPN(Vereinte Marxisten und Leninisten; VML) und dem Madhesi Janadhikar Forum (MJF) ein Bündnis geschlossen und damit die rivalisierende Kongreßpartei ausgebootet hatte. Am Donnerstag schlossen die drei Parteien einen Siebenpunktepakt. Darin einigten sie sich u.a. darauf, andere Parteien in die Koalitionsregierung einzubeziehen, ein gemeinsames Minimalprogramm für die Arbeit aufzustellen und Sicherheitsfragen gemeinsam zu entscheiden. Für Prachanda stimmten auch Abgeordnete von 13 weiteren Parteien. Der NC-Kandidat Sher Bahadur Deuba, der bereits unter König Gyanendra zweimal Regierungschef gewesen war, hatte gegen Prachanda keine Chance.

Der NC beschloß nach Verkündung des Wahlresultats, künftig als »verantwortungsbewußte Opposition« zu agieren. Allerdings will sich der neue Premier darum bemühen, die Kongreßpartei doch noch zu einer Beteiligung an der geplanten Regierung der nationalen Einheit zu bewegen. Prachanda hatte am Donnerstag nach seiner Nominierung erklärt: »Unsere Rolle in der Regierung wird es sein, die historische Aufgabe der Ausarbeitung einer neuen Verfassung zu bewältigen sowie den Wunsch des Volkes nach progressiver Umgestaltung des Landes zu erfüllen.« Dem Vernehmen nach soll die KPN(M) das Ressort Verteidigung, die VML das Innenministerium und das MJF das Außenministerium übernehmen.

»Prachanda«, was man mit der Feurige, Wilde, Grimmige oder gar Böse übersetzen könnte, lautete der Deckname, den sich der Führer des Guerillakrieges gegeben hatte. Seinem Namen machte der Chef der KPN(M) auch in der politischen Arena alle Ehre. Er bewirkte mit seiner Hartnäckigkeit, seinem Charisma und seinem von einem Mix aus Marxismus-Leninismus und Maoismus geprägten Politkonzept maßgeblich den grundlegenden Wandel von der Monarchie zur Republik. Er war es, der im November 2006 das Friedensabkommen mit der Allianz der sieben politischen Parteien schloß und den Krieg beendete, der nahezu 13000 Menschenleben gekostet hatte. Es war sein Verdienst und das seiner Genossen, daß die zögerlichen bürgerlichen Parteien schließlich doch Wahlen zu einem Verfassungskonvent zustimmten, der endgültig über das Schicksal der Monarchie entscheiden sollte. Prachanda bestand auf der Änderung des traditionellen Wahlsystems, damit die bislang benachteiligten sozialen Schichten, Kasten und indigenen Gemeinschaften eine halbwegs gerechte Präsenz in der Volksvertretung erhielten. Dieses Gremium gilt zugleich als Parlament, bis eine neue Verfassung ausgearbeitet und in Kraft getreten ist. Die KPN (M) setzte sich am nachdrücklichsten für die Beseitigung der Monarchie und die Proklamation der Republik ein.

Vertrauen erkämpft

Den Lohn für dieses Engagement, das nicht gradlinig, sondern im Zickzack mit viel auf und ab, mit nicht immer nachvollziehbaren taktischen Manövern verlief, ernteten die Maoisten am 10.April, als unerwartet viele Wähler für die KPN(M) stimmten, so daß diese mit 220 Abgeordneten als stärkste Fraktion in die Volksvertretung einziehen konnte. Prachanda setzte sich in zwei Wahlbezirken mit riesigem Vorsprung gegen die Konkurrenten durch. Folgerichtig wählte man ihn – nach monatelangen Verzögerungen und Behinderungen – jetzt zum Regierungschef.

Pushpa Kamal Dahal Prachanda wurde am 11. Dezember 1954 im Dorf Kaski geboren. Er stammt aus ärmlichen bäuerlichen Verhältnissen und studierte Agrarwissenschaften an einem Institut im Chitwan-Distrikt. Ausgerüstet mit dem während der Studentenzeit erworbenen linken Gedankengut wurde er 1986 Chef der radikalen KPN(Mashal) und 1995 Führer der Vereinten Volksfront, eine der Wurzeln der heutigen KPN(M). Im Jahre 2006 tauchte er nach dem von seiner Partei angeführten Volksaufstand gegen König Gyanendra aus dem Untergrund auf. Seitdem gehört er in Südasien zu den charismatischsten Politikern.

* Aus: junge Welt, 16. August 2008


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