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Jetzt protestieren Nepals Madhesi

Flachland-Bewohner wollen nicht länger diskriminiert werden

Von Hilmar König, Delhi *

Eine Woche gewalttätiger Proteste und Streiks, Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei im Süden und Osten Nepals hat den noch jungen Friedensprozess erschüttert. Die Regierung verhängte über einige Städte den Ausnahmezustand, ist aber zu Gesprächen bereit. Auch der von der Regierung angeordnete Ausnahmezustand hat die Lage in Nepal nicht beruhigt. Am Samstag schoss die Polizei in Kalaiya, südlich von Kathmandu, in eine Menge von hunderten Demonstranten, die die Polizeistation stürmen wollten. Dabei wurde eine Person getötet. Über 20, darunter auch etliche Ordnungshüter, erlitten Verletzungen. Damit stieg die Zahl der Toten im Verlaufe von etwas mehr als einer Woche auf insgesamt sechs.

Premier Girija Prasad Koirala musste sich über das Wochenende intensiv mit der brisanten Situation im Süden und Südosten befassen. Er konferierte mit Madhav Kumar Nepal, dem Generalsekretär der KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten), mit Maoistenchef Prachanda sowie Führern der Sadhbavana Party, die damit drohten aus der regierenden Parteienallianz auszutreten, wenn keine schnelle Lösung der Krise gefunden wird.

Was ist in Nepals Terai-Gebiet, das immerhin 23 Prozent des Landesterritoriums ausmacht, passiert? Eigentlich sollte nach der Einsetzung des Interimsparlaments, der Annahme der Interimsverfassung und dem Beginn des »Waffenmanagements« unter UNO-Aufsicht alles friedlich und spannungsfrei ablaufen. Einige Gewerkschaften hatten sogar öffentlich erklärt, bis zu den Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung im Mai/Juni auf Streiks zu verzichten.

Genau in dieser »Windstille« brach der Sturm der Madhesi los, wie die Bewohner des Terai sich nennen. Sie machen etwa ein Drittel der Bevölkerung aus, sehen sich aber in der Regierung, den Behörden, der Polizei und dem Interimsparlament unter- und in den Streitkräften überhaupt nicht repräsentiert. Sie kritisieren, dass die Herrscher in Kathmandu, Könige wie Regierungen gleichermaßen, stets aus dem Bergland Nepals stammen. Die Bewohner des fruchtbaren Flachlandes Terai, wegen des verbreiteten Anbaus von Reis, Mais und Weizen als Kornkammer Nepals bezeichnet, behandelte das Establishment immer herablassend. Die Madhesi, denen Hindus, Muslime, Buddhisten und Adivasi (Ureinwohner) angehören, haben enge kulturelle Beziehungen zum südlichen Nachbarn Indien. Viele ziehen Hindi dem Nepali als Umgangssprache vor. Sie kleiden sich anders, haben andere Essgewohnheiten als die Berg-Nepaler.

Im Nepal nach der Entmachtung von König Gyanendra hofften die Madhesi nun darauf, dass die Behandlung, die sie seit Jahrhunderten als Diskriminierung erleben, aufhört, die angekündigte Gleichberechtigung aller Bürger um sie keinen Bogen macht. Jetzt, da die Weichen für das »neue Nepal« gestellt werden, machen sie deshalb auf ihre Probleme nachdrücklich aufmerksam. Ein »Volksforum der Rechte der Madhesi« und eine Gruppe namens Janatantrik Terai Mukti Morcha – abgesplittert von der KPN(Maoistisch) – haben sich zu Anführern des Protestes gemacht. Forum- Chef Upendra Yadav glaubt, wenn sich die Flachländler nicht jetzt vehement zu Wort melden, werden sie auch unter der neuen politischen Konstellation vernachlässigt und gedemütigt. Er verlangt »Respekt und föderale Autonomie« für die Madhesi und das Terai-Gebiet sowie die Ergänzung der Interimsverfassung. In dem Passus sollten ein proportionales Wahlsystem, die Festlegung von Wahlbezirken unter Beruecksichtigung ethnischer Aspekte und föderale Verwaltungsstrukturen festgeschrieben werden. Radikale Gruppen fordern sogar Unabhängigkeit. Die Lage bleibt gespannt.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Januar 2007


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