"Die Nepaler sind desillusioniert"
Akhilesh Upadhyay über Wege aus der politischen Krise *
Im Himalaja-Staat Nepal wurde am
Donnerstag der Präsident des Obersten
Gerichtshofs, Khilraj Regmi, als
Übergangspremier eingesetzt. Er soll
das Land aus der politischen Krise führen,
in die es durch den Dauerstreit
der großen Parteien geraten ist. Mit
Akhilesh Upadhyay, Chefredakteur der
»Kathmandu Post«, einer der führenden
Zeitungen Nepals, sprach für »nd«
Stefan Mentschel.
Demokratiebewegung und Ende
des Bürgerkrieges 2006, Wahlen
und Abschaffung der Monarchie
2008 – Nepal schien auf einem guten
Weg sein. Doch die politische
Entwicklung stagniert. Am Donnerstag
wurde der Oberste Richter
Khilraj Regmi als Übergangspremierminister
vereidigt. Ist die Aufhebung
der Trennung von Exekutive
und Justiz der richtige Weg?
Das ist sicher nicht ideal. Die Gewaltenteilung
gehört zum Wesenskern
einer Demokratie. Weicht
man sie auf, kann das gefährlich
werden. Trotzdem könnte es ein
Weg aus der Krise sein.
Inwiefern?
Wenn ein Land wie Nepal in einer
so festgefahrenen politischen Lage
ist, kann der Oberste Richter einen
Konsens zwischen den seit Jahren
zerstrittenen großen Parteien herbeiführen.
Dabei bin ich mir der
Fallstricke durchaus bewusst. Doch
wir leben in ungewöhnlichen Zeiten,
deshalb müssen wir nach ungewöhnlichen
Lösungen für unsere
Probleme suchen.
Ist denn Nepal sonst unregierbar?
So weit würde ich nicht gehen. Aber
wir haben uns in den vergangenen
Jahren mit Sicherheit nicht in die
richtige Richtung bewegt.
Was bedeutet das?
Die Menschen in Nepal haben die
politischen Ereignisse der Jahre
2006 bis 2008 mit großen Hoffnungen
verbunden. Doch die sind
nicht erfüllt worden. Die Probleme
begannen gleich nach Abschaffung
der Monarchie im Mai 2008 durch
die damals gerade gewählte Verfassunggebende
Versammlung. Mit
der Abdankung des Königs war der
gemeinsame Feind verschwunden.
Die politischen Akteure brachten
sich gegeneinander in Stellung.
Ist das ein Konflikt zwischen
ehemaligen maoistischen Rebellen
und etablierten Kräften wie den gemäßigten
Kommunisten von der
CPN-UML oder der Kongresspartei?
Die Hauptkonfliktlinie verläuft zwischen
konservativen Kräften, die
am Status quo festhalten wollen,
und denjenigen, die sich für einen
echten politischen Wandel in Nepal
stark machen. Aber Nepals politische
Landschaft ist inzwischen
so stark zerklüftet, dass die Zusammenarbeit
in allen Bereichen
extrem kompliziert geworden ist.
Bitte nennen Sie ein Beispiel.
Nehmen sie die Region Terai an der
Grenze zu Indien. Bei den Wahlen
2008 traten die Parteien der dort lebenden
Madhesi-Minderheit als
gemeinsame politische Front an
und forderten vehement größere
Autonomie. Inzwischen gibt es
selbst innerhalb dieser relativ kleinen
Gruppe derart viele Unstimmigkeiten,
dass von der Durchsetzung
gemeinsamer Ziele keine
Rede mehr sein kann.
Die Übergangsregierung unter
Richter Regmi soll innerhalb von
drei Monaten Wahlen organisieren.
Werden die für klare Mehrverhältnisse
sorgen?
Selbst wenn es erneut keine klaren
Mehrheiten geben sollte, brauchen
wir diese Wahlen so schnell wie
möglich. Nach fast fünf Jahren ohne
politischen Fortschritt berufen
sich die Politiker nach wie vor auf
ihre Mandate von 2008. Doch viele
Menschen haben das Vertrauen in
die Abgeordneten längst verloren;
daher ist es an der Zeit, sie um ein
neues Mandat zu bitten.
Trotz des jahrelangen politischen
Stillstands gibt es in Nepal
keine Massenproteste. Haben sich
die Menschen mit der Lage abgefunden?
Nein. Revolutionen finden nicht alle
zwei Jahre statt. Wenn die Leute
nicht laut aufschreien, bedeutet das
nicht, dass sie zufrieden sind. Im
Gegenteil: Alle Nepaler, mit denen
ich spreche, sind zutiefst desillusioniert.
Was frustriert die Leute am
meisten?
Ich denke, es ist die wirtschaftliche
Stagnation. Nach Jahren des
Konflikts stünde Nepal eigentlich
eine Friedensdividende zu. Das
Ende des Bürgerkriegs hätte der
Beginn eines wirtschaftlichen Aufschwungs
sein sollen. Aber wir haben
diese Gelegenheit verpasst.
Viele ausländische Geldgeber investieren
nicht, weil ihnen die notwendige
politische Stabilität bis
heute nicht garantiert werden
kann. Dabei könnte unsere Wirtschaft
problemlos um sieben oder
acht Prozent jährlich wachsen. Die
Ressourcen hätten wir, allerdings
müssten dafür auch die Politiker
zusammenarbeiten.
* Aus: neues deutschland, Montag, 18. März 2013
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