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Von einer Krise in die nächste

Nepals Präsident stellt Ultimatum zur Bildung einer Koalitionsregierung

Von Henri Rudolph, Delhi *

Nepals Präsident Ram Baran Yadav hat den politischen Parteien ein Ultimatum gestellt. Bis zum 21. August soll eine Regierung des nationalen Konsenses gebildet sein. Premier Jhala Nath Khanal war am vergangenen Sonntag nach siebenmonatiger Amtszeit zum Rücktritt gezwungen worden.

Die Himalaja-Republik stolpert von einer politischen Krise in die nächste. Als Khanal im Februar dieses Jahres nach endlosem Tauziehen Ministerpräsident wurde, lautete die Aufgabe, so schnell wie möglich eine Regierung der nationalen Einheit oder des nationalen Konsenses zu formen. In einem Programm hatten sich die drei Hauptparteien Vereinte KPN (Maoistisch), Nepali Congress und KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) im Mai zudem verpflichtet, bis zum 31. August – nach Ablauf der Verlängerungsfrist für den Verfassungskonvent, wie das provisorische Parlament heißt – den 2006 besiegelten Friedensprozess abzuschließen und den Entwurf einer neuen Verfassung fertigzustellen.

Keines dieser Vorhaben wurde ernsthaft angepackt. Premier Khanal hielt sich mit Mühe weiter im Sattel und argumentierte, ohne eine Einigung über seinen Nachfolger sei die Ausarbeitung der neuen Verfassung gefährdet. Zudem würde »rechten Reaktionären und ihren ausländischen Schutzherren« (gemeint ist Indien), die das Land destabilisieren wollten, die Chance zur Rückkehr an die Macht eröffnet.

Freilich überzeugte Khanal damit weder die Kontrahenten noch seine eigenen Parteifreunde. Da er von den Parteien und aus den eigenen Reihen keine Unterstützung erhielt, musste er am vergangenen Sonntag das Handtuch werfen. »Sie schienen mehr an der Macht interessiert zu sein«, bedauerte er den Übergang in die nächste Krise.

Denn dass sich eine weitere Krise anbahnt, ist gewiss. Sowohl die Maoisten als stärkste Partei im Verfassungskonvent als auch der bürgerliche Nepali Congress (NC) haben ihre Ambitionen bereits publik gemacht, bei der Regierungsbildung nicht nur das entscheidende Wort zu reden, sondern die Führung zu übernehmen.

Die Maoisten stellten ihren Vizevorsitzenden Baburam Bhattarai als Kandidaten für das Amt des Premiers auf. Im NC kämpfen Parlamentssprecher Ram Chandra Paudel und der frühere Premier Sher Bahadur Deuba erbittert um ihre Kandidatur. Damit ist nahezu ausgeschlossen, dass bis zum kommenden Sonntag die neue Regierung steht, zumal auch Dutzende kleinere Parteien vehement um einen Ministerposten ringen werden.

Die wesentlichen Aufgaben, den Friedensprozess zu vollenden, wozu in erster Linie die Integration der einstigen maoistischen Guerilleros in die Armee oder in die Zivilgesellschaft gehört, und den Verfassungstext zu formulieren, geraten also wieder einmal in den Hintergrund. Erzielen die Parteien keine Einigung über die Koalitionsregierung, will der Staatspräsident darüber im Parlament abstimmen lassen. Doch die Volksvertretung spiegelt nur die Zerrissenheit der politischen Landschaft wider. Auch dort brauchen die Abgeordneten gewöhnlich Wochen, um eine Entscheidung zu treffen.

Vor diesem Hintergrund gliche es einem Wunder, wenn die bereits zweimal verlängerte Frist für den Fortbestand des Verfassungskonvents am Monatsende eingehalten werden würde. In diesem Fall wären Neuwahlen oder eine nochmalige Verlängerung die Möglichkeiten. Gewiss bleibt demnach nur eines: Nepal wird von dieser in die nächste Krise stolpern.

Die drei Hautparteien haben unterdessen einen enormen Ansehensverlust hinzunehmen, weil sie für ungenügende staatliche Autorität, grassierende Korruption und die Unfähigkeit verantwortlich gemacht werden, die vielfältigen sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Himalaja-Staats anzupacken. Nepal zählt nach wie vor zu den ärmsten Ländern in der Welt.

* Aus: Neues Deutschland, 17. August 2011


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