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Nepal: Darf der König bleiben?

Zwei kommunistische Parteien im Streit um den Weg aus der Krise

Von Hilmar König, Neu-Delhi

Nepals König Gyanendra ist seit Tagen krampfhaft bemüht, einen Ausweg aus der von ihm verursachten politischen Krise zu finden. Am Montag hob er das Demonstrationsverbot auf, und am Mittwoch wollte er Girija Prasad Koirala, den Führer der oppositionellen Partei Nepali Congress, zum Gespräch empfangen. Unterdessen halten die Proteste gegen die Willkürherrschaft des Monarchen an. Zu Wochenbeginn gingen in Kathmandu wieder über 10 000 Menschen auf die Straße und unterstützten die 18 Forderungen einer Fünfparteienallianz, darunter nach Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse, Beschneidung der Exekutivgewalt des Königs und Rechenschaftspflicht der Streitkräfte gegenüber dem Parlament.

In dieser keineswegs homogenen Parteienallianz bildet die KP Nepals (Marxisten und Leninisten) den linken Flügel. Ihr Generalsekretär Madhav Kumar Nepal kritisierte Koiralas beabsichtigten Gang zum König: Wer das gerade zu diesem Zeitpunkt mache, stelle sich bloß. Die Partei will erst Zugeständnisse vom Herrscher. Ihre Vorstellungen sind in einem Neun-Punkte-Plan enthalten. Darin strebt die KP ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den beiden Machtzentren König und dessen Armee auf der einen Seite sowie politische Parteien auf der anderen Seite an. Sie favorisiert die Bildung einer Allparteien-Übergangsregierung, die einen politischen Dialog mit allen Kräften inklusive der militanten KPN (Maoistisch) initiiert, von der UNO überwachte Parlamentswahlen vorbereitet und eine Überarbeitung der Verfassung in Angriff nimmt. Bemerkenswert, daß die Marxisten-Leninisten an der konstitutionellen Monarchie festhalten, auch wenn sie diese nicht als "heilige Kuh" betrachten, wie K.P. Oli, einer ihrer Veteranen, erklärte. In den in den letzten Monaten verstärkt gehörten Ruf nach Abschaffung der Monarchie stimmte die KPN(VML) nicht ein. "Wir wollen nicht die ersten sein, die eine Krise auslösen", begründete Oli lapidar.

Die KPN(VML) verfügt sowohl in den städtischen als auch in den ländlichen Gebieten des Himalajalandes über beträchtlichen Anhang und war im Parlament mit etwa 80 Abgeordneten bislang die zweitstärkste Partei. Sie beteiligte sich im Jahre 1990 in der erfolgreichen Volkserhebung gegen die absolute Monarchie und das Ständesystem (Panchayat) und gehörte der ersten Übergangsregierung an. Dann bildete sie 1994/95 für neun Monate eine Minderheitsregierung unter Premier Manmohan Adhikari. Madhav Kumar Nepal war in diesem Kabinett Vizepremier, Außen- und Verteidigungsminister Nepals. Diese Regierung brachte - vor allem zum Leidwesen des Nepali Congress - für kurze Zeit frischen Wind in die politische Landschaft. Die Minister legten ihre Vermögensverhältnisse offen. 40 Staatsbetriebe, die Bank of Nepal und die Tribhuvan University bekamen neue Direktoren. 3 000 Beamte wurden umgesetzt oder abgelöst. Die Regierung setzte auf Transparenz und gewährte volle Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit. Ihre Popularität wuchs mit der Aktion "Bauen wir unsere Dörfer selbst", in der an den meist korrupten Behörden vorbei jeder Gemeinde direkt 300 000 Rupien (etwa 5 800 Euro) für Entwicklungsaufgaben zugeteilt wurden. In den ersten fünf Monaten der Regierungszeit erhielten rund 10 000 Menschen Landbesitzurkunden. 5 000 Landlose bekamen Boden.

Kontakte auf Minimalniveau

Der demokratische und soziale Regierungskurs der KP Nepals (Vereinte Marxisten/Leninisten) stieß bei den Oppositionsparteien auf wachsenden Widerstand. Nach nur neun Monaten wurde das Minderheitenkabinett 1995 gestürzt und von bürgerlichen Kräften ersetzt.

Madhav Kumar Nepal, Generalsekretär der KPN (VML), erläuterte im Gespräch mit jW, was seine Partei unter "Sozialismus in den Farben Nepals" versteht: Das Volk sollte der Souverän sein, nicht nur einbezogen werden in die demokratischen Verhältnisse, sondern diese mitgestalten. Die Menschen sollten ihre Persönlichkeit entwickeln und ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. "Unter Sozialismus verstehen wir auch die Entwicklung der Produktion, der Produktivität, Nutzung der Ressourcen, Streben nach Prosperität. Uns liegt das Schicksal der Habenichtse am Herzen."

Zwischen der KPN(VML) und der maoistischen Partei, die 1996 den bewaffneten Kampf begann und heute große Gebiete des Landes kontrolliert, bestehen keine direkten Kontakte. Die Maoisten sehen in den Marxisten-Leninisten eine sozial geschminkte Variante des bürgerlichen Nepali Congress. Umgekehrt betrachtet die ML-Partei die Konkurrenz mit Argwohn und lehnt deren "Volkskrieg" ab. Die KPN (Maoistisch), die sich ebenfalls als Anwalt der Armen und Ausgebeuteten versteht - 70 Prozent der Bevölkerung gehören unteren Kasten an -, brach im August vorigen Jahres Verhandlungen mit der Regierung ab. Zwar bot ihr Führer Pushpa Kamal Dahal (Prachanda) während der jüngsten antimonarchistischen Protestwelle der Parteienallianz moralische Unterstützung an, erhielt aber keine positive Antwort. Die Partei unterbreitete der Öffentlichkeit einen eigenen "Wegweiser" zur Lösung der politischen Krise: Sie schlägt einen Runden Tisch mit allen politischen Kräften vor, der zu einer Übergangsregierung führen soll.

* Der Beitrag erschien in zwei Teilen am 6. und 7. Mai 2004 in der Tageszeitung "junge Welt"


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