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Keil im Bündnis

Nepal: Wahltermin zur verfassunggebenden Versammlung in Frage gestellt - Kontroverse in Übergangsregierung

Von Thomas Berger, Kathmandu *

In Nepals Hauptstadt wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die am Wochenende ausgebrochene Regierungskrise zu überwinden. Zentraler Punkt aller Lösungsversuche ist der Zeitpunkt der Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung, der im Abkommen zwischen der vormaligen Sieben-Parteien-Allianz und den Exrebellen der CPN-Maoist auf den 20. Juni festgelegt worden war. Am vergangenen Freitag, einen Tag vor dem nepalesischen Neujahr, hatte der Vorsitzende der nationalen Wahlkommission bekanntgegeben, daß seine Behörde sich außerstande sehe, diesen Zeitplan zu erfüllen. Man brauche mindestens 110 Tage, sagte Bhoj Raj Pokhrel, um ordnungsgemäß die Registrierung der Parteien und die Erstellung der Wählerlisten abzuschließen, die lokalen Wahlbüros zu besetzen und das Helferpersonal angemessen auszubilden.

Das Eingeständnis, daß der 20. Juni nun zur Disposition steht, wurde von den einzelnen Kräften in der Regierungskoalition unterschiedlich aufgenommen. Ein zunächst für Sonntag morgen, dann auf den Nachmittag verschobenes Treffen der Spitzen der acht Parteien wurde erneut vertagt. Nicht nur im sozialliberalen Nepali Congress (NC), der mit dem Politveteranen Girija Prasad Koirala (85) den Premierminister stellt, braucht man mehr Zeit, um zunächst parteiintern zu einer gemeinsamen Linie zu finden. Auch aus anderen Gruppen kommen bislang teils widersprüchliche Stimmen, die zumindest belegen, wie tiefgreifend das Problem ist.

Lediglich die Maoisten stehen nach einem Politbürotreffen einhellig hinter der Forderung, die ihr Anführer Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda am Samstag aufgestellt hatte. Eine Verschiebung des Wahltermins sei ein Bruch der getroffenen Vereinbarung und beraube die Koalition ihrer gemeinsamen Grundlage. Es sei allerdings vorstellbar, daß über die Frage der Umwandlung Nepals in eine Republik bereits durch das Übergangsparlament entschieden werde. Nach der offiziellen Abschaffung der Monarchie, seit jeher eines der Kernthemen der CPN-M, gebe es laut Prachanda einen entspannten Zeitrahmen für die Wahlen, die notfalls auch erst im nächsten April stattfinden könnten.

Strikt gegen eine Terminverschiebung hat sich bislang die zweite große Linksformation, die Vereinigten Marxisten-Leninisten (UML), ausgesprochen. Ihr Generalsekretär Madhav Kumar Nepal und weitere Spitzenvertreter machten Premier Koirala direkt für die entstandene Krise verantwortlich, forderten mehr oder weniger deutlich seinen Rücktritt. Die Übergangsregierung habe versagt, ihr Versprechen gegenüber dem Volk einzuhalten. Eine Republiksentscheidung durch das Interimsparlament wird von der UML auch deshalb abgelehnt, weil dieses eine unzureichende demokratische Legitimation habe. Der Standpunkt der Marxisten wird durch mindestens zwei der kleinen Linksparteien geteilt.

Lediglich der NC-Democratic des Expremiers Sher Bahadur Deuba findet eine Wahlverschiebung grundsätzlich richtig. Neben den formalen Hürden, die die Wahlkommission mit ihrem erhöhten Zeitbedarf verdeutlich hat, wird auf die noch immer angespannte Sicherheitslage in einigen Landesteilen verwiesen. Um eine ordnungsgemäße Abstimmung zu gewährleisten, müßten auch in dieser Hinsicht adäquate Rahmenbedingungen geschaffen werden. »Wenn wir ideale Grundlagen haben wollen, können wir noch hundert Jahre warten«, kontern UML-Vertreter. Einigkeit besteht lediglich, daß die Regierungskoalition trotz aller Spannungen halten werde – und in der Einschätzung der Bedeutung des Urnengangs, wann immer er nun stattfindet.

* Aus: junge Welt, 17. April 2007


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