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Verfassung in Gefahr

Nepal: Fortsetzung des Madhesi-Aufstands angedroht. Premier Koirala lehnt Kernforderungen ab

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die Nation durchlebe eine schwere Zeit. Es seien Kräfte am Werk, die die alte Ordnung aufrechterhalten und die Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung am 10. April verhindern wollten. Das erklärte Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda, der Chef der KP Nepals (Maoisten), auf dem ersten Wahlmeeting seiner Partei Ende vergangener Woche in Kathmandu. Diese Kräfte, sagte er, scheinen im Bunde zu sein mit Vertretern der Armee, die die Wahlen kontrollieren möchten, dem König, der unpassende Kommentare zur Lage abgibt, und bewaffneten Gruppen in der Region Madhes.

Die Entwicklung im südlichen Terai (Madhes) wird immer bedrohlicher. Sechs Tage bereits halten dort die Streiks und Straßenblockaden an. Bei Zusammenstößen mit der Polizei kam am Sonntag eine Person ums Leben, 59 wurden verletzt. Mit ihren Protest­aktionen will die Vereinte Demokratische Madhesi-Front (UMDF) ihre Forderung nach Autonomie durchsetzen. Die Auswirkungen bekommt auch die Hauptstadt Kathmandu zu spüren, wo Treibstoffmangel und Nahrungsmittelknappheit herrschen.

Die kürzlich gebildete UMDF hat sechs Punkte als Voraussetzung für ihre Teilnahme an den Wahlen aufgestellt: die Bildung eines autonomen Madhes-Staates, das Recht auf Selbstbestimmung, die Annullierung des bestehenden Wahlgesetzes und eine proportionale Vertretung der Terai-Bevölkerung im Parlament und in staatlichen Organen. Außerdem will sie die während der Madhesi-Bewegung im vorigen Jahr ums Leben Gekommenen offiziell zu Märtyrern erklären lassen. Am Sonntag nahm Premier Girija Prasad Koirala auf einer Veranstaltung in Biratnagar dazu Stellung: »Das Recht auf Selbstbestimmung, das die Souveränität und Integrität der Nation gefährdet, ist nicht akzeptabel, selbst wenn uns eine ausländische Macht unter Druck setzen sollte.« Auf den Wunsch nach »einer autonomen Provinz Madhes« würden die Wahlen eine Antwort geben, fügte er hinzu. Zur gleichen Zeit äußerte die Allianz der politischen Parteien, daß das Recht auf Selbstbestimmung und die Forderung nach Änderung des Wahlsystems nicht erfüllt werden könnten. Doch solle sich die Regierung weiterhin um Verhandlungen mit der UMDF bemühen.

Aus dem Sieben-Parteien-Zusammenschluß, der Nepal regiert, trat am Wochenende die Sadbhawna Party aus, um sich der Madhesi-Bewegung anzuschließen. Einer von deren Repräsentanten, Upendra Yadav vom Madhesi Janadhikar Forum, drohte nun: »Wir setzen unsere Bewegung solange fort, bis es eine einzige autonome Provinz Madhes gibt«. Und die UMDF sprach von einem »entscheidenden Aufruhr«.

Auf der anderen Seite kündigte die KPN(M) eine »entscheidende Bewegung« an, wenn die Wahlen erneut verschoben werden sollten. Prachanda gab sich zuversichtlich, daß seine Partei die Mehrheit der Sitze in der verfassunggebenden Versammlung bekommen wird. Die Maoisten würden für eine bundesstaatliche demokratische Republik sowie für progressive Veränderungen zum Wohle der Bevölkerung arbeiten. Zuvor, das weiß aber auch die KPN(M), muß das Terai-Problem gelöst werden.

* Aus: junge Welt, 19. Februar 2008


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