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Erwartungsdruck in Kathmandu

Vizeparteichef der Maoisten zum neuen nepalesischen Premierminister gewählt

Von Thomas Berger *

Nepal hat seit dieser Woche einen neuen Premierminister –mit Baburam Bhattarai besetzt nun wieder die nach Sitzen stärkste Partei in der Nationalversammlung das wichtigste politische Amt im Himalayastaat. Bhattarai, Vizechef der Vereinten Kommunistischen Partei Nepals-Maoistisch (UCPN-M), erhielt bei der Abstimmung am Sonntag 340 von 575 Stimmen. Neben seiner eigenen Partei stimmten vor allem auch die Mitglieder eines Fünfparteienbündnisses der Madhesi, Bewohner der Tarai-Ebene ganz im Süden, für ihn. Ebenso konnte er sich auf 15 Kleinstparteien und einen unabhängigen Abgeordneten stützen. Zu den ersten Gratulanten gehörte ausgerechnet sein Gegenkandidat. Ram Chandra Poudel, ein Spitzenmann des sozialliberalen Nepali Congress (NC), hatte seinerseits die Unterstützung der Marxisten (CPN-UML), der nationalkonservativen Parteien und weiterer Splittergruppen erhalten.

Auch Poudels Glückwunsch impliziert den großen Wunsch aller Beteiligten, daß mit der Wahl Bhattarais endlich neue politische Stabilität und greifbarer Fortschritt einziehen mögen. Bei den Wahlen 2008 wurden die Maoisten stärkste Kraft. Sie hatten seit 1996 einen zehnjährigen Untergrundkampf bis hin zum gemeinsam mit den parlamentarisch-demokratischen Kräften errungenen Sturz von König Gyanendra geführt. Allerdings reichte es nicht für eine Alleinregierung. UCPN-Vorsitzender Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda als zunächst installierter Premier gelang es ebensowenig wie seinen beiden Nachfolgern aus den Reihen der UML, eine wirkliche Zusammenarbeit der drei größten Gruppierungen zustande zu bringen, um die im Friedensvertrag niedergelegten Punkte tatsächlich umzusetzen. Maoisten, der NC als größte bürgerliche Partei und die UML als zweite dominierende Linksformation im Land blockierten sich gegenseitig. Auf der Strecke blieben die großen Hoffnungen der Menschen nach einem tiefgreifenden Neuanfang Nepals als demokratisch-progressive Bundesrepublik mit umfassenden sozialen Reformen und mehr Autonomie für die Regionen. Gerade die Madhesi-Parteien machen sich für letztgenannten Punkt stark.

Prachanda hatte eine erneute eigene Kandidatur als wenig erfolgversprechend eingestuft und deshalb seinen Vize ins Rennen geschickt. Bhattarai galt lange als intellektueller Kopf der Maoisten und Vertreter des besonders pragmatischen Flügels. Vor ihm liegt nun die riesige Herausforderung, eine neue Verständigung der zerstrittenen Kräfte herbeizuführen und den allgemeinen Stillstand zu beenden, in den Nepal wegen der Blockadehaltung aller politisch relevanten Gruppen gefallen ist. Vor allem geht es darum, endlich die 19000 ehemaligen Guerillakämpfer in die nationale Armee zu integrieren, die einstmals Hausmacht des gestürzten Monarchen war. Gerade in diesem Punkt gibt es Konflikte mit dem NC sowie mit hohen Militärs.

Strittig ist in mancherlei Hinsicht auch das Verhältnis zu Indien: Der große Nachbar im Süden ist immer wieder einerseits Vermittler, andererseits Hürde auf dem Weg einer Neugestaltung gewesen. Geografisch eingeklemmt zwischen China und Indien, hat Nepal schon immer berechtigte Sorgen gehabt, zwischen den regionalen Großmachtinteressen der beiden Giganten zerrieben zu werden. Delhi ist zudem wichtigster Wirtschaftspartner, doch Nepals Ökonomie liegt derzeit ziemlich am Boden.

Der frisch gewählte Premier sowie Prachanda riefen die übrigen Parteien zur Kooperation auf, um endlich den verfassungsgebenden Prozeß erfolgreich abschließen zu können. Mehr als ein neuer Hoffnungsschimmer ist die Neubesetzung zunächst nicht. Schon die Regierungsbildung dürfte nicht einfach werden, wenn die Madhesi-Allianz, Nummer vier in der parlamentarischen Rangfolge, ihren Anteil an Schlüsselressorts fordern wird und auch kleine Gruppen beteiligt werden müssen.

* Aus: junge Welt, 30. August 2011


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