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Einigung in letzter Minute

Nepal verlängert Mandat für sein provisorisches Parlament um drei Monate

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Nepals Politiker haben den Bogen wieder einmal überspannt. Während Tausende verärgerte Bürger am Samstag (28. Mai) in Kath­mandu demonstrierten und endlich klare Entscheidungen forderten, saßen die Parteispitzen bis fünf nach zwölf zusammen, um über das Schicksal des Verfassungskonvents – des provisorischen Parlaments – zu debattieren. Dessen Amtsdauer lief genau um Mitternacht ab. Die Absicht der Regierung war eine Ausdehnung des Mandats um zwölf Monate, wie es bereits 2010 geschehen war. So sollte noch mehr Zeit für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung gewonnen werden. Doch die Opposition verweigerte ihre Zustimmung, und der Höchste Gerichtshof urteilte, eine nochmalige Verlängerung des Parlamentsmandats um ein Jahr sei gesetzeswidrig, maximal sechs Monate wären erlaubt. Nun war guter Rat teuer.

Die Verhandlungen zwischen der Regierungskoalition, die aus der KP Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten) und der Vereinten KP Nepals (Maoistisch) besteht, und der oppositionellen Partei Nepali Congress (NC) zogen sich zäh hin. Der NC hatte zehn Forderungen gestellt, nahezu alle an die Maoisten gerichtet. Erst bei deren Erfüllung wollte die Partei für eine Verlängerung des Parlamentsmandats stimmen. Die Maoisten sträubten sich nachzugeben. Ein Kernproblem war und ist die Integration ihrer einstigen Guerillakämpfer in die Streitkräfte bzw. ihre Eingliederung in die Zivilgesellschaft. Zudem war Premier Jhala Nath Khanal, der erst seit Februar im Amt ist, vom NC zum Rücktritt aufgefordert worden. Bis Mitternacht gab es keinen Durchbruch bei den Beratungen.

Erst am Sonntag morgen (29. Mai) konnte Subash Nemwang, der Sprecher des Verfassungskonvents, verkünden, daß die Parlamentsabgeordneten mit Zweidrittelmehrheit ein Gesetz angenommen haben, mit dem die Lebensdauer der provisorischen Volksvertretung um drei Monate verlängert wird. Zu dieser Einigung kam es, nachdem der Premier eingewilligt hatte, zurückzutreten und damit den Weg für die Bildung einer »Regierung des nationalen Konsenses« zu ebnen. Ein exakter Termin für diesen Schritt wurde nicht genannt. Die drei politischen Hauptparteien verpflichten sich in einer Abmachung, in diesen drei Monaten den Verfassungsentwurf zu vollenden und alle Probleme so zu lösen, daß der 2006 eingeleitete Friedensprozeß in diesem Zeitraum abgeschlossen werden kann.

Was im Verlaufe von drei Jahren – seit den ersten Wahlen 2008 und dem Sturz der Monarchie – nicht gelang, soll nun in drei Monaten bewältigt werden. Da scheinen Zweifel an der Machbarkeit dieses Vorhabens angebracht. Das höchste Gericht nannte als eine der wesentlichen Schwierigkeiten für die Arbeit an der neuen Verfassung, daß verschiedene politische Parteien mit unterschiedlichen Ideologien darauf bestehen, ihre Ansichten in ein gemeinsames Grundgesetz einzubringen. Den Maoisten schwebt eine »volksdemokratische Verfassungsordnung« vor. Sie sehen im bürgerlichen, sozialdemokratisch orientierten NC nicht die Partei, die wirklichen Wandel, soziale Gerechtigkeit, Souveränität und Unabhängigkeit anstrebt. Für sie ist der NC ein verlängerter Arm, ein »Erfüllungsgehilfe« Indiens.

Es wird wohl enormen Drucks der Bevölkerung bedürfen, die immer wütender und frustrierter auftritt, damit die Politiker und Volksvertreter in den drei Monaten, wie versprochen, endlich ihre »Hausaufgaben« erledigen.

* Aus: junge Welt, 30. Mai 2011


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