Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Tauziehen um Einheitsregierung

Nepal weit entfernt von nationalem Konsens

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Seit Mitte voriger Woche hat die Republik Nepal einen neuen Armeechef. Chattra Man Singh Gurung ist der erste General auf diesem Posten aus den Reihen der indigenen Stämme. Bislang kamen die Armeechefs stets aus der Elite- und Oberschicht der Rana-, Thapa-, Shah- und Chetri-Kasten. Der 57 Jahre alte General Gurung absolvierte die Indische Militärakademie in Dehradun. Barsha Man Pun aus der Führung der Vereinten KP Nepals (Maoistisch) zeigte sich zuversichtlich, daß sich die Beziehungen zwischen seiner Partei und den Streitkräften unter General Gurung verbessern werden.

Der Vorgänger Gurungs war General Rukmangad Katawal, der nach 43 Jahren -- davon über 40 Jahre als treuer Diener der Monarchie -- pensioniert wurde, jedoch seinen Lebensabend als Botschafter in Paris verbringen wird. Über den eigenwilligen Katawal stürzte die vorige Koalitionsregierung, in der die VKPN(M) unter Premier Pushpa Kamal Dahal Prachanda den Ton angab. Prachanda ordnete die Absetzung Katawals an, weil sich dieser Weisungen der Regierung wiederholt widersetzt hatte. Staatspräsident Ram Baran Yadav akzeptierte die Entscheidung Prachandas aber nicht. Dieser sah damit die »zivile Oberhoheit« der republikanischen Ordnung außer Kraft gesetzt. Als Konsequenz trat die Regierung nach rund acht Monaten Anfang Mai zurück.

Anschließend bildete die KPN (Vereinte Marxisten und Leninisten) gemeinsam mit der bürgerlichen Partei Nepali Congress eine alternative Koalitionsregierung unter Premier Madhav Kumar Nepal -- ohne die Maoisten, obwohl diese über mehr Abgeordnete im Verfassungskonvent (Parlament) verfügen als die beiden anderen Parteien zusammen. Seitdem ist ein Tauziehen um die Bildung einer »Regierung des nationalen Konsenses« im Gange. Für die Maoisten kommt das nur in Frage, wenn die »zivile Oberhoheit« wiederhergestellt wird und sie die Führung einer nationalen Koalition übernehmen.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben sie bereits vor einigen Wochen eine landesweite Protestkampagne begonnen. Erst am Freitag gab es in der Hauptstadt Kathmandu eine Massenkundgebung, an der Tausende Bürger teilnahmen. Parteichef Prachanda erklärte in einer Ansprache, die Zeit sei reif für eine »neue kommunistische Revolution«. Die alten Parteien wollten lediglich den Status quo erhalten. Wenn sie weiterhin die notwendige politische Transformation blockierten, so Prachanda, könnte die »Dritte Volksbewegung« -- von 1996 bis zum Friedensabkommen 2006 führten die Maoisten einen Volkskrieg gegen die Feudalmonarchie -- in eine »entscheidende kommunistische Revolte« übergehen.

Die Marxisten-Leninisten haben zwar begriffen, daß sie die Maoisten auf Dauer nicht ausklammern können. Doch praktisch zeigen sie sich kompromißlos. Jhala Nath Khanal, der Vorsitzende der KPN(VML), sprach von einem drohenden Desaster, wenn die Ausarbeitung der neuen Verfassung sich weiter verzögert. Finanzminister Surendra Pandey äußerte, die neue Verfassung könne nicht ohne die Maoisten geschrieben werden. Der Fahrplan für die Ausarbeitung der Konstitution der Republik ist dieser Tage bereits zum sechsten Mal korrigiert worden.

Auch für das andere grundlegende Problem zeichnet sich keine Lösung ab: die Integration der ehemaligen maoistischen Guerilleros, die seit rund einem Jahr in Lagern hausen, in die regulären Streitkräfte bzw. ihre soziale Rehabilitation. Premier Madhav Kumar Nepal hatte bei seiner Amtsübernahme vollmundig behauptet, in sechs Monaten sei dieser Prozeß abgeschlossen. Mehr als 100 Tage regiert er nun schon, und nichts ist passiert.

* Aus: junge Welt, 15. September 2009


Zurück zur "Nepal"-Seite

Zurück zur Homepage