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Neuer Anlauf in Nepal

Übergangsregierung in Kathmandu will Weichen für Parlamentswahlen stellen

Von Hilmar König *

Hunderte Demonstranten protestierten am Samstag in Kathmandu gegen die Ernennung von Khil Raj Regmi, seit Mai 2011 Chefrichter des Obersten Gerichtshofes, zum Vorsitzenden einer Übergangsregierung in Nepal. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen es auf beiden Seiten Verletzte gab.

Mit dem Amtsantritt Regmis am vorigen Donnerstag eröffnen sich Chancen, daß der Himalaja-Staat nach Jahren der Stagnation und einer tiefen politischen Krise endlich den Weg aus der Sackgasse findet. Ein Selbstläufer wird das nicht. Denn 22 Oppositionsparteien und die Vereinigung der Rechtsanwälte sind mit der jüngsten Entwicklung keineswegs einverstanden. Sie sprechen von einem »schwarzen Tag« und sehen die »hart erkämpfte Unabhängigkeit der Rechtsprechung« wegen Regmis Doppelrolle bedroht. Dieser hat aber bereits seine Absicht bekundet, seine hohe juristische Funktion ruhen zu lassen, bis er nach Wahlen im Juni das Zepter an einen Premier übergeben kann. Die kleineren politischen Parteien argumentieren, eine solche Doppelrolle sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Sie monieren zudem, die Übergangsregierung sei das »Ergebnis des Syndikats der Hauptparteien«.

Die »vier Großen«, die Vereinte KPN (Maoistisch), die regionale Vereinte Demokratische Madhesi-Front, die bürgerliche Partei Nepali Congress und die KPN (Vereinte Marxisten-Leninisten) haben nach erbitterten Debatten den Präsidenten der Republik, Ram Baran Yadav, dazu gebracht, am Donnerstag Regmi zum Vorsitzenden der »Vorläufigen Wahlregierung« zu ernennen. Die etwas verquaste Bezeichnung bedeutet, daß dieses Gremium lediglich bis zum Parlamentsvotum Bestand haben wird. Da das Parteienquartett sich seit über einem Jahr in einem harschen Machtkampf gegenseitig boykottierte und paralysierte, sah es schließlich keinen anderen Ausweg aus der Krise, als einer parteiunabhängigen Persönlichkeit die Amtsgeschäfte zu übertragen. Der fast 64jährige Jurist galt als geeignet, da er erstens als Chefrichter souverän agierte, in keinerlei Kontroversen verstrickt war und zweitens über keine Bindung an eine politische Partei verfügt.

Pünktliche, freie und faire Parlamentswahlen erklärte Regmi gleich zu Amtsbeginn zur Priorität seiner Arbeit. Sie allein führen seiner Einschätzung nach aus der Sackgasse, in der sich das Land eigentlich schon seit 2008 befindet. Da gab es nach dem Sturz der 239 Jahre währenden Monarchie und nach dem Ende eines zehnjährigen von der maoistischen Guerilla initiierten Volksbefreiungskrieges die ersten Parlamentswahlen unter republikanischen Verhältnissen. Doch die folgenden, aus immer wieder wechselnden, sich gegenseitig mißtrauenden Partnern gebildeten Koalitionsregierungen brachten keine Stabilität und Kontinuität. So blieb die Hauptaufgabe, eine den neuen Verhältnissen entsprechende Verfassung zu Papier zu bringen, bis dato unerledigt. Für das politische Chaos verwendete der nun nach 18 Monaten zurückgetretene Premier Baburam Bhattarai von der VKPN (M) die Umschreibung »einzigartiger Typ von Demokratie«. Unter dem Stillstand und Verharren in der Sackgasse litt auch die Wirtschaft des Entwicklungslandes, das im jüngsten UNDP-Bericht menschlicher Entwicklung auf einem Platz in der untersten Gruppe rangiert. 44 Prozent der Nepalesen leben unter der Armutsgrenze.

Seiner Verantwortung ist sich der provisorische Regierungschef voll bewußt. Auf der ersten Sitzung seines Kabinetts, in das er insgesamt elf ehemalige Staatsbeamte berufen wird, appellierte er am Wochenende an die Bürgergemeinschaft und die Medien, zur Schaffung einer für Wahlen günstigen Atmosphäre beizutragen. Er setze sich für Gesetz und Ordnung, Respektierung der Gewaltenteilung und Achtung der Menschenrechte ein.

Die Mehrheit des 30-Millionen-Volkes atmete jedenfalls erst einmal auf und schöpft wieder Hoffnung, daß sie die durch eine Volksbewegung zum Sturz der Monarchie geschaffenen Möglichkeiten endlich für ein besseres Leben nutzen kann. Die UNO, die USA, die EU, Großbritannien und der südliche Nachbar Indien begrüßten die Regierungsbildung in Kathmandu euphorisch als »wirklichen Fortschritt auf dem Weg zu dauerhafter Demokratie«.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. März 2013


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