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Kinder des Kampfes

Nachkommen gefallener namibischer SWAPO-Kämpfer demonstrieren für Arbeitsplätze. Protestcamp in Windhuk

Von Christian Selz, Windhuk *

Meine Eltern haben für die Unabhängigkeit dieses Landes gekämpft, damit wir eine bessere Zukunft haben, Bildung, ein besseres Leben«, sagt Saima Mathews. Sie klingt erschöpft, resigniert, ihr Blick hängt irgendwo in der Leere des kleinen Raumes in Windhuks riesigem Township Katutura. »Sie haben es nicht überlebt.« Mathews ist eines von rund 11000 Waisenkindern gefallener oder während interner »Säuberungsaktionen« verschwundener Widerstandskämpfer der namibischen Befreiungsfront SWAPO, die in den Achtzigerjahren im damaligen South West Africa und in Südangola gegen Apartheid und südafrikanische Besatzung kämpften. Eine kleine Plastikkarte, ausgestellt von der namibischen Regierung im Jahr 2008, weist Mathews wie die anderen als »Kinder des Freiheitskampfes« aus. Das Dokument ging damals einher mit dem Versprechen auf Jobs. Insgesamt zehn Jahre dauert ihr Kampf um Arbeit nun schon an. Heute sind die »Kinder« zwischen 25 und 40 Jahre alt und mehrheitlich noch immer arbeitslos.

Ende Januar haben sich rund 300 von ihnen zu Fuß auf den 800 Kilometer langen Marsch aus ihrer Heimatstadt Outapi, nahe der angolanischen Grenze, in die im Zentrum des Landes gelegene Hauptstadt Windhuk gemacht, um Premierminister Hage Geingob eine Petition zu überreichen. Doch der Vizepräsident der seit der Unabhängigkeit 1990 regierenden SWAPO will von den Versprechen seines Vorgängers nichts wissen. In der vergangenen Woche stoppte die Polizei den Marsch auf sein Büro schließlich mit Tränengas und Gummigeschossen.

»Wir werden die Frage der Arbeitslosigkeit im Land weiterhin in ganzheitlicher, systematischer und methodischer Weise angehen«, hatte Geingob schon gesagt, als er die »Struggle Kids«, wie sie sich selbst nennen, Ende Januar von ihrer weiten Protestwanderung durch das trockene Land abhalten wollte. Es sei »der einzige Weg, die gewünschten Ergebnisse für alle Namibier« zu erreichen, so Geingob damals. Im Klartext heißt das für die Kriegswaisen, daß sie nichts Besonderes sind. 51,2 Prozent beträgt die Arbeitslosenrate in dem Zwei-Millionen-Einwohner-Land, die höchste in der Region. Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind sogar sieben von zehn ohne Job. Obwohl viele über Korruption und verschwundene Millionen klagen, regiert die SWAPO nach wie vor mit deutlicher Zweidrittelmehrheit.

»Ich bin Putzfrau, dafür bin ich ausgebildet, also würde ich so einen Job akzeptieren, ich will ja keine Vorstandsvorsitzende sein«, sagt Amutenya Ndahafa mit wütender Stimme. Seit Wochen campiert sie vor dem Hauptquartier der SWAPO, einem unscheinbaren beigen Gebäude an der Schnittstelle zwischen Katutura und den nobleren Vierteln des einst Weißen vorbehaltenen Zentrums. In der vergangenen Woche hat die Polizei nach der Straßenschlacht auch das Zeltlager geräumt und die Habseligkeiten der Protestierenden beschlagnahmt. Es fehlt an Schlafplätzen, Decken und Kleidung, erzählt Ndahafa, die für eine Gruppe von rund 60 Waisen spricht. Momentan lagern sie unter einem Baum in Sichtweite des Polizeipostens am SWAPO-Hauptquartier auf der anderen Straßenseite. Die Stimmung ist gereizt und verzweifelt, nur fürs Foto recken die Kinder der Freiheitskämpfer noch einmal die Faust. Eine junge Frau hinkt vorbei, sie sei von der Polizei verprügelt worden, sagt Ndahafa. Anderen seien mit den Taschen sogar die antiretroviralen Medikamente, lebenswichtig zur Unterdrückung von AIDS bei HIV-Positiven, konfisziert worden. Doch aufgeben wollen sie um keinen Preis. »Wir gehen nirgendwo hin, ehe unsere Forderungen erfüllt sind«, sagt Ndahafa trotzig. »Es sei denn, sie bringen uns um.«

Mathews, die zuletzt vier Jahre lang im Norden des Landes in einer Apotheke gearbeitet hat, aber die Arbeitsbedingungen und die langen Anfahrtswege nicht mehr aushielt, hat sich dagegen für einen pragmatischeren Weg entschieden. Sie sucht in Windhuk inzwischen selbst nach einer Beschäftigung. Bei »0,1 Prozent« sieht sie ihre Chancen, von der Regierung noch einen Job zugeteilt zu bekommen. »Dieses Land ist korrupt, das hat schon vor langer Zeit angefangen«, sagt sie. Die Kinder der einfachen Soldaten und vergessenen Freiheitshelden hätte die zur Regierungspartei aufgestiegene Bewegung vergessen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 15. März 2013


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