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Afrikanische Schwestern

Hartnäckiger Einsatz – nicht nur für die Rechte von Lesben und sexuelle Selbstbestimmung: Frauenorganisation Sister Namibia feiert demnächst 20. Geburtstag

Von Florence Hervé *

Hinter einer grünen Fassade in der Nelson-Mandela-Straße im Norden von Windhoek hat die Organisation Sister Namibia ihren Sitz. Am Eingang des Hauses liegen Ausgaben der gleichnamigen Zeitschrift. Deren aktuelle Themen sind unter anderem das »Baby Dumping« (das verbreitete Aussetzen von Babys), Gewalt, Frauen in höheren Positionen, Gesundheit, sexuelle Rechte und immer wieder AIDS. Einige Bücher der 2004 gegründeten Frauenorganisation »Women’s Leadership Centre« sind ausgestellt: Geschichten von Namibierinnen über ihre Kultur, ihre Erfahrungen mit Gewalt und mit AIDS, aber auch mit Frauensolidarität. Im Haus untergebracht ist ein Informationszentrum zu Feminismus und Genderfragen.

Fifty-fifty

Das Sister-Kollektiv – ein Zusammenschluß von zehn schwarzen und weißen Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Lehrerinnen – gründete sich 1989, am Vorabend der Unabhängigkeit, um das Bewußtsein der Frauen zu stärken und ihnen eine Stimme beim Aufbau einer postkolonialen demokratischen Gesellschaft zu geben. Die Zeitschrift Sister Namibia kam zunächst vierteljährlich heraus, mit dem Ziel, »aktiv gegen die sexistische Diskriminierung von Frauen anzugehen«. Das Magazin veröffentlichte auch Artikel über Wohnungsnot, Ernährung, Teenagerschwangerschaften, Familienplanung, Landreform und gesetzliche Diskriminierung.

Bereits Anfang der 90er Jahre begann Sister Namibia mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten. Nach 1998 entwickelte sie die Kampagne »50/50«, in der die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am politischen Leben gefordert wurde. Seit 1999 engagieren sich die »Schwestern« auch in den Bereichen Medien (z. B. beim alternativen »Katutura Community Radio«), Bildung, Forschung und Kultur. Sie informieren über die Entwicklung in Sachen juristischer Gleichberechtigung, wehren sich gegen jegliche Form von Sexismus, Rassismus und Homophobie.

Heute ist Sister Namibia aus der politischen Szene nicht mehr wegzudenken. Die Zeitschrift, die mittlerweile alle zwei Monate erscheint und unter anderem von Oxfam, der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung und dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF gesponsert wird, hat eine Auflage von 10000 Exemplaren und wird über NGO-Netzwerke und Büchereien in ganz Namibia verbreitet. Die verantwortliche Redakteurin ist Liz Frank, eine Soziologin aus Stuttgart, die als Lehrerin in Deutschland und Australien tätig war und nach der Unabhängigkeit an der Entwicklung von Schulbüchern mitarbeitete. »In den letzten Jahren haben wir uns auf Gleichberechtigung konzentriert«, berichtet sie. Jetzt wolle man »verstärkt wieder feministisch arbeiten: Es geht u. a. um die sexuelle Macht der Männer.« Über die Entwicklung der letzten Jahre sagt sie: »Wir haben wunderbare Gesetze, andererseits nimmt die Gewalt zu«.

Sexuelle Aufklärung

Justina Shivolo, 25 Jahre, die im Bereich Erwachsenenbildung an der Universität von Windhoek studiert, ist eine der drei Beraterinnen von Sister Namibia, Trainerin mit dem Schwerpunkt Umwelt, Kultur und HIV/AIDS. Die Ovambo-Frau aus dem nördlichen Ruacana verweist auf kulturelle Traditionen, die schädlich für Frauen sind. Daher sei es wichtig, sie über ihre sexuellen und Reproduktionsrechte zu informieren. Die Hilfe für AIDS-kranke Frauen ist ein wesentlicher Schwerpunkt in der Arbeit. In den letzten Jahren waren mehr als 40 Prozent der schwangeren Frauen in der nördlichen Caprivi-Region HIV-positiv. Eine neue Kampagne für das Recht der Frau auf sexuelle Autonomie wird entwickelt, in Vorbereitung ist ein »Sexuality Resource Book for Girls and Women«, das in mehreren Hauptsprachen des Landes erscheinen wird. Es enthält Informationen unter anderem über die biologischen Vorgänge bei der Empfängnis, über Verhütungsmethoden, Abtreibung, gesellschaftliche Normen und sexuelle Praktiken in einigen ethnischen Gruppen.

Schreibwerkstätten werden gemeinsam mit dem Women’s Leadership Centre durchgeführt. Dabei werden insbesondere Frauen mit AIDS zum Schreiben ermutigt. Die Leiterin des Zentrums, Elizabeth Khaxas, Lehrerin und Schriftstellerin, erklärte in einem Interview mit der Namibischen Allgemeinen Zeitung: »Wir haben zu lange auf die ABC-Strategie bei der AIDS-Vorbeugung gesetzt. Doch die Infektionen nehmen gerade bei Frauen zu«. ABC steht für Abstain (Enthaltsamkeit), Being Faithful (Treue) und Condom use (Benutzung von Kondomen). Allein die Verteilung von Kondomen schütze Frauen nicht, betonte Khaxas, denn bei vielen Volksstämmen in Namibia hätten beim Sex allein die Männer das Sagen, und die lehnten deren Gebrauch meist vehement ab. Bestimmte Riten würden Infektionen zusätzlich fördern.

Beide Frauenorganisationen engagieren sich mit großem Einsatz und mit Bildungsangeboten auch für lesbische Frauen und andere Minderheiten. Sie arbeiten in der African Lesbian Alliance Coalition mit, die sie im März 2005 gemeinsam mit Vertretern aus elf afrikanischen Ländern gründeten. Die Koalition fordert Gleichberechtigung für Lesben in allen Lebensbereichen, informiert über das Leben lesbischer Frauen.

* Aus: junge Welt, 6. März 2009


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