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Ministerin verärgert namibische Delegation

FDP-Politikerin Cornelia Pieper brüskiert mit vorzeitigem Verlassen Gäste aus Afrika

Von Rolf-Henning Hintze *

Die Berliner Charité hat am Freitag 20 namibische Totenschädel zurückgegeben, um ein Unrecht aus Kolonialzeiten gutzumachen. Die Schädel waren vor mehr als 100 Jahren zu Forschungszwecken nach Berlin gebracht worden. Deutsche Soldaten hatten von 1904 bis 1908 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika Tausende Angehörige der Herero und Nama ermordet.

Bei der Übergabezeremonie, die bereits im Vorfeld unter anderem von der Linkspartei kritisiert worden war, weil sie nicht von der Bundesregierung, sondern von der Charité ausgerichtet wurde, kam zu einem schweren Eklat. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP), verließ die Veranstaltung, zu der eine 6oköpfige Delegation aus Namibia angereist war, unmittelbar nach ihrer Rede vorzeitig – ohne sich die Reden des namibischen Kulturministers und mehrerer traditioneller Führer angehört zu haben und ohne sich zu verabschieden. Der namibische Minister für Jugend, Sport und Kultur, Kazenambo Kazenambo, und die namibische Delegation zeigten sich schockiert über das Verhalten der deutschen Ministerin. »Leben wir in der Steinzeit oder leben wir in demokratischen, toleranten Gesellschaften?«, fragte Kazenambo Journalisten nach dem Ende der Zeremonie.

Bei der Veranstaltung hatten am Freitag nachmittag kurz nach Beginn der Rede der Staatsministerin einige wenige Mitglieder antirassistischer Gruppen und Migrantenorganisationen in den Seitengängen des Saales mit Plakaten und Zwischenrufen eine Entschuldigung und Wiedergutmachung gefordert. Pieper hielt ihre Ansprache auf deutsch und sparte Begriffe wie Völkermord und Entschädigung vollständig aus. Hingegen lobte sie die große Zahl deutscher Touristen in Namibia. Am Ende wurde ihre Rede mit Buhrufen vor allem der deutschen Zuhörer bedacht. Daraufhin verließ die Ministerin die Zeremonie.

Der namibische Kulturminister war in seiner Rede auf das brutale Vorgehen der deutschen Kolonialregierung gegen Herero und Nama eingegangen und hatte in Erinnerung gerufen, daß Oberbefehlshaber General Lothar v. Trotha später von Kaiser Wilhelm II. noch gelobt wurde: »Sie haben meine Erwartungen vollständig erfüllt.« Kazenambo unterstrich jedoch, die namibische Regierung sei an Versöhnung und guten Beziehungen zu Deutschland in gegenseitigem Respekt interessiert. Herero-Führer Kuaima Riruako insistierte in seiner Rede darauf, daß Deutschland die Verantwortung für die begangenen Grausamkeiten übernehmen, sich entschuldigen und in einen Dialog eintreten müsse. Er wiederholte auch seine Forderung, daß die Herero und Nama, die bis heute auch wirtschaftlich schwer unter den Folgen des Völkermordes leiden, von Deutschland entschädigt werden müßten.

Ein prominentes Mitglied der namibischen Delegation, der ehemalige Generalstaatsanwalt Vekuii Rukoro, bemängelte gegenüber Pressevertretern, daß die Übergabe in einem Hörsaal stattfand und der Vertrag nicht von einem deutschen Regierungsmitglied unterschrieben wurde. Die namibische Delegation betrachte das als »Beleidigung des namibischen Volkes«. Sie nahm aus Protest nicht an einem Empfang des Auswärtigen Amtes teil.

Am Ende der Veranstaltung entschuldigte sich im Namen der Zivilgesellschaft Jutta Strohm, Geschäftsführerin des Berliner Vereins AfricAvenir, für die deutschen Kolonialverbrechen. Sie entschuldige sich »von ganzem Herzen für den Genozid, den deutsche Kolonialtruppen an den Herero und Nama verübten«, sagte sie und überreichte den drei traditionellen Führern ein Kondolenzbuch, in dem Menschen ihrer Trauer Ausdruck geben und Schritte zur Versöhnung einfordern.

* Aus: junge Welt, 4. Oktober 2011


Kolonialstil

Von Ines Wallrodt **

Die Geste der Charité ist quasi bereits verpufft - dank der Bundesregierung. Zum ersten Mal überhaupt bat eine deutsche Forschungseinrichtung um Entschuldigung gegenüber Namibia. Für die Herero und Nama hat es eine große Bedeutung, 20 Schädel ihrer Vorfahren nach Hause bringen zu können. Darauf warten sie seit Jahrzehnten. Es bedeutet eine kleine Anerkennung von Schuld für die kolonialen Verbrechen in der einstigen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Aber es sind nur 20 von schätzungsweise 7000 Schädeln, die in deutschen Sammlungen liegen. Die genauen Zahlen sind bis heute nicht bekannt. Ein Zeichen für das Desinteresse an kolonialem Unrecht, das sich bis heute gehalten hat. Die Schädel wurden zersägt, vermessen, seziert, um die angebliche Minderwertigkeit dieser Menschen wissenschaftlich zu untermauern. Auch sie hätten längst an die Nachfahren zurückgegeben werden müssen. Statt dessen sind die Namibier bis heute gezwungen, als Bittsteller über die Rückgabe zu verhandeln.

Bis zu 65 000 Herero sind dem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen - und 10 000 Nama, von denen kaum jemand spricht. Zur Anerkennung von Schuld gehört auch, die Sache beim Namen zu nennen, statt aus Angst vor Entschädigungsforderungen den Völkermord weiter zu leugnen. Eine Praxis, die die Bundesregierung - egal welcher Couleur - seit Jahren betreibt und mit dem Verweis auf Entwicklungshilfe bemäntelt. Eine überzeugende Auseinandersetzung mit dem Kolonialerbe steht weiter aus.

** Aus: neues deutschland, 1. Oktober 2011 (Kommentar)


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