"Die Haltung der deutschen Regierung ist nichts anderes als ein nackter Akt von Rassismus gegen schwarze Menschen im allgemeinen und die Herero im besonderen"...
... sagt Häuptlin Riruako. Die LINKE im Bundestag fordert Wiedergutmachung der kolonialen Verbrechen Deutschlands an den Herero vor 100 Jahren
Am 13. Juni 2007 diskutierte der Deutsche Bundestag über die Frage, ob Deutschland nach über 100 Jahren für das der Herero-Nation zugefügte unermessliche Leid - damals fand ein brutaler Völkermord statt - wenigstens eine finanzielle Entschädigung zahlen soll. Ein entsprechender Antrag der Linksfraktion sieht die nachträgliche Anerkennung und Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen vor. Der Verlauf der halbstündigen Debatte und die Voreinstellung der anderen Parteien zu diesem Sachverhalt lässt darauf schließen, dass der Antrag - der nun erst in die entsprechenden Ausschüsse zur weiteren Beratung überwiesen wurde - keine Chance hat.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel dazu: der erste, längere Artikel, geschrieben vor der Bundestagsdebatte, beleuchtet grundsätzlich und historisch das Problem, der zweite fasst kurz das Ergebnis der Debatte zusammen.
"... dass die Herero-Nation als solche vernichtet werden muss"
Debatte um ungesühnten Völkermord im früheren Deutsch-Südwestafrika wird
mit großer Verspätung aufgenommen
Von Rolf-Henning Hintze *
Heute Abend (13. Juni) berät der Bundestag in erster Lesung den Antrag der Fraktion DIE LINKE. auf Anerkennung und Wiedergutmachung der Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Bislang wurde der 1904-1907 verübte Völkermord an den Völkern der Herero und Nama von keiner Bundesregierung offiziell anerkannt.
Mitten in Namibia, in Sichtweite des rötlichen Waterberg-Massivs, bewies Entwicklungsministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul vor fast drei Jahren ungewöhnlichen Mut: Sie nannte das, was hier vor
hundert Jahren in deutschem Namen vollzogen wurde, einen »Völkermord«. Vier Kilometer
außerhalb der Kleinstadt Okakarara, am Rande des Schlachtfeldes, wo am 11. August 1904 General
Lothar von Trotha die aufständischen Herero besiegte, gab die Ministerin damit etwas zu, was sich
vor ihr noch kein Regierungsmitglied zu sagen getraut hatte. Und sie ging noch einen Schritt weiter:
In ihrer Rede vor den über 6000 Zuhörern der Gedenkfeier bat sie um Entschuldigung. Weit über
Namibia und Deutschland hinaus brachte ihr das Respekt ein.
Politik hinter den Kulissen
Wenig bekannt ist indes, dass die Ministerin kurz nach ihrer Rede den traditionellen Führer der
Herero, Häuptling Kuaima Riruako, zu einem Gespräch unter vier Augen bat. In einem kleinen
Büroraum des Kulturzentrums versuchte sie, den Häuptling zu bewegen, nun die
Entschädigungsklage zurückzuziehen, die er gegen den deutschen Staat und mehrere deutsche
Unternehmen vor Gerichten in den USA angestrengt hatte. Ihr Drängen blieb jedoch erfolglos,
Riruako bestand darauf, dass es zunächst Verhandlungen und Vereinbarungen geben müsse.
Selbst zu Kolonialzeiten war die Brutalität, mit der die deutschen Truppen gegen die Herero und
anschließend gegen die Nama vorgingen, beispiellos. Das belegt u.a. ein Augenzeugenbericht des
Buren Jan Cloete, der die Schlacht am Waterberg im Dienst der Deutschen miterlebte. Er sagte
1905 unter Eid aus: »Nach der Schlacht wurden alle Männer, Frauen und Kinder getötet, die, ob
verwundet oder nicht, den Deutschen in die Hände fielen. Dann verfolgten die Deutschen die
übrigen, und alle Nachzügler am Wegesrand und im Sandfeld wurden niedergeschossen oder mit
dem Bajonett niedergemacht. Die große Masse der Herero-Männer war unbewaffnet und konnte
sich nicht wehren.« Auf von Trothas Befehl verfolgten deutsche Soldaten die Fliehenden in die
Wüste und besetzten dort die wenigen Wasserlöcher. Zehntausende verdursteten – Männer, Frauen
und Kinder.
Als Südwestafrika 1884 zum deutschen Schutzgebiet erklärt wurde, waren die Herero ein Volk
halbnomadisierender Rinderzüchter in der Mitte des Landes. Deutsche Siedler nahmen ihnen nach
und nach immer größere Teile ihres Weidelandes ab, und als dann noch Pläne der
Kolonialverwaltung bekannt wurden, die Herero in »Reservate« umzusiedeln, sahen sie sich in ihrer
Existenz gefährdet. Häuptling Samuel Maharero erklärte den Deutschen im Januar 1904 den Krieg.
Im Oktober, knapp zwei Monate nach der Schlacht am Waterberg, erließ von Trotha den
berüchtigten »Schießbefehl«: »Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. Das Volk der Herero
muss das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, werde ich es mit dem groot Rohr (Geschütz
– R.-H.H.) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr,
mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem
Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero.« Im
Gegensatz dazu hatte Häuptling Maharero seinen Kriegern befohlen, deutsche Frauen und Kinder
sowie Missionare und Engländer zu schonen.
Von Trotha war der Überzeugung, »dass die Nation (der Herero) als solche vernichtet werden
muss«. Das verletzte schon damals geltendes Völkerrecht. Reichskanzler von Bülow erzwang nach
wenigen Wochen die Rücknahme dieses Befehls, weil er fürchtete, von Trothas Vorgehen würde
»dem deutschen Ansehen unter den zivilisierten Nationen Abbruch tun«. Von nun an wurden
gefangene Herero in Lager gesperrt. Sie hießen schon damals Konzentrationslager – die ersten der
deutschen Geschichte. Ingesamt überlebten fast 80 Prozent der Herero den Krieg nicht.
Denjenigen, die ihr Leben retten konnten, nahm die Kolonialverwaltung ihr gesamtes Land weg und
verkaufte es zu Schleuderpreisen an deutsche Siedler. Zudem wurde dem traditionellen Volk von
Rinderzüchtern jegliche Haltung von Kühen verboten.
Zwei Kategorien von Völkermord
Vor drei Jahren sah es im Zusammenhang mit dem 100. Jahrestag der Waterberg-Schlacht und der
Entschuldigung der Ministerin eine Zeitlang so aus, als würde in Deutschland eine Aufarbeitung
dieses Völkermords beginnen. Fernseh- und Radiosender und viele Zeitungen berichteten plötzlich
ungewöhnlich ausführlich über die deutsche Kolonialvergangenheit im heutigen Namibia und sparten
auch den Völkermord nicht aus. Nach der Rede der Ministerin keimten vor allem bei den Herero
Hoffnungen, nun könne endlich eine Versöhnung beginnen. Doch die Hoffnungen erfüllten sich nicht.
Wenn der Bundestag nun mit großer Verspätung eine Debatte führt, wie eine angemessene Antwort
auf den Völkermord aussehen könnte, ist das zu einem Teil auch das Verdienst zweier
Nichtregierungsorganisationen (NRO). Als fast zwei Jahre nach der Entschuldigung der Ministerin
die Versöhnung noch immer kein Stück vorangekommen war, wandten sich die Informationsstelle
Südliches Afrika (ISSA) und die Koordination Südliches Afrika (KOSA) im Mai 2006 an die
Öffentlichkeit. Die Nachfahren der Herero und Nama hätten »ein Recht auf materielle
Entschädigung«, forderten sie. Der Bundesregierung warfen sie vor, den fatalen Eindruck zu
erwecken, es gebe für sie »zwei Kategorien von Völkermord: einen mit Anspruch auf
Wiedergutmachung und einen ohne« – abhängig offenbar von der Hautfarbe. Scharf kritisierten die
beiden NRO auch eine einseitig konzipierte »Versöhnungsinitiative« Wieczorek-Zeuls. Im Mai 2005
hatte die Ministerin ohne Absprache mit den Betroffenen öffentlich in Düsseldorf erklärt, sie wolle 20
Millionen Euro zusätzlich zur Entwicklungshilfe für Projekte im Herero- und Nama-Gebiet
bereitstellen. Erst durch die Zeitung erfuhren die betroffenen Gruppen und die namibische
Regierung davon. Dass Versöhnung nur auf der Grundlage von Respekt gelingen kann, schien der
Leitung des Ministeriums unbekannt.
Die beiden NRO wandten ein, wenn sich die deutsche Regierung ernsthaft ihrer historischen
Verantwortung stellen wolle, gebiete es der Respekt gegenüber den Opfern, »dass deren
Nachfahren ihre Vorstellungen einbringen können«. Zudem könnten 20 Millionen für ein Verbrechen
wie Völkermord nicht im Mindesten als angemessen gelten.
Dieser Meinung schloss sich Hüseyin Aydin, ein Mitglied der Linksfraktion, an. Als erster
Bundestagsabgeordneter bekräftigte er, die Herero und Nama hätten wegen des Völkermords einen
Anspruch auf Wiedergutmachung. In den namibischen Medien löste das – im Unterschied zu den
deutschen – ein lebhaftes Echo aus. Als erster deutscher Abgeordneter wurde Aydin eingeladen,
beim alljährlichen Herero-Tag in Okahadja, der Stadt der Häuptlingsgräber, zu sprechen.
Als Namibia vor 17 Jahren seine Unabhängigkeit erhielt, entschied die damals CDU-geführte
Bundesregierung, dem Land wegen der »besonderen Beziehungen«, wie es vage hieß, eine höhere
Pro-Kopf-Entwicklungshilfe als den anderen afrikanischen Staaten zu geben. Wenn immer die
Forderung nach Entschädigung für den Völkermord auftauchte, hatte man so eine Antwort parat. Die
SWAPO-Regierung war mit dieser Regelung lange Zeit zufrieden, konnte sie doch die
Entwicklungshilfe größtenteils ins frühere Ovamboland lenken, wo sie ihre Stammwählerschaft hat.
Die Lebensbedingungen der Herero und Nama blieben hingegegen erbärmlich – dort kam kaum
Hilfe an.
Wende in Namibias Parlament
Die Wende kam im vergangenen Herbst. Auf Initiative Häuptling Riruakos debattierte das
namibische Parlament wochenlang über Völkermord und Wiedergutmachung. Der Herero-Führer,
der die von ihm geführte Partei NUDO (National Unity Democratic Organisation) als Abgeordneter
vertritt, zählte noch einmal die Verbrechen der deutschen Kolonialzeit auf. Und dann sagte er etwas,
was in Namibia nicht nur unter Herero viel Zustimmung fand: »Mein Volk hat die armseligen
Versuche der deutschen Regierung zurückgewiesen, sich hinter diskreditierten legalistischen
Argumenten zu verbergen, um die Wiedergutmachungsforderung des Herero-Volkes abzulehnen,
während zugleich die Wiedergutmachungszahlungen an die Juden für ähnliche Verbrechen, die
während des Hitler-Regimes begangen wurden, für rechtens erklärt werden. Eine solche Haltung der
deutschen Regierung ist nichts anderes als ein nackter Akt von Rassismus gegen schwarze
Menschen im allgemeinen und die Herero im besonderen.« Unter dem Druck der öffentlichen
Meinung sekundierte auch die Regierungspartei SWAPO, am Ende wurde der Parlamentsbeschluss
einstimmig gefasst: Die deutsche Regierung soll sich zu Verhandlungen über Wiedergutmachung
bereiterklären.
Wenn die Aussprache im Bundestag beginnt, wird auf der Zuschauertribüne auch ein Gast aus
Namibia sitzen: Häuptling Riruako will persönlich dabei sein. Seit Namibias
Unabhängigkeitserklärung kämpft er für die Wiedergutmachung des damaligen Unrechts.
* Aus: Neues Deutschland, 13. Juni 2007
Keine Entschädigung
Der Bundestag debattierte über den Völkermord an den Herero und Nama vor 103 Jahren
Von Rolf-Henning Hintze **
Ein Antrag der Linksfraktion, den Völkermord an den Herero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika anzuerkennen und die Bereitschaft zu Entschädigungszahlungen zu erklären, ist am Mittwoch abend (13. Juni) im Bundestag bei den neoliberalen Parteien auf Ablehnung gestoßen. Zur weiteren Beratung wurde das Papier an die zuständigen Ausschüsse verwiesen.
Zu Beginn der Debatte, die der Hereoführer Häuptling Kuaima Riruakoe auf der Besuchertribüne verfolgte, begründete Hüseyin Aydin den Antrag mit den Worten, es müsse ein Weg gefunden werden, die Wunden der Vergangenheit zu heilen. Die Aussöhnung mit den Völkern Namibias dürfe keinen Raum für parteipolitischen Streit lassen.
Für die CDU/CSU erklärte Anke Eymer, »vereinzelte Stimmen« für die Wiedergutmachung in Namibia entsprächen nicht der allgemeinen Sicht dort. Eine »einseitige Erfüllung von Sonderwünschen« würde die deutsch-namibischen Beziehungen belasten. Sie erwähnte jedoch nicht, daß sich das namibische Parlament im Oktober einstimmig für Wiedergutmachungsforderungen ausgesprochen hat. Der SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen rief in Erinnerung, daß General von Trotha, der damalige deutsche Oberbefehlshaber, erklärt habe, er wolle die aufständischen Stämme »mit Strömen von Blut (zu) vernichten«. Für die Grünen erklärte Jürgen Trittin, ein interfraktioneller Antrag wäre der Sache zuträglicher gewesen. Mehrere Zwischenfragen stellten hingegen klar, daß sich die Linksfraktion genau darum vergeblich bemüht hatte.
Am Vormittag hatte Riruako vor Journalisten erklärt, er sei nicht auf Rache aus, sondern er wolle mit den Deutschen »über unsere koloniale Erfahrungen sprechen«. 103 Jahre nach dem Vernichtungskrieg des deutschen Kaiserreichs gegen sein Volk stünden viele Menschen nach wie vor ohne Land da.
** Aus: junge Welt, 15. Juni 2007
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