Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wüstenwunder

Namibia: Bedingungsloses Grundeinkommen in Kalahari-Dorf. Pilotprojekt schafft Arbeit und fördert lokale Wirtschaft. Regierende SWAPO will Vorzeigemodell einstampfen

Von Christian Selz, Otjivero *

Ein gutgehendes Geschäft hat Frida Nembwaya in Namibia aufgemacht. Es ist zwar nur eine kleine Bäckerei, aber die Erträge ermöglichen ihr und ihrer Familie ein gutes Auskommen. Noch vor vier Jahren hätte die Mutter von acht Kindern nicht im Traum daran gedacht, einmal selbständig zu werden – aussichtslos war das in Otjivero, einer aus Blech und Zeltplanen zusammengezimmerten Armutssiedlung 100 Kilometer östlich der namibischen Hauptstadt Windhuk. Dann begann die Basic Income Grant Coalition Namibia (BIG), ein Bündnis aus Kirchen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften, mit staatlicher Hilfe ab Januar 2008 jedem Dorfbewohner monatlich ein Bedingungsloses Grundeinkommen von 100 namibischen Dollar (10 Euro) auszuzahlen – das erste Pilotprojekt seiner Art landesweit.

Kaum Arbeitsplätze

Nembwaya fing sofort an zu backen. Umgerechnet 250 Euro verdient sie so inzwischen pro Monat, erzählt die 38jährige stolz – fünfmal soviel wie ihr Mann, der auf einer Farm arbeitet. Andere Arbeitsplätze gibt es kaum in den extrem dünn besiedelten, flachen Weiten der Kalahari-Halbwüste. Die Arbeiter sind der Willkür der Grundbesitzer ausgeliefert, das zeigt sich in Otjivero besonders kraß. Viele Bewohner der Hüttensiedlung sind nämlich nicht freiwillig hier, sie wurden von ihren ehemaligen Arbeitgebern von der Farm gejagt und einfach am Ortsrand abgeladen. »Die Farmer schmeißen die ganze Familie raus, und dann müssen die hier bleiben«, schildert Hildegaard Klaasen die entsetzliche Praxis. Wie Nembwaya ist auch die 53jährige seit ein paar Jahren Geschäftsfrau. Vorher hat sie 21 Jahre lang auf einer Farm gearbeitet. Klaasen legte sich eine Nähmaschine zu und schneidert heute traditionelle Kleider – dank des Grundeinkommens hat sie genügend solvente Kundschaft. Durch die Löcher im Dach ihrer Wellblechhütte, die gleichzeitig Schlaf- und Arbeitsplatz ist, lugt die Sonne, in den Strahlen tanzt der allgegenwärtige Staub. Das Leben hier ist harsch, besonders während der Platzregen im Sommer oder in den winterlichen Frostnächten. Doch Klaasen klagt nicht. Sie ist froh, eine Beschäftigung zu haben, die die Familie versorgt. Ihr Mann ist krank und kann nicht arbeiten, die drei ältesten Töchter, so träumt sie, sollen einmal in Windhuk studieren – und eine bessere Zukunft haben.

Kinder profitieren

Es sind keine Reichtümer, die die Menschen in Otjivero erhalten, aber das Geld hat den Ort verändert. Die Zahl unterernährter Kinder ist nach Angaben der örtlichen Klinik bereits in den ersten sechs Monaten von 42 auf zehn Prozent gesunken. »Die Leute können sich jetzt auch warme Sachen und Seife leisten, die Kinder werden seltener krank«, sagt Mary Ogolla, die leitende Schwester. Eine Behandlung dort kostet vier namibische Dollar (40 Euro-Cent), doch selbst das hätten viele Patienten vor Einführung des Grundeinkommens nicht bezahlen können. Inzwischen können HIV-Patienten dort sogar ihre antiretroviralen Medikamente abholen – sie konnten sich die Reise ins nächste Krankenhaus oft nicht leisten. Auch an der örtlichen Grundschule sind die Folgen des Grundeinkommens sichtbar, die Schüler auf dem Pausenhof tragen heute größtenteils Uniform statt löchriger Fetzen. Nahezu alle Eltern können inzwischen das Schulgeld bezahlen und 25 der 26 Siebtklässler haben die höchste Stufe der Grundschule bestanden. Für die Zeit danach fehlt aber noch immer die Perspektive: »Selbst die, die am besten abschneiden, sieht man im Januar noch hier«, bemängelt Schulleiterin Rebecca Heita. »Wenn man sie fragt, warum sie nicht zur Sekundarschule gehen, sagen sie nur: ›Es ist kein Geld da‹.« Eine weiterführende Schule gibt es in Otjivero ohnehin nicht, und den meisten fehlt das Geld, die Kinder ins teure Windhuk oder das 120 Kilometer entfernte Gobabis zu schicken.

Frida Nembwaya hat es trotzdem gemacht, ihr ältester Sohn geht auf eine High School in Windhuk. Er ist nicht der einzige, der diesen Weg eingeschlagen hat, mehrere Menschen in Otjivero haben sich Fahrgeld zusammengespart, um in die Hauptstadt zu reisen und dort per Zeitungsanzeige eine Arbeit zu suchen. Es klappt nicht immer, aber es ist ein Schimmer der Hoffnung für die marginalisierten Menschen von Otjivero. Die Zukunft jedoch ist ungewiß, denn die namibische Regierung versagt dem Pilotprojekt die weitere Unterstützung, von einer ursprünglich angedachten Ausweitung ganz zu schweigen. Selbst der mit der regierenden SWAPO verbündete Gewerkschaftsbund NUNW zog sich im vergangenen Jahr aus dem BIG zurück. »Die Regierung glaubt, wir machten die Menschen faul, aber das Gegenteil ist der Fall«, sagt Projektmitarbeiterin Tuhafeni Handima. Empirische Untersuchungen internationaler Teams belegen das zwar, doch die Regierenden schauen weg. »Selbst sehen überzeugt, aber die waren niemals hier«, klagt Handima. Das BIG-Bündnis berät nun, ob das Projekt weiterhin mit Spenden finanziert werden kann. Andernfalls gäbe es kaum noch Kunden, die in Nembawayas Bäckerei und Klaasens Kleidergeschäft einkaufen gehen.

* Aus: junge Welt, 9. Dezember 2011


Zurück zur Namibia-Seite

Zurück zur Homepage