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Deutschland verweigert die Verantwortung

Die LINKE steht im Bundestag in Sachen Anerkennung des Völkermordes zwar nicht mehr allein, eine Mehrheit ist jedoch noch nicht in Sicht

Von Martin Ling *

Unter Historikern gibt es wenig Zweifel: Der Kolonialkrieg gegen die Herero und Nama war Völkermord. Bundesregierungen egal welcher Couleur weigern sich indes, das anzuerkennen, um Reparationsforderungen auszuweichen. Im Bundestag wird immer wieder darüber debattiert: Zuletzt wurde im März 2012 ein Antrag der LINKEN abgelehnt.

Es ist eine lange Geschichte und sie ist noch längst nicht zu Ende: Bisher weigert sich die Bundesrepublik Deutschland beharrlich, für die Kolonialverbrechen des Deutschen Kaiserreiches (1871 bis 1918) aufzukommen. Das gilt auch für das größte dieser Verbrechen: den Völkermord an Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika.

Bewegung in die Diskussion brachte 2004 die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Sie entschuldigte sich bei den Gedenkfeiern an die Herero-Aufstände am 14. August in Okakarara mit einer viel beachteten Rede für die von Deutschen begangenen Verbrechen. Allerdings war die Rede vorher juristisch überprüft worden, damit keine Ansprüche daraus abgeleitet werden konnten.

Das vom damaligen Außenminister Joseph Fischer (Grüne) ausgegebene Ziel, das Volk der Herero durch eine nicht »entschädigungsrelevante Geste« zum Rückzug seiner Schadenersatzforderungen zu bewegen, wurde indes verfehlt. Ganz im Gegenteil: 2006 verlangte das namibische Parlament in einer einstimmig angenommenen Erklärung Wiedergutmachung für den Völkermord und schloss sich damit den Forderungen von Herero und Nama-Verbänden an. Wie brutal die deutschen Truppen vorgingen, belegt unter anderem ein Augenzeugenbericht des Buren Jan Cloete, der die entscheidende Schlacht am Waterberg im August 1904 im Dienst der Deutschen miterlebte. Er sagte 1905 unter Eid aus: »Nach der Schlacht wurden alle Männer, Frauen und Kinder getötet, die, ob verwundet oder nicht, den Deutschen in die Hände fielen.« Der Bundestag setzte sich 2007 und 2012 mit Anträgen der Linksfraktion auf Anerkennung und Wiedergutmachung der Kolonialverbrechen auseinander. Beide wurden abgelehnt - im März 2012 mit der schwarz-gelben Mehrheit der Regierungsparteien sowohl die Anträge der Linksfraktion als auch der gemeinsame Antrag von SPD und Grünen.

Das Thema ist damit aber nicht vom Tisch. Niema Movassat, der im März den Antrag für die Linksfraktion im Bundestag begründete, kündigte gegenüber »nd« an, mit einer Kleinen Anfrage zu beleuchten, was aus der Sonderinitiative von Wieczorek-Zeul aus dem Jahre 2004 zur Förderung von Herero und Nama konkret geworden ist. Auf seiner Namibia-Reise im vergangenen Sommer hätten ihm Herero- und Nama-Vertreter eindrücklich vor Augen geführt, dass die soziale Benachteiligung fortbestehe und bis heute keine Kompensation für Vieh und Landdiebstahl erfolgt sei. Dass dieser Missstand endlich behoben wird und Deutschland seine Verantwortung für den Völkermord übernimmt, sei ein gemeinsames Ziel der LINKEN und der Herero und Nama. Das letzte Wort ist in dieser Geschichte noch nicht gesprochen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 04. Januar 2013


»Wiedergutmachung ist nötig«

Nama-Häuptling David Frederick über deutsche Verbrechen in der einstigen Kolonie Deutsch-Südwestafrika **


David Frederick, der traditionelle Führer der Bethanien-Nama im Süden Namibias, gehört zu denjenigen, die auf der Forderung nach Wiedergutmachung für den Völkermord der Deutschen bestehen. 1907 starb sein Urgroßvater, Häuptling Cornelius Frederick, unter den elenden Bedingungen im deutschen Konzentrationslager auf der Haifischinsel. Über die akutelle Lage der Nama sprach mit Frederick für »nd« Rolf-Henning Hintze.


nd: Chief Frederick, 2013 planen die Nama zusammen mit den Herero einen langen Protestmarsch von der Hafenstadt Lüderitz nach Windhoek, in die Hauptstadt. Was wollen Sie mit diesem Marsch erreichen?

Frederick: Ich habe diese Demonstration erstmals vor über sechs Jahren geplant. Die Idee ist zu zeigen, wie betroffen wir sind. Unsere Vorväter wurden Opfer eines Völkermords, ihre Schädel wurden nach Deutschland gebracht, der meines Urgroßvaters auch. Es scheint aber, als wäre Wiedergutmachung für Deutschland kein Thema. Mit der Demonstration von Lüderitz nach Windhoek wollen wir noch einmal unterstreichen, dass Wiedergutmachung nötig ist.

Unlängst wurden beim Bau einer Eisenbahnlinie Knochen von Häftlingen eines Konzentrationslagers auf der Haifischinsel entdeckt. Um wie viele Tote handelte es sich?

Es muss eine große Zahl gewesen sein, schätzungsweise über 1000, denn es waren sehr, sehr viele Knochen, sie füllten 24 Säcke. Wir - Herero und Nama - legten die Knochen in Särge und gaben ihnen ein vorläufiges Begräbnis.

Die eigentliche Beisetzungszeremonie steht demnach noch aus?

Die offizielle Zeremonie wird noch stattfinden. Wir planen eine große Gedenkfeier, im Rahmen derer die Gebeine in einer ordentlichen Zeremonie beigesetzt werden. Wir wollen dort auch einen Schrein errichten, nicht nur einen Grabstein. Auch auf der Haifischinsel soll es einen Schrein geben. Es ist schwer, darüber zu sprechen, was damals geschehen ist. Die Frauen wurden am schlimmsten behandelt. Sie wurden vergewaltigt und danach, nachdem die Männer geköpft worden waren, mussten sie deren Köpfe mit heißem Wasser säubern, weil die Deutschen die Schädel mitnehmen wollten.

Wie wurden die Knochen entdeckt?

Die Gräber wurden 2011 entdeckt, als man dort eine Eisenbahnlinie baute, die über den Friedhof führte. Bulldozer stießen auf die Knochen. Als sie ausgegraben wurden, legte der Wind weitere Knochen von den Sandhaufen der restlichen Erde frei. Mehrere Menschen kamen zu mir und berichteten mir darüber. Die Toten waren Häftlinge des KZ auf der Haifischinsel. Es gibt Aufzeichnungen darüber, wie viele Menschen an den einzelnen Tagen zu Tode kamen. Sie wurden in Gräbern in der Wüste bei Lüderitz begraben. Wer am nächsten Tag sterben würde, musste noch die Gräber graben. So war das von 1904 bis 1908.

Von Lüderitz nach Windhoek, das sind Hunderte von Kilometern, ein sehr langer Weg für eine Demonstration. Wie ist das gedacht?

Wir wollen der deutschen Botschaft eine Petition überreichen, die sagt: Dies haben eure Leute meinem Volk angetan, wir brauchen Wiedergutmachung. So habt ihr unsere Menschen behandelt und so sind sie gestorben. Ihr müsst einen Plan machen, wir benötigen Wiedergutmachung. Diese Petition richtet sich aber nicht nur an die deutsche Regierung, sie richtet sich auch an die namibische Regierung und soll ihr sagen: Auf diese Weise wurden Herero und Nama damals vernichtet. Nehmt das zur Kenntnis!

Die Nama-Bevölkerung ist heute offensichtlich noch stärker von Armut betroffen als die anderen Volksgruppen in Namibia.

Ja, die Nama sind die am stärksten verarmte Gruppe. Der Völkermord hat zuerst Nama betroffen, mit dem Krieg wurde ihnen das Land genommen. Sie verloren ihr Land und ihr Vieh, daraus resultiert die Armut. Deswegen wollen wir demonstrieren, wir wollen aufmerksam machen darauf, was wir verloren haben.

Die deutsche Regierung hat vor einigen Jahren eine Sonderinitiative für die »besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen« beschlossen. Welche Ergebnisse brachte diese Sonderinitiative für die acht unterschiedlichen Nama-Gruppen?

Als diese Initiative begann, wurde uns erklärt, jede Gruppe würde 2000 Ziegen bekommen. Man entschied sich für Ziegen, weil die Bevölkerung in den südlichen Gebieten Tierzucht betreibt. 2000 Ziegen für jede der Gruppen - das war eine gute Idee. Wir dachten, wenn das geschieht, wird die Armut deutlich verringert. Aber das wurde nie in die Tat umgesetzt. Es brauchte Jahre, und am Ende berief die Regierung Berater, die hin und her fuhren und von diesen Geldern bezahlt wurden. Nach so vielen Jahren haben wir erfahren, dass das Geld, das gegeben wurde, weniger geworden ist, beispielsweise: Von 100 000, die es ursprünglich waren, blieben nur 60 000 übrig.

Am Ende wurde die Verantwortung der Agra Cooperative übertragen. Jetzt haben wir leider erfahren, dass Agra diese Ziegen auf Ausschreibungen hin vergeben will. Wir können das nicht verstehen: Die verarmte Bevölkerung bekommt keine Unterstützung, weil die Ziegen jetzt verkauft werden, also ein Preis zu bezahlen ist. Das war nicht die ursprüngliche Idee. Also das ist ein totgeborenes Kind.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 04. Januar 2013


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