"Politische und moralische Verantwortung dokumentieren" - Aber nicht entschädigen
Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul in Namibia - Ihre Rede und ein Kommentar
Am 11. August 2004 startete Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul zu einer Reise nach Namibia, um dort am Gedenken an die Niederschlagung des Herero-Aufstands vor 100 Jahren teilzunehmen. Die Ministerin hat sich im Namen der Bundesregierung für die Untaten des damaligen deutschen Militärs entschuldigt. Von materiellen Entschädigungsleistungen an die Nachfahren der Opfer ist indessen keine Rede.
Wir dokumentieren im Folgenden -
die offizielle Pressemitteilung des Entwicklungsministeriums,
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die Rede von Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten der Herero-Aufstände in Namibia am 14. August 2004 und
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einen kurzen Kommentar von Marina Achenbach aus der Wochenzeitung "Freitag".
Pressemitteilungen
11.08.2004
"Politische und moralische Verantwortung dokumentieren"
Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul reist zum Gedenken an Niederschlagung des Herero-Aufstands nach Namibia An diesem Mittwoch reist Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zu einem viertägigen Besuch nach Namibia. Anlass der Reise ist der 100. Jahrestag der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstands der Herero und Nama durch die kaiserlichen Truppen unter dem Oberbefehl von General Lothar von Trotha. Zum Gedenken an die Opfer dieses Aufstands findet am 14. August am Waterberg, wo es vor 100 Jahren zur Entscheidungsschlacht kam, eine Gedenkveranstaltung statt. Während dieser Gedenkfeiern, die von Vertretern der Hereros und Namas veranstaltet werden, wird Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul eine Rede halten. "Mit meiner Reise nach Namibia und meiner Teilnahme an der Gedenkveranstaltung möchte ich die besondere politische und moralische Verantwortung Deutschlands für die Vergangenheit und koloniale Schuld dokumentieren. Gleichzeitig möchte ich die besondere Verantwortung Deutschlands für Namibia deutlich machen", erklärte die Ministerin vor ihrer Abreise. Die Ministerin wird als Vertreterin der Bundesregierung an diesen Gedenkfeierlichkeiten teilnehmen. Darüber hinaus wird die Ministerin auch mit Vertretern und Vertreterinnen der Herero zu einem gemeinsamen Gespräch zusammentreffen. Im Zuge der Gedenkfeierlichkeiten wird Wieczorek-Zeul ein mit deutschen Mitteln finanziertes Kulturzentrum am Waterberg einweihen. Das Kulturzentrum soll als Ort der Begegnung und zur Darstellung von Geschichte und Lebensweise der Hereros dienen.
Weitere Schwerpunkte der Reise werden Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der namibischen Regierung sein. So wird die Ministerin mit Präsident Nujoma, Außenminister Hausiku, Landminister Pohamba und Gesundheitsministerin Amathila zusammentreffen. Inhalt dieser Gespräche werden die deutsch-namibischen Beziehungen, die deutsch-namibische Entwicklungszusammenarbeit und die Entwicklung in der Region sein. Dabei wird eine zentrale Frage auch die notwendige Landreform sein.
Der Besuch der Ministerin dient zudem der weiteren Vertiefung der guten, freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen Deutschland und Namibia seit der Unabhängigkeit des Landes 1990 bestehen. Ausdruck dieser besonderen Beziehung sind zahlreiche politische Kontakte und Besuche sowie eine intensive Entwicklungszusammenarbeit. So unterstützt die Bundesregierung Namibia pro Jahr mit 11,5 Millionen Euro. Das sind die höchsten deutschen Entwicklungsleistungen in ganz Afrika, umgerechnet auf die Bevölkerungszahl.
Die deutsch-namibische Zusammenarbeit konzentriert sich darauf, die Folgen von Kolonialismus, Unterdrückung und Apartheid zu überwinden. Dazu gehört vor allem die Unterstützung einer gerechten und rechtsstaatlichen Landreform. Weitere Schwerpunkte der deutsch-namibischen Entwicklungszusammenarbeit sind die Verbesserung des Transportwesens, die Durchführung von Wirtschaftsreformen, der Schutz natürlicher Ressourcen und die Bekämpfung von HIV/AIDS.
14.08.2004
Rede von Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten der Herero-Aufstände in Namibia
Es ist für mich eine Ehre, heute an Ihren Gedenkfeierlichkeiten teilnehmen zu dürfen.
Ich danke Ihnen dafür, dass ich als deutsche Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, als Vertreterin der Deutschen Bundesregierung und des Deutschen Bundestages hier zu Ihnen sprechen darf. Ich bin aber auch hier, um Ihnen zuzuhören.
Gedenken an die Gräueltaten von 1904
Es gilt für mich an diesem Tage, die Gewalttaten der deutschen Kolonialmacht in Erinnerung zu rufen, die sie an Ihren Vorfahren beging, insbesondere gegenüber den Herero und den Nama.
Ich bin mir der Gräueltaten schmerzlich bewusst: Die deutschen Kolonialherren hatten Ende des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung von ihrem Land vertrieben. Als sich die Herero, als sich Ihre Vorfahren dagegen wehrten, führten die Truppen des General von Trotha gegen sie und die Nama einen Vernichtungskrieg. In seinem berüchtigten Schießbefehl hatte General von Trotha befohlen, jeden Herero zu erschießen - auch Frauen und Kinder nicht zu schonen.
Die Schlacht am Waterberg 1904 endete damit, dass die Überlebenden in die Omaheke-Wüste getrieben, ihnen jeder Zugang zu Wasserstellen verwehrt wurde und sie verhungern und verdursten mussten.
In der Folge der Aufstände wurden überlebende Herero, Nama und Damara in Lagern gefangengehalten und zu Zwangsarbeit gezwungen, deren Brutalität viele nicht überlebten.
Anerkennung des Freiheitskampfes
Wir würdigen die mutigen Männer und Frauen insbesondere der Herero und Nama, die gekämpft und gelitten haben, damit ihre Kinder und Kindeskinder in Freiheit leben.
Ich gedenke mit Hochachtung Ihrer Vorfahren, die im Kampf gegen ihre deutschen Unterdrücker gestorben sind.
Bereits 1904 gab es auch in Deutschland Gegner dieses Unterdrückungskrieges. Einer dieser Kritiker war der damalige Vorsitzende der Partei, der ich angehöre, August Bebel. Er hat die Unterdrückung der Herero im Deutschen Reichstag auf das Schärfste kritisiert und ihren Aufstand als gerechten Befreiungskampf gewürdigt. Darauf bin ich heute stolz.
Bitte um Vergebung
Vor hundert Jahren wurden die Unterdrücker - verblendet von kolonialem Wahn - in deutschem Namen zu Sendboten von Gewalt, Diskriminierung, Rassismus und Vernichtung.
Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde - für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde.
Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben.
Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen "Vater unser" um Vergebung unserer Schuld.
Ohne bewusste Erinnerung, ohne tiefe Trauer kann es keine Versöhnung geben.
Versöhnung braucht Erinnerung.
Das Gedenkjahr 2004 sollte auch ein Jahr der Versöhnung werden.
Wir ehren heute die Toten. Wer sich nicht erinnert, wird blind für die Gegenwart. Mit dem Erinnern sollten wir Kraft für Gegenwart und Zukunft gewinnen.
Gemeinsame Vision von Freiheit und Gerechtigkeit
Die Grundlage von Namibias Unabhängigkeit - das ist die Entschlossenheit, die Tapferkeit der Menschen in Namibia und die Vision auch Ihrer Vorfahren. 14 Jahre Unabhängigkeit sind für die Menschen in Namibia ein Grund, stolz zu sein.
Ihre und unsere Vision einer gerechteren, friedlichen und menschlicheren Welt gründet auf der Zurückweisung und Überwindung chauvinistischer Machtpolitik und jeder Form der Apartheid. Wir teilen die Vision der Menschen, die für Freiheit und Würde oder gegen jedwede Diskriminierung gekämpft haben. Eine Vision der Freiheit, des Rechts, des gegenseitigen Respekts und der Achtung der Menschenrechte. Das Volk Namibias hat sich mit der Unabhängigkeit die Chance erkämpft, diese Vision zu verwirklichen. Ich bin froh und stolz, dass es für diesen Unabhängigkeitskampf und darüber hinaus vielfältigste Unterstützung auch aus unserem Lande gab.
Verpflichtung zu Beistand und Hilfe
Deutschland hat die bitteren Lektionen der Geschichte gelernt: Wir sind ein weltoffenes Land, das inzwischen in vielerlei Hinsicht multikulturell ist. Wir haben die deutsche Wiedervereinigung auf friedlichem Wege erreicht und freuen uns, einer erweiterten Europäischen Union anzugehören. Wir sind engagiertes Mitglied der Vereinten Nationen und setzen uns weltweit für Frieden, die Achtung der Menschenrechte, Entwicklung und Armutsbekämpfung ein. Wir leisten der Bevölkerung Afrikas kontinuierlich Hilfe und unterstützen die NEPAD-Initiative intensiv.
Wir bekennen uns zu unserer besonderen historischen Verantwortung gegenüber Namibia und wollen die enge Partnerschaft auf allen Ebenen fortsetzen. Nach vorne schauend will und wird Deutschland Namibia weiter dabei unterstützen, die Entwicklungsherausforderungen anzugehen, das gilt vor allem für die Unterstützung bei der notwendigen Landreform.
Ich wünsche mir und uns allen sehr, dass auch dieses Kulturzentrum in Okakarara ein Ort für Gespräche und Austausch über Vergangenheit und Zukunft zwischen Deutschen und Namibiern sein wird. Ich wünsche mir, das wir aus der mit diesem Ort verbundenen traurigen Vergangenheit Kraft für eine positive Zukunft in Frieden und Freundschaft schöpfen.
"In einer Zeit der gesichtslosen Globalisierung", so hat es Bischof Dr. Kameeta in einem Interview ausgedrückt, "müssen wir klar und deutlich von der Hoffnung für die Welt sprechen und bewusst machen, dass das Überleben dieser Welt und unseres Planeten nicht heißen kann, die gesamte Arbeit in wenigen Händen und in nur wenigen Ländern zu konzentrieren, sondern, dass es darum geht, die Ressourcen in der ganzen Welt zu teilen und Sorge dafür zu tragen, dass die Weltbevölkerung gleichermaßen an diesen Ressourcen beteiligt wird".
In diesem Geist der Hoffnung gilt unsere gemeinsame Verpflichtung einer gerechteren Welt, besseren Lebensverhältnissen hier und überall auf der Welt.
Ich danke Ihnen.
Kein Ende der Leidenszeit
Von Marina Achenbach
Hundert Jahre nach dem Völkermord in "Deutsch-Südwest"Hereroland, rote und gelbe Erde, Farmen hinter Stacheldrahtzäunen, Steppe und Wald bis zum Waterberg. Dort wurden die aufständischen Viehzüchter von den kaiserlichen deutschen Schutztruppen geschlagen. Das Thema kommt ungerufen und unwillkommen wieder zurück nach Deutschland. Um das Datum 11. August stören uns Artikel und Sendungen auf, hören wir von Versöhnungskonzepten und Vorwürfen der Hereros aus Namibia, die wegen der Bundestagsresolution vom Juni gekränkt sind. Das geschichtliche Geschehen verschwindet einfach nicht aus dem Gedächtnis. Die deutschstämmigen Farmer, die seit jenem Sieg in mehreren Generationen dieses Land bewirtschaften, sind überrascht, wissen von der Geschichte nichts oder verbergen es. In ihren Familien wurden offenbar eher die rassistischen Anekdoten weitergegeben, in deren Hintergrund die große Legende von der Unfähigkeit der "Eingeborenen" aufragt.
Nach ihrer Niederlage lief das Programm zur Vernichtung der Hereros an - durch Vertreibung und Internierung in "Konzentrationslagern". Das Wort war damit ins Deutsche aufgenommen, das erste "moderne" Programm dieser Art lief ab, im Rückblick eine Ankündigung des systematischen Völkermordens im 20. Jahrhundert, fast seine Erfindung. Manchmal muss man in den Originalton hineinhören, um zu begreifen, in welchem Geist gehandelt wurde: So berichtete das Gouvernement Windhuk drei Jahre später an die Kolonialabteilung in Berlin, nachdem wohl 80 Prozent der Hereros umgekommen waren: "Je mehr das Hererovolk am eigenen Leibe nunmehr erst die Folgen des Aufstandes empfindet, desto weniger wird ihm auf Generationen hinaus nach einer Wiederholung des Aufstandes gelüsten. Unsere eigentlichen kriegerischen Erfolge haben geringeren Eindruck auf sie gemacht. Nachhaltigere Wirkung verspreche ich mir von der Leidenszeit, die sie jetzt durchmachen. Wirtschaftlich bedeutet der Tod so vieler Menschen allerdings einen Verlust."
Seitdem sind die selbstbewussten Hereros eine arme, landlose Bevölkerung ohne Fürsprecher. Aber schon 1904 gab es in Deutschland keineswegs nur eine Meinung zur Niederschlagung des Aufstands. Im Reichstag wurde heftig darüber debattiert. Heute unterstützen Kreise der evangelischen Kirche den Anspruch der Hereros auf Entschädigung. In den Jahren des Befreiungskampfes bis 1990 half die DDR der heute regierenden SWAPO. Das vereinigte Deutschland bemüht sich, an jene freundschaftlichen Beziehungen anzuknüpfen. Nur sind in Namibia die Hereros als Minderheit nicht in bester Position. Zwar gibt es sie und ihre Kultur noch, wie in der Bundestagserklärung besänftigend angeführt wird, aber die Folgen der Vernichtungspolitik wirken bis heute. Es gäbe eine wunderbar konkrete Form, etwas wieder gut zu machen: Sie beim Landkauf finanziell zu unterstützen.
Kommentar aus: Freitag 34, 13. August 2004
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