Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg bremst Wirtschaft

Sinkender Ölpreis, steigende Kosten, schlechte Aussichten: Staaten am Golf zahlen hohen Preis für "Krieg gegen IS". Einige wenige profitieren

Von Karin Leukefeld *

Etwa 424 Millionen US-Dollar (334 Millionen Euro) soll der Irak für den bisherigen Einsatz der von den USA geführten »Anti-IS-Koalition« bezahlen. Die Luftangriffe kosten nach Angaben von Pentagon-Sprecher John Kirby mehr als 6,7 Millionen Dollar pro Tag. Die erste Rate von 260 Millionen Dollar (für die Zeit vom 8. August bis 2. September) war jetzt fällig, obwohl der irakische Außenminister Ibrahim Al-Dschafari zunächst versichert hatte, dass der »Irak nichts für die Militäroperation im Irak an die internationale Koalition bezahlen« werde. Offenbar war er nicht in die Details des Abkommens eingeweiht, das die US-Administration mit der irakischen Führung vereinbart hatte.

Der von US-Präsident Barack Obama erklärte neue »Krieg gegen den Terror« im Irak und in Syrien, der nach Aussage des früheren US-Verteidigungsministers Leon Panetta »30 Jahre dauern« könnte, dürfte die Golfstaaten teuer zu stehen kommen. Nur drei Jahre nach dem Abzug der US-Truppen aus dem Zweistromland scheint der Irak seine Souveränität erneut an das US-Militär zu verlieren. Zwar betont Ministerpräsident Haidar Al-Abadi, dass man ausländische Truppenstationierung im Irak ablehne und lediglich die Luftangriffe akzeptiert habe. Doch die Zahl der fremden Militärberater und Spezialkräfte in und um Bagdad, Kirkuk und Erbil nimmt zu. Selbst Deutschland plant, in den kurdischen Autonomiegebieten des Irak militärische Ausbildungszentren zu errichten und bis zu 300 Bundeswehrsoldaten dorthin zu entsenden.

Folgekosten vergangener Kriege – wie die Beseitigung von Landminen, von toxischem und radioaktivem Militärschrott – sind weiterhin unbenannt. Die UNO stuft mindestens 42 Gebiete im Irak als »verseucht« ein, die Regierung hat den Zugang dorthin gesperrt. Einige dieser Orte liegen bei Halabdscha, Mossul und Ninive im Norden, bei Al-Kaim an der syrisch-irakischen Grenze sowie bei Falludscha, Ramadi, in und um Bagdad. Der größte Anteil der verseuchten Gebiete liegt in den südirakischen Provinzen, wo die Kriege der letzten 30 Jahre mörderische Spuren hinterlassen haben.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) berücksichtigt soziale und humanitäre Kosten eher nicht und spricht in einem jüngsten Zwischenbericht von einem weiterhin starken Wirtschaftswachstum (2,6 Prozent) in der MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika). In einigen arabischen Staaten gehe allerdings die Wirtschaftskraft aufgrund von Unruhen und Kriegen zurück.

Libyen könne sich wirtschaftlich erst wieder erholen, wenn die Sicherheitslage sich stabilisiert habe und die Ölförderanlagen, die teilweise von bewaffneten Milizen kontrolliert werden, wieder funktionierten. Besonders betroffen ist davon demnach der Irak, wo das erwartete Wirtschaftswachstum von 5,9 Prozent auf 2,7 Prozent gesenkt wurde.

Der irakische Haushalt ist zu fast 100 Prozent von den Einnahmen aus Öl- und Gasförderung abhängig, gleiches gilt für die anderen Golfstaaten. Infolge weltweiter Wirtschaftskrisen ist der Ölpreis gefallen und liegt bei etwa 81 US-Dollar pro Barrel (Fass, 159 Liter). Die Internationale Energieagentur (IEA) hat Wachstumserwartungen für den Ölpreis den dritten Monat in Folge gesenkt. Insgesamt wird sich laut IWF die Ölausfuhr der Golfstaaten, Iraks, Algeriens, Libyens, des Jemen, aber auch des Iran deutlich verringern. Auch Tunesien und Ägypten sind infolge politischer Unruhen wirtschaftlich geschwächt. Sieger der aktuellen kriegerischen und wirtschaftlichen Krisen in der arabischen Welt sind demnach Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Die saudi-arabische Nationalbank gilt inzwischen als eines der größten Finanzinstitute weltweit und hat beim ersten Schritt ihres Börsengangs ein Plus von mindestens 3,6 Milliarden US-Dollar zu verzeichnen. Aus Sicht der saudischen wahabitischen Ulema (Religionsgelehrten) verstößt der Börsengang gegen islamisches Gesetz (Scharia), das Zinsgeschäfte verbietet. Allerdings halten sich nur drei der zwölf saudischen Banken streng an die Scharia.

Trotz des niedrigen Ölpreises erhöhte das Land seine Ölförderung im September auf 9,73 Millionen Barrel pro Tag, was zu der Spekulation führte, die Saudis wollten den beiden anderen großen Anbietern Russland und Iran schaden. Die sechs Golfkooperationsstaaten (Kuwait, Bahrain, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Saudi-Arabien) sitzen auf 40 Prozent der weltweiten Ressourcen für Öl und Gas, was sie zu begehrten Partnern der EU und der USA macht. Von 2009 bis 2013 verdoppelten sie ihre Öleinnahmen auf 729 Milliarden US-Dollar (2013). Sollte allerdings im Irak Frieden einkehren, der Westen seine Beziehungen zum Iran verbessern und die Sanktionen aufheben, könnten die Saudis ihre Führungsrolle im weltweiten Ölmarkt verlieren.

In Kuwait ist derweil der Haushaltsüberschuss von 45 Milliarden US-Dollar (2013) auf 3,1 Milliarden US-Dollar (2014) zurückgegangen. Mitte Oktober wurden die Subventionen für Diesel und Kerosin gestrichen, die Preise stiegen um das Dreifache. Die Subventionierung des Benzinpreises bleibt vorerst erhalten. Die ebenfalls geplante Streichung der Beihilfen für Strom- und Wasserverbrauch wurde allerdings verschoben. Ebenfalls überprüft werden soll die großzügige Finanzierung des öffentlichen Gesundheits- und Sozialwesens, das derzeit mehr als 20 Prozent des Jahresetats (18 Milliarden US-Dollar) beträgt. Kuwait finanziert sich zu 94 Prozent aus dem Verkauf von Öl. Im Juni waren die Einnahmen um mehr als 20 Prozent eingebrochen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 28. Oktober 2014


Zurück zur Seite "Naher Osten, Arabische Welt"

Zur Seite "Naher Osten, Arabische Welt" (Beiträge vor 2014)

Zur Erdöl- und Erdgas-Seite

Zur Erdöl- und Erdgas-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage