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Ist die "Road Map" endgültig gescheitert?

Interview mit dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann

Am 20. April 2004 strahlte der Deutschlandfunk ein Interview mit dem bekannten linken Historiker Moshe Zimmermann aus. Das Gespräch führte Jörg Degenhardt. Wir dokumentieren Auszüge:


Zimmermann sieht "Road Map" als gescheitert an

Jörg Degenhardt: Am Telefon begrüße ich Moshe Zimmermann von der Uni in Jerusalem, er lehrt dort neue Geschichte.
(...)
Degenhardt: Israels Premier Scharon will die Hamas völlig zerschlagen. Wird er das Ihrer Meinung nach schaffen können?


Zimmermann: Er weiß bescheid, dass er es nicht schaffen kann. Er kann die militärische Führung der Hamas-Leute treffen, sie liquidieren, das ist das richtige Wort statt gezielte Tötung, aber es ist eine Volksbewegung und als solche nicht zu liquidieren.

Degenhardt: Fast 40 Länder haben sich im UN-Sicherheitsrat letzte Nacht schockiert über die Tötung von Hamas-Führer Rantisi durch Israel geäußert, Deutschlands UN-Botschafter (...) fordert die Israelis und Palästinenser zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Das sagt sich so leicht. Wie können denn Ihrer Meinung nach Israelis und Palästinenser wieder ins Gespräch kommen?

Zimmermann: Dafür gibt es eine Bedingung: dass Israel die Bereitschaft erklärt, mit den Palästinensern zu verhandeln. Die israelische Politik geht im Moment davon aus, dass es auf der anderen Seite keinen Partner gibt und mit dieser Ausrede blockiert man jeden Versuch, Verhandlungen aufzunehmen. (...)

Degenhardt: Für Sie wäre Ministerpräsident Kurei ein akzeptabler Verhandlungspartner?

Zimmermann: Ganz bestimmt. Wozu sitzt dort ein Mann, der sich Regierungschef der Palästinenser nennt, wenn nicht, um mit Israel Verhandlungen aufzunehmen. Es muss aber auch irgendwo Gesprächsstoff geben für solche Verhandlungen, sonst treffen sich die Leute und haben über nichts zu reden.

Degenhardt: Ein Gesprächsthema könnte ja zum Beispiel der Rückzug von Israel aus dem Gazastreifen sein, der ja nun ohne Vereinbarung, also einseitig stattfinden soll. (...) Ist dies möglicherweise ein Weg zur Zwei-Staaten-Regelung?

Zimmermann: Die Absicht ist eine ganz andere. Scharon versucht, über diesen Rückzug die Westbank für Israel zu behalten oder die meisten Teile davon und das ist für die Palästinenser nicht akzeptabel. In dem Moment, wo man darüber verhandelt, bedeutet der Rückzug aus dem Gazastreifen nur den Anfang für einen größeren Rückzug und das möchte Scharon jetzt nicht unternehmen.

Degenhardt: Das heißt, es wäre nichts gewonnen, im Gegenteil, auf der anderen Seite nähmen eher Gewalt und Chaos noch zu.

Zimmermann: Das nimmt man in Israel in Kauf. Deswegen regt man sich nicht auf, wenn die UNO über etwas entscheidet. Sowieso nimmt man hier, genauso wie in Amerika, die UNO nicht ernst. Und zweitens geht man davon aus, dass der Terror etwas ist, was nie aufhören wird. Der Terror gibt Israel oder der israelischen Politik auch ein raison d'ętre und deswegen erschreckt man hier nicht vor einer Fortsetzung dieses Teufelskreises der Gewalt.

Degenhardt: Die Umsetzung der road map liegt ja derzeit auf Eis oder ist der Plan möglicherweise auch ganz gescheitert (...)?

Zimmermann: Man kann erstens nicht von einem Plan sprechen, es ist etwas ziemlich Vages, was dort als road map angeboten wird. Zweitens spielt Amerika den Alleingang und tut das, was Europäer, die UNO und Russland nicht akzeptieren wollen, nämlich eine einseitige israelische Politik zu unterstützen. Deswegen kann man heute nicht von einer road map sprechen, sondern eher von einer Politik, die Ariel Scharon verwirklicht und George Bush unterstützt. Alles andere ist Makulatur.

Degenhardt: Glauben Sie, dass die USA indirekt grünes Licht gegeben haben für den Ausbau von jüdischen Siedlungen, die Beschlagnahme palästinensischen Landes und für weitere Tötungen, wie es die Palästinenser behaupten?

Zimmermann: Indirekt schon. Ich nehme an, dass man sich so etwas nicht direkt leisten kann aus der Sicht der amerikanischen Politik. Aber was bedeutet schon die Rede von George Bush letzte Woche beim Treffen mit Ariel Scharon? Es bedeutet, dass Amerika die vollendeten Tatsachen akzeptiert, dass es israelische Siedelungen in der Westbank gibt und dass diese irgendwann mal ein Teil des Staates Israel werden.

Degenhardt: Wenn die USA jetzt diese Position einnehmen, (...) müssen dann nicht im Gegenzug die Europäer stärker ihre Stimme erheben, sprich auch mutiger werden gegenüber den USA mit einer eigenen Politik für den nahen Osten?

Zimmermann: Diese Frage muss man selbstverständlich positiv beantworten, nur ist die Frage: sind die Europäer in der Lage, tatsächlich eine eigene Politik zu betreiben? Im Irak sieht man schon die Anfänge davon, aber auch dort können die Europäer die Lage nicht bestimmen. Die Amerikaner bestimmen die Lage. Die Europäer müssen selbstverständlich mehr unternehmen, um als Verhandlungsbeauftragte zwischen Palästina und Israel zu agieren, das ist eine klare Sache. Aber die Amerikaner sind noch immer zu stark für die Europäer und deswegen wissen sowohl Palästinenser als auch Israelis: man muss auf Amerika, nicht auf Europa schauen. Leider.

Aus: DeutschlandRadio Berlin, 20. April 2004
Internet: http://www.dradio.de/



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