Wasser wird knapp
Im Nahen Osten drohen vor dem Hintergrund des Klimawandels gewaltsame Auseinandersetzungen. Ohne Rückzug Israels aus besetzten Gebieten keine Lösung in Sicht
Von Karin Leukefeld *
Mit den Temperaturen steigen die Spannungen - so der Titel einer Studie des Internationalen Instituts für nachhaltige Entwicklung (IISD, Kanada). Darin wird im Zuge der internationalen Debatten um die Folgen des Klimawandels die Gefahr neuer gewaltsamer Auseinandersetzungen im Nahen Osten untersucht. Kurz zusammengefaßt kommen die Autoren zu dem Schluß, daß das Wasser in der Levante- Libanon, Syrien, Jordanien, die besetzten palästinensischen Gebiete und Israel- knapp wird und daraus resultierende Probleme sich nur in Frieden, Nachhaltigkeit und regionaler Zusammenarbeit lösen lassen. Doch gerade daran mangelt es im Nahen Osten, was nicht zuletzt an der sturen Haltung Israels liegt, das sich für die eigenen Bedürfnisse mit dem Land seiner arabischen Nachbarn auch einen Großteil von deren Wasserressourcen angeeignet hat. Auf der vierten Wasserkonferenz im Rahmen der Mittelmeerunion im April in Barcelona sollte eigentlich eine gemeinsame Strategie für die Region festgelegt werden, um allen fairen und gleichberechtigten Zugang zu Wasser zu garantieren und mögliche gewaltsame Konflikte zu verhindern. Verbindliche Vereinbarungen scheiterten jedoch an einem israelisch-arabischen Streit über die Formulierung »besetzte (palästinensische) Gebiete« in der Abschlußerklärung.
Dies macht deutlich, daß ohne den Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten Palästinas, Syriens und Libanons keine Lösung für den Umgang mit Wassermangel in Sicht ist. Die völkerrechtswidrige Besatzung und der damit verbundene Diebstahl des Wassers - vom Golan, aus dem Jordan und seinen Quellflüssen sowie aus den unterirdisch verlaufenden Adern (Aquiferen) unter Palästina - ist jedoch nur Teil eines größeren Problems, mit dem der Nahe Osten seit sechs Jahren zu kämpfen hat. Der Wasserbedarf steigt mit den Bevölkerungszahlen, infolge des Klimawandels bleibt der Regen im Winter aus, und exzessiver Dammbau der Türkei an den Oberläufen der beiden größten Wasserwege in der Region, Euphrat und Tigris, sorgt für zusätzlichen Wassermangel in den flußabwärts liegenden Staaten Syrien und Irak. Sollte der Anstieg der Temperaturen anhalten, könnte der Euphrat bis zum Ende des Jahrhunderts bis zu 30 Prozent weniger Wasser führen, warnen Wissenschaftler, der Jordan sogar bis zu 80 Prozent weniger.
Sechs Gefahren aufgrund von Wassermangel nennt die Studie: zunehmende regionale Konkurrenz um das Wasser, Mangel an Nahrungsmitteln, Behinderung wirtschaftlichen Wachstums und steigende Armut, neue Flüchtlingsströme, Militarisierung, steigendes Mißtrauen arabischer Staaten gegenüber dem Westen und Israel (bei anhaltender Passivität in Sachen Klimawandel). Vieles davon ist schon Realität.
In Syrien hat die Landflucht aus den von Trockenheit besonders betroffenen Gebieten im Nordosten des Landes dramatische Ausmaße angenommen. 1,3 Millionen Menschen seien infolge der Dürre von »extremer Armut« betroffen und auf Lebensmittelhilfe angewiesen, heißt es in einem Bericht des Welternährungsprogramms (WFP), 800000 Menschen hätten ihre Lebensgrundlagen verloren. Besonders Kleinbauern können nicht genug anbauen und ernten, um sich und ihre Familien zu ernähren. Viehbauern haben bis zu 85 Prozent ihrer Herden eingebüßt. »Informelle Siedlungen« und Lager in der Nähe von Großstädten, vor allem Damaskus, beherbergen Tausende Menschen, die hoffen, dort neue Arbeit zu finden.
Im Irak mußten nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums wegen Wassermangels 2010 erstmals Getreide und Reis importiert werden, weil der Pegel in Euphrat und Tigris dramatisch gesunken ist. Allein im Tigris gibt es im Vergleich zu 2003 heute 50 Prozent weniger Wasser. Die drei größten Stauseen des Landes bei Haditha, bei Mossul und bei Habbaniyah sind nur halb gefüllt. Im Südirak weisen mindestens 40 Prozent des Bodens einen zu hohen Salzgehalt auf, bis zu 50 Prozent des in den 1970er Jahren noch landwirtschaftlich nutzbaren Bodens ist verdorrt. Nicht nur die Trockenheit ist Ursache des Notstandes, Irak leidet auch an den Folgen eines 13jährigen UN-Embargos, von sieben Jahren US-Besatzung und Krieg.
Selbst im quellreichen Libanon rechnen Experten spätestens 2015 mit einer gefährlichen Wasserkrise, sollten die winterlichen Regenfälle wie in den vergangenen Jahren weiter ausbleiben. Regen ist notwendig, um die Aquiferen aufzufüllen. Das Wasser- und Energieministerium plant den Bau von elf neuen Staudämmen, erhält aber kein grünes Licht von der Regierung, die das Vorhaben mit Verweis auf Geldmangel bis auf weiteres ablehnt. Übermäßiger Wasserkonsum, mangelhafte Leitungssysteme und Kläranlagen vergeuden die Ressourcen, Quellen laufen Gefahr, zu versalzen. Regenwasser werde nicht aufgefangen, kritisieren Experten, rund 1,5 Milliarden Kubikmeter davon verschwinden jährlich im Meer.
www.iisd.org
* Aus: junge Welt, 14. Oktober 2010
Wirtschaft verdient an Ressourcenmangel
UNO deklariert Zugang zu sauberem Trinkwasser zu Menschenrecht. Konzerne wittern großes Geschäft
Von Karin Leukefeld **
Um die »Millennium-Entwicklungsziele 2015« zu erreichen, gehe die Welt zwar in die richtige Richtung, sagte kürzlich der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, auf der UN-Vollversammlung in New York. Ohne Zugang zu sauberem Wasser allerdings werde das Ziel verfehlt, denn Wasser sei nicht nur lebensnotwendig, darüber zu verfügen sei auch ein Menschenrecht. Das allerdings nach Erhebungen von UN-Organisationen täglich für einen Großteil der Bevölkerung verletzt wird. Derzeit leben demnach 2,6 Milliarden Menschen weltweit ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen wie Toiletten, bis 2015 wird diese Zahl auf 2,7 Milliarden steigen. 47 Prozent der Weltbevölkerung werden einer UN-Studie zufolge in wasserarmen Gebieten leben, bis 2030 könnten 700 Millionen Menschen gezwungen sein, ihre Heimat wegen der Dürre zu verlassen. Einem Bericht der UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF zufolge sterben täglich 24000 Kinder in Entwicklungsländern an Durchfallerkrankungen durch verschmutztes Wasser.
Erst vor wenigen Monaten beschloß die UN-Vollversammlung, daß Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung ein allgemeines Menschenrecht sei (UN/GA 10967/28.7.2010). Den Antrag hatte Bolivien eingebracht, die Resolution wurde mit 122 ohne Gegenstimmen angenommen. 41 Staaten jedoch enthielten sich, darunter die USA, Großbritannien und Israel. Der Vertreter der Vereinigten Staaten, John Sammis, sagte zur Begründung, die Vereinten Nationen hätten die rechtlichen Konsequenzen nicht ausreichend durchdacht.
Der US-Konzern General Electric freut sich derweil über die großen Wasserprobleme im Nahen Osten. Wie schon 2009 erwarte man auch für das laufende Geschäftsjahr eine Umsatzsteigerung im zweistelligen Bereich in der wasserarmen Region, teilte ein Sprecher des Unternehmens laut Informationsdienstleister Bloomberg vor wenigen Tagen mit. Am wichtigsten sei das Geschäft der Wasseraufbereitung, besonders im industriellen Bereich. In den vergangenen drei Jahren seien die Investitionen allein in Saudi-Arabien, Irak, Kuwait und Abu Dhabi um 50 Prozent gestiegen. Nach den USA und China werde Saudi-Arabien vermutlich der weltweit drittgrößte Markt für Wasserwiederaufbereitungsanlagen werden. Am 3. Oktober unterzeichnete General Electric ein Abkommen mit der saudischen Gesellschaft für Wasser und Energie, Miahona (Unser Wasser), für die gesamte Wasseraufbereitung im Königreich.
Geschäftsleute, die in den boomenden Markt einsteigen möchten, erfahren mehr in den Analysen des britischen Magazins Global Water Intelligence, zu dem sie sich durch die Zahlung von bis zu 3500 US-Dollar Zugang verschaffen können. Ob Lösungen für Wasseraufbereitung, Dämme oder Leitungssysteme, ob für Generatoren oder Pumpen, Abfüllanlagen oder chemische Analysen– die Wirtschaft hat die Marktchancen des Wassermangels erkannt. Private Konzerne übernehmen nationale Versorgungsunternehmen, ohne daß die Bevölkerung ausreichend informiert wird.
Manche Unternehmen, wie der spanische Sanitärkonzern Roca, steigern ihre Verkaufszahlen auch mit dem Einsatz für Umwelt und nachhaltiges Wasserwirtschaften. Am 30. September rief das Unternehmen die Stiftung »We are Water« (Wir sind Wasser) ins Leben – in 20 Ländern gleichzeitig. Von Mumbai über Schanghai, Beirut, Paris und Berlin bis São Paolo und Moskau will Roca den Trinkwassermangel bekämpfen und sammelt Spenden für Projekte etwa zur Rettung des Aralsees. Roca habe sich nicht nur dem sparsamen Umgang mit der Ressource verschrieben, heißt es auf der firmeneigenen Webseite, man will auch dazu beitragen, daß jeder Mensch Zugang zu ihr erhält.
Daß Wasser einen hohen Preis hat, merken Menschen im Nahen Osten täglich. Als während des Fastenmonats Ramadan die Energie- und Wasserversorgung nicht gesichert war, gingen aufgebrachte Männer in Ägypten, Irak und im Libanon auf die Straße. Wer es sich leisten kann, läßt sich das kostbare Naß mit einem Tanklastzug liefern – dann ist allerdings mehr als der doppelte Preis fällig.
** Aus: junge Welt, 14. Oktober 2010
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