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Luftsirene als Klingelton

Verteidigungsminister Ehud Barak wehrt sich gegen Militäreinsatz

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen ist offiziell zu Ende. Wie es weiter gehen soll, ist auf beiden Seiten heftig umstritten.

Wenn in einer Kneipe im Zentrum von Tel Aviv der Luftalarm ertönt, dann ist es wahrscheinlich Mama. Oder ein entnervter Redakteur will wissen, wo der Text bleibt. Denn die Luftsirene als Klingelton ist zur Zeit der Renner bei der entpolitisierten Jugend in der israelischen Party-Hauptstadt. Was hier ein Spaß ist, ist indes an die 150 Kilometer weiter südlich bitterer Ernst. In Sderot in direkter Nähe des palästinensischen Gaza-Streifens und in den benachbarten Ortschaften ertönt der Luftalarm bereits seit Tagen immer und immer wieder und kündet damit davon, dass der sechsmonatige Waffenstillstand, den Israel und die radikalislamische Hamas Ende Juni geschlossen hatten, wirklich vorbei ist: 27 Raketen waren bereits vor Ablauf der Waffenruhe eingeschlagen. Nichts spricht für eine Entspannung in den kommenden Tagen.

Israel hat indes die Grenzübergänge in dem dicht bevölkerten Landstrich nahezu vollständig abgeriegelt – um die Menschen dort dazu zu bewegen, die Hamas unter Druck zu setzen, sagt ein Sprecher des Militärs. Ob dies die einzige Aktion gegen die Hamas bleiben sollte, ist in Israel ebenso heftig umstritten wie in der Hamas die Ankündigung, die Waffenruhe nicht zu verlängern: Recht viele Funktionäre der Hamas sind der Ansicht, dass man besser noch ein paar Monate Ruhe halten sollte, um die eigenen Reihen zu schließen und die Waffenlager aufzufüllen. Und genau das ist der Grund, warum die Analysten des israelischen Militärs eine groß angelegte Militäroperation im Gaza-Streifen fordern – gegen den Widerstand von Verteidigungsminister Ehud Barak, Chef und Spitzenkandidat der Arbeiterpartei.

Barak setzt zur Zeit noch auf eine Stillhalte-Strategie: Man hält die Grenzen geschlossen, versucht, den Nachschub für die Kämpfer der Hamas so gut es geht zu verhindern oder wenigstens einzuschränken und wartet ansonsten erst einmal ab, wie sich die Dinge entwickeln. Denn in Israel wird am 10. Februar gewählt, und für die Sozialdemokraten sieht es ausgesprochen düster aus. »Barak weiß, dass seine politischen Gegner ihn dafür verantwortlich machen werden, falls ein Militäreinsatz fehl schlagen sollte«, sagt Ron Sofer von »Jedioth Ahronoth«, der größten Zeitung des Landes. Sein Kollege Ariel Pines vom zweiten israelischen Fernsehen hingegen ist der Ansicht, dass Barak über kurz oder lang das Militär auf den Weg schicken wird: »Man wird ihn auf jeden Fall verantwortlich machen, wenn die Raketen erst einmal zur Routine werden, und aus diesem Grund ist eine Operation sein einziger Ausweg – bei einem Erfolg stünde Barak als der große Gewinner da.«

Mitarbeiter des Verteidigungsministers schließen ebenfalls nicht aus, dass Barak am Ende doch noch einen Militäreinsatz anordnen wird; er wolle aber zunächst einmal beobachten, wie sich die öffentliche Meinung entwickelt: Sollte der Druck der Öffentlichkeit zu groß werden, wird er handeln. Im Moment bescheinigen Umfrageinstitute der Bevölkerung eine ungewöhnliche Gleichgültigkeit der Lage in und um Gaza herum gegenüber: Während in der Nachbarschaft des Landstrichs wie üblich sofortiges Handeln gefordert wird, nimmt man die Situation weiter nördlich kaum bewusst wahr: »Derzeit gibt es eine Vielzahl von anderen Themen, die die Menschen mehr interessieren«, erläutert Anat Zahav vom dem Likud-Block nahe stehenden Umfrageinstitut Dahaf. Vor allem die Bankenkrise und die dadurch gestiegene Verunsicherung bewege die Menschen: Supermärkte melden einen Rückgang der Umsätze von bis zu einem Drittel; zwei der größten Immobilienfirmen des Landes stehen auf der Kippe, und dazu auch noch mehrere Banken.

Warum die Hamas ausgerechnet jetzt die Waffenruhe für beendet erklärt, ist unklar: Manche Analysten vertreten die Ansicht, dass die Organisation damit in den Wahlkampf in Israel eingreifen und Barak in Bedrängnis bringen wolle, indem sie Gaza auf die Tagesordnung zurück befördert, das im Wahlkampf bislang noch so gut wie gar nicht stattfindet. Andere Beobachter machen einen Richtungsstreit innerhalb der Bewegung verantwortlich: In der Öffentlichkeit habe die Ansicht Verbreitung gefunden, dass der Waffenstillstand die Lage der Menschen nicht drastisch verbessert habe, womit die Hardliner in der Organisation die Oberhand gewonnen hätten.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Dezember 2008

Israel will auch "militärisch handeln"

Hamas bereit zu 24-stündiger Feuerpause **

Israel hat sich gegenüber der UNO entschlossen gezeigt, auf Angriffe aus dem Gaza-Streifen auch mit militärischen Mitteln zu reagieren.

Gaza/Tel Aviv (AFP/ND). Israel »wird nicht zögern, militärisch zu handeln, wenn es nötig ist«, schrieb die israelische UNO-Botschafterin Gabriela Schalew an UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. Außenministerin Zipi Livni werde in diesem Zusammenhang bald die ausländischen Botschafter in Israel einberufen.

Auch das israelische Außenministerium bereitete die Öffentlichkeit auf mögliche Gegenangriffe auf militante Palästinenser im Gaza-Streifen vor. »Die Welt muss verstehen, dass die Lage im Süden Israels für Hunderttausende Bürger wegen der Raketen unerträglich ist«, sagte Außenamtssprecher Jigal Palmor mit Blick auf die Raketen- und Granatenangriffe aus dem Gaza-Streifen. »Entweder die internationale Gemeinschaft greift ein, oder wir müssen selbst handeln.« Angaben von Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums zufolge beschränkt sich Israel derzeit auf punktuelle Militäreinsätze, schließt aber umfassendere Operationen nicht aus.

Die Hamas und andere Palästinenserorganisationen im Gaza-Streifen akzeptierten unterdessen eine 24-stündige Feuerpause. Auf Bitten Ägyptens hätten sie sich bereit erklärt, die Raketen- und Granatenangriffe auf Israel für einen Tag einzustellen, sagte Hamas-Vertreter Aiman Taha in Gaza. Im Gegenzug seien Hilfslieferungen aus Ägypten zugesagt worden. Die israelische Regierung wurde nach eigenen Angaben nicht über die Vereinbarung informiert.

Taha hatte zuvor gesagt, die Hamas habe das Recht, gegen die israelische »Besatzung« mit allen Mitteln bis hin zu Selbstmordattentaten zu kämpfen. Die Hamas hatte sich zuletzt im Januar 2005 zu einem Selbstmordanschlag bekannt. Den von Ägypten vermittelten sechsmonatigen Waffenstillstand mit Israel hatte die Hamas am Freitag (19. Dez.) offiziell für beendet erklärt.

** Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2008




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