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Naher Osten: UNICEF ruft dringend zur Einstellung aller Kampfhandlungen auf

Schätzungsweise ein Drittel der 620 Toten und 3200 Verletzten im Libanon sind Kinder und Jugendliche - Pressemeldung im Wortlaut

01.08.06 - UNICEF fordert die Konfliktparteien im Nahen Osten dringend dazu auf, die Kampfhandlungen einzustellen und verlangt sofortigen Zugang zu allen Gebieten, um die Zivilbevölkerung zu versorgen.

Nach seiner Rückkehr aus dem Libanon warnte der Leiter der weltweiten Nothilfeprogramme von UNICEF, Dan Toole, in Berlin vor einer weiteren Verschärfung der Lage der Zivilbevölkerung, wenn nicht schnellstens verlässlicher und sicherer Zugang zu den Hilfebedürftigen ermöglicht wird. Immer wieder wurden in den vergangenen Tagen trotz grundsätzlicher Zusagen Hilfskonvois verschoben. UNICEF versucht gemeinsam mit den anderen UN-Organisationen die am Sonntag angekündigte vorüber gehende Reduzierung der Luftangriffe zu nutzen, um Materialien zur Wasseraufbereitung, Hygieneartikel und Medikamente in den Südlibanon zu bringen. Gestern erreichten acht UN-Lastwagen die Region. Drei weitere Transporte sind für heute in die Ortschaften Naquora, Ramich und Saidon geplant. Unklar ist, wie lange die Transporte fortgesetzt werden können. In Notunterkünften in Beirut beginnt UNICEF heute eine Impfkampagne gegen Masern und alle Kinder erhalten auch Vitamin-A-Tabletten.

Erzbischof Desmond Tutu, Vanessa Redgrave und andere Persönlichkeiten fordern in einem offenen Brief eine sofortige Waffenruhe (siehe Kasten!).

Zahlreiche Orte im Südlibanon sind weiter von der Außenwelt abgeschnitten. Eine organisierte Evakuierung gibt es nicht. In den Dörfern nahe der Grenze zu Israel sind drei Viertel der Menschen geflohen. Vor allem alte und behinderte Menschen halten sich noch in den Dörfern auf. Die Strom- und Wasserversorgung funktioniert vielfach nicht. Die Krankenhäuser und Gesundheitsstationen brauchen Medikamente. Nach UN-Schätzungen haben mindestens 700.000 Menschen im Libanon ihre Häuser verlassen. Durch die Zerstörungen von Straßen, Kraftwerken und Tankstellen ist die Grundversorgung mit medizinischer Hilfe, Wasser und Energie für viele Menschen nicht mehr gesichert.

Angesichts des Blutbads in der Ortschaft Kana weist UNICEF darauf hin, das seit Beginn des Gewaltausbruchs vor drei Wochen mehr Kinder in dem Konflikt starben oder verletzt wurden als erwachsene Kämpfer oder Soldaten. Schätzungsweise ein Drittel der 620 Toten und 3200 Verletzten im Libanon sind Kinder und Jugendliche.

„Die Zivilbevölkerung und insbesondere die Kinder leiden am härtesten unter dem anhaltenden Konflikt im Libanon und in den Palästinensergebieten. UNICEF ruft dringend zur Einstellung aller Kampfhandlungen auf und verlangt sofortigen und sicheren Zugang zu allen betroffenen Gebieten im Libanon, um dringend benötigte Hilfsgüter zu verteilen. Die Kinder dürfen nicht länger leiden. Kinder dürfen niemals zu Geiseln militärischer oder politischer Ziele werden“, sagte Dan Toole in Berlin.

„Es ist unerträglich, wie der Tod von Kindern von beiden Konfliktparteien in Kauf genommen wird. Der Schutz von Kindern und Zivilpersonen ist eine internationale Verpflichtung in allen Kriegen. Wer diese missachtet, schafft unendliches Leid und ruft nur neue Gewalt hervor“, sagte Dietrich Garlichs, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland.

UNICEF weist auch auf die Folgen der anhaltenden Gewalt im Gazastreifen hin. Dort starben allein im Juli 35 Kinder bei Kämpfen oder durch Raketen. Auch unter den Todesopfern durch Hisbollah-Raketen im Norden Israels sind zahlreiche Kinder.

Bereits in der vergangenen Woche verteilte UNICEF im Libanon Hilfsgüter im Wert von einer Million Euro an Flüchtlinge. In den kommenden drei Monaten benötigt UNICEF 20 Millionen Euro, um die Versorgung zehntausender Menschen mit sauberem Wasser und Basismedikamenten sicher zu stellen und traumatisierten Kindern zu helfen.


Im Wortlaut:

Aufruf: Die Waffen müssen schweigen. Sofort.

Erzbischof Desmond Tutu, die englische Schauspielerin und UNICEF-Botschafterin Vanessa Redgrave und andere Persönlichkeiten fordern in einem offenen Brief eine sofortige Waffenruhe im Nahen Osten.

Tod, Zerstörung und Leiden im Libanon sind entsetzlich und nehmen jeden Tag zu. Wo nahezu eine Million Menschen betroffen sind, nahezu ein Drittel davon Kinder, ist humanitäre Hilfe dringend erforderlich. Dazu muss es eine Waffenruhe geben. Doch es heißt, dass jegliche Waffenruhe warten muss, bis die Bedingungen stimmen. Dabei werden diese Bedingungen ausschließlich mit Begriffen militärischer Taktik und Prioritäten definiert, nicht mit denen humanitärer Bedürfnisse.

Das war nicht immer so. Inmitten des blutigen Bürgerkrieges im Libanon handelte UNICEF 1987 für vier Tage in drei aufeinander folgenden Monaten eine Waffenruhe aus, damit alle Kinder geimpft werden konnten. Wasserleitungen wurden repariert und beschädigte Pumpen wieder in Gang gesetzt. Die Verhandlungen waren nicht einfach – sechs Kriegsfraktionen waren daran beteiligt, darunter auch die Hisbollah. Aber es wurde eine Übereinkunft erreicht und sogar Syrien erklärte seine Unterstützung. Tausende Kinder wurden gerettet.

Während des ersten Golfkrieges 1991 wurde ein humanitärer Korridor eingerichtet. USFlugzeuge flogen darüber. Er ermöglichte die Verteilung von medizinischen Hilfsgütern und Materialien zur Wasseraufbereitung von Amman aus nach Bagdad. Dieser Korridor wurde seinerzeit in Verhandlungen mit der amerikanischen und englischen Regierung und mit dem damaligen irakischen Außenminister Tariq Aziz erreicht.

Warum müssen wir heute warten? Europa und die USA, natürlich auch Israel, sollten der Einrichtung humanitärer Korridore und Tagen der Waffenruhe zustimmen, in denen Hilfsgüter an die Not leidende Bevölkerung, besonders die Kinder, verteilt werden können.

Ein „neuer Naher Osten“ braucht die Kinder und Jugendlichen, libanesische und palästinensische, die die Früchte des Friedens erkennen können, nicht nur den Hass des Krieges. Wenn die Regierungen die Arbeit an einer Waffenruhe jetzt weiter aufschieben, und wenn es nur eine Woche ist, werden viele, viele Kinder mehr sterben oder für ihr Leben gezeichnet sein. Was für ein „neuer Naher Osten“ kann dies dann sein? Die Waffen müssen schweigen. Sofort.

Vanessa Redgrave, Internationale UNICEF-Botschafterin
Desmond Tutu, Erzbischof und Friedensnoblepreisträger
Heide Simonis, Vorsitzende UNICEF Deutschland
Sir Richard Jolly, Stellvertretender Exekutivdirektor UNICEF 1982-1995
Terry Waite, Ehemaliger Berater des Erzbischofs von Canterbury, der 1987 beim Versuch die Freilassung von Geiseln zu erreichen, entführt wurde und erst 1991 wieder frei kam.



UNICEF ruft zu Spenden auf:
Spendenkonto 300.000
Bank für Sozialwirtschaft: 370 205 00
Stichwort: Libanon


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