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Von Vergangenheit und Verantwortung

Deutsche Nahostpolitik auf dem Prüfstand

Von Holger Politt *

Für den Nahostkonflikt – ein Dauerthema auf der internationalen Tagesordnung – zeichnet sich noch immer kein Ende ab. Auch in der deutschen Parteienlandschaft werden die Wege zu einer gerechten Lösung kontrovers diskutiert. Damit befasste sich in dieser Woche eine Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Potsdam.

Deutschlands Nahostpolitik – ein komplexes und widersprüchliches Thema. Risse gehen dabei durch alle Bundestagsparteien. Ein gemeinsamer Nenner findet sich zwar, da im Verhältnis zum Nahen Osten auf den Deutschen seit Ende des Zweiten Weltkriegs in ganz besonderer Weise der Schatten der Vergangenheit lastet. Über die Ausmaße desselben, die Konsequenzen daraus und die damit einhergehenden Widersprüche geht indes der nicht zu übersehende politische Streit – innerhalb der Parteien und zwischen ihnen, früher aber auch zwischen den beiden deutschen Nachkriegsstaaten.

Das wurde jetzt in Potsdam auf einer zweitägigen Konferenz erneut deutlich. Unter dem Titel »Deutsche Außenpolitik im Nahen Osten« versammelte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg mit Unterstützung des Vereins Helle Panke aus Berlin und des Verbandes für internationale Politik und Völkerrecht Wissenschaftler, Politiker und Diplomaten aus Deutschlands Osten und Westen, aus Palästina und Israel.

Udo Steinbach, langjähriger Direktor des Deutschen Orientinstituts in Hamburg, führte seine umfängliche Analyse der deutsch-israelischen und deutsch-palästinensischen Beziehungen zu dem Schluss, dass die wesentlichen Grundpfeiler der deutschen Nahostpolitik neu auszurichten seien. Dabei sollte strikt auf die Gleichbehandlung von Israelis und Palästinensern geachtet und das Gewicht der Schoah bei der Bewertung der heutigen israelischen Politik im Nahen Osten neu bestimmt werden. Darüber hinaus gelte es, angesichts der heutigen Regierungspolitik in Israel »Instrumente des Drucks« zu prüfen.

Darin pflichtete ihm erwartungsgemäß Salah Abdel Schafi bei, Generaldelegierter Palästinas in Deutschland, der am Schluss seines Beitrags von der Bundesregierung forderte, den Druck auf Israel in Israels eigenem Interesse zu erhöhen. Deutschland, so sein Eindruck, sei in der Nahostpolitik zu befangen und verstecke sich gern hinter der EU.

Avi Primor, von 1993 bis 2000 Botschafter Israels in Deutschland, bewertete die gegenwärtige Rolle der EU im Nahostprozess durchaus kritisch, als er meinte, sie sei nicht kühn genug, um in einer schwierigen Situation mehr Initiative zu ergreifen. Der erfahrene Diplomat machte, auf die aktuelle Stimmungslage auf israelischer Seite angesprochen, eine deutliche Mehrheit für einen Friedensprozess aus. Wichtig seien jedoch konkrete praktische Schritte, die den Weg in den Frieden sichtbar machen könnten. Israel habe bei der Räumung des Gaza-Streifens Fehler gemacht.

Rudolf Dreßler, zu Beginn des Jahrhunderts deutscher Botschafter in Israel, verwies darauf, dass für die Palästinenser die Siedlungsfrage jene Bedeutung habe, die in Israel Gewalt und Terrorgefahr einnehmen. Er warnte zugleich vor einem vereinfachten Blick aus der Ferne, da die Tatsache, dass die Existenz des eigenen Landes ständig in Frage gestellt werde, besonders schwer wiege.

Auch deshalb, so Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, sei eine Zwei-Staaten-Lösung dringend erforderlich. Es sei besser, wenn sie auf dem Verhandlungswege zustande käme, doch sei er besorgt, denn die Palästinenser könnten angesichts der von ihnen als ausweglos empfundenen Situation einseitige Schritte unternehmen.

Ergänzt wurde die Debatte über heutige Aspekte der deutschen Nahostpolitik durch geschichtliche Rückblicke, so etwa von Angelika Timm, Leiterin des Israel-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Grundlinien der jeweiligen Nahostpolitik in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten nachzeichnete.

Wilfried Telkämper, Leiter der Auslandsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, unterstrich, dass die Stiftung neben dem Büro in Israel auch eines in Palästina unterhalte. Man wolle damit auch Brücken bauen und den Friedensprozess mit Kontakten und Konzepten unterstützen.

* Aus: Neues Deutschland, 6. November 2010

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