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Das Nahost-Quartett: Belanglos und deprimierend

Von Yossi Alpher *

Was immer das Quartett sagt oder tut: Es scheint alle Glaubwürdigkeit in Israel und in Palästina verloren zu haben.

Die Gründe sind vielfältig und umfassend. Es ist angebracht, dass die politischen Etagen der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, Russlands und der Vereinten Nationen – die das Quartet bilden – von diesen Faktoren Kenntnis nehmen, wenn die Friedensbemühungen der internationalen Gemeinschaft wieder relevant sein sollen.

Erstens und höchst bedeutungsvoll vertreten die vier Mitglieder des Quartetts ein Friedensformat – Oslo –, das bei zwei ernsthaften Versuchen (2000 [Camp David] und 2008 [Ehud Olmert]) darin versagt hat, gegenseitig akzeptable Lösungen für die Endstatus-Themen zu produzieren. Es ist höchste Zeit, dass das Quartett die Führung übernimmt, um den gesamten Oslo-Prozess und seine Nachhaltigkeit angesichts der raschen Veränderung im nahöstlichen Raum einer Überprüfung zu unterziehen.

Zweitens besteht das Quartett darauf, die offenkundig radikale („hawkish“) und gegen zwei Staaten gerichtete Zusammensetzung der Netanjahu-Regierung in Israel zu ignorieren. Die Unverträglichkeit jener Regierung mit einem echten Friedensprozess hätte von Anfang an, nämlich vor mehr als zweieinhalb Jahren, offenkundig sein sollen. Doch das Verhalten des Quartetts ist so blind, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wiederholt in der Lage ist, den internationalen Friedensmachern durch die Förderung von zentralen Bauprojekten in Ost-Jerusalem oder in der Westbank eine lange Nase zu machen, ohne etwas anderes als eine milde verbale Zurückweisung zu ernten.

Drittens ignoriert das Quartett die klaren Signale, die von Abbas mit der Folge ausgesandt werden, dass er nicht länger auf Verhandlungen mit der Regierung Israels vertraut und eine internationale Schiene bei den Vereinten Nationen bevorzugt. Das hat nicht nur mit Netanjahu, seinem Verhalten und seinen Manövern zu tun; der Vertrauensverlust setzte bei Abbas als Antwort auf den weitreichenden Friedensvorschlag ein, den er 2008 vom damaligen Ministerpräsidenten Ehud Olmert erhielt und den er zurückwies. Jetzt scheint Abbas verstanden zu haben, dass sein eigenes Festhalten an den Verhandlungsthemen [den militärischen Ergebnissen des Krieges] vor 1967 – das Heilige Bassin [Altstadt, Zionsberg, Ölberg und Garten Gethsemane] und das Rückkehrrecht [der palästinensischen Flüchtlinge] die Wirkung ausgelöst hat, dass es kein jüdisches Volk gibt, dass die Juden keine nationalen Rechte im Heiligen Land besitzen und dass der Staat Israel 1948 ‚in Sünde geboren’ ist – und so mit jeder Haltung eines israelischen Führers mit Selbstrespekt unvereinbar ist. Gegen diesen Rückschlag sollte der augenfällig schwierige Weg von Abbas vor die Vereinten Nationen seitens des Quartetts als eine potentiell vielversprechende Initiative bewertet und in einen ‚win-win’-Vorschlag umgesetzt werden, statt darin einen Versuch zu sehen, den Frieden zu sabotieren.

Viertens hat das zentrale Mitglied des Quartetts, die Obama-Administration, sehr deutlich signalisiert, dass es sich während des kommenden Wahljahres [November 2012] nicht auf einen nahöstlichen Friedensprozess einlassen will, der es wahrscheinlich ernstlich mit Israel aneinandergeraten lassen würde.

Das Quartett scheint all diese Tatsachen, Einsichten und Lehren der jüngsten Geschichte außer acht zu lassen, auch wenn sie den Mitgliedern des Quartetts von ihren eigenen Analysten erläutert und erklärt werden. Verständlicherweise ist es nach 18 Jahren des institutionellen und ideologischen Investment in den Oslo-Prozess schwierig, die Notwendigkeit eines neuen Friedensmodells in Erwägung zu ziehen. Hier müssen wir nur auf das israelische Friedenslager schauen, das anscheinend die Situation ebenso falsch einschätzt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das Quartett ein Eigenleben führt, während die Legionen des Friedenslagers rasch schrumpfen und damit das konstante Überleben und die Stabilität der Regierung Netanjahus sicherstellen.“

Originaltext: Yossi Alpher: Pointless and depressing, in „bitterlemons“ 30.10.2011. Der Autor ist gemeinsam mit Ghassan Khatib Herausgeber des Internet-Portals „bitterlemons“ und leitete früher das „Jaffee Center for Strategic Studies“ an der Universität Tel Aviv.
Deutsch von Reiner Bernstein, München.
* Quelle: www.reiner-bernstein.de



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