Die Zukunft gehört der Jugend
Arian Fariborz über HipHop und Rock-Musik als Ventil für politischen Protest in der arabischislamischen Welt *
Herr Fariborz, welche Rolle spielen Musiker bzw. Künstler bei der arabischen Revolution in Ägypten,
Tunesien, Libyen, Syrien oder Iran?
Sie haben in einigen Ländern eine beachtliche Rolle gespielt. Das macht das Beispiel der
sogenannten »Jasmin-Revolution« in Tunesien, die den Diktator Ben Ali hinweggefegt hat, nur allzu
deutlich. Der Song »Rayes le-Bled« des Rappers El Général (alias Hamada Ben Amor) avancierte in
der »heißen Phase« des Volksaufstands zu einer Revolutionshymne, die die junge Facebook-
Generation begeistert aufnahm und rasch in Umlauf brachte. Der 22-jährige HipHop-Star aus Sfax
sprach mit dem Song vor allem der jüngeren tunesischen Generation aus dem Herzen. In »Rayes le-
Bled« beschreibt er das Klima der Angst und den allgegenwärtigen Polizeistaat Ben Alis, die soziale
Misere breiter Bevölkerungsmassen und den Reichtum einer kleptokratischen politischen Elite um
den Diktator. So lauten seine Texte etwa: »Hey Präsident, dein Volk stirbt!/ Die Menschen hungern
und leben wie die Hunde/ Und du lässt deine Polizei auf sie los!«
Welche Konsequenzen hatten diese deutlichen Worte für den Rapper Ben Amor?
Der Diktator ließ seine Polizeieinheiten auf den 22-Jährigen los. Am 6. Januar wurde er von 30
Polizisten zuhause aufgesucht und aufs Revier gezerrt, wo er für mehrere Tage festgehalten wurde.
Neben Ben Amor gibt es noch viele weitere Musiker, die ihren Protest gegen die politischen und
sozialen Missstände in ihren Liedern zum Ausdruck bringen: So etwa der Singer/Songwriter
Bendirman, dessen Konzerte unter Ben Ali regelmäßig verboten wurden, da seine Songs zu
regimekritisch waren.
Auch in anderen Ländern wie etwa in Iran während der Demonstrationen der grünen
Protestbewegung im Sommer 2009 haben sich Musikerzirkel, Bands oder Initiativen im In- und
Ausland gebildet. Sie haben die Proteste dort musikalisch begleitet und sich solidarisch mit der
Reformbewegung gezeigt. Diese musikalische Protestwelle beschreibe ich in meinem Buch.
In Ägypten und Marokko ist Heavy Metal sehr populär, in Palästina und Algerien wird eher gerappt.
Woher kommen die unterschiedlichen Vorlieben?
Tatsächlich lässt sich das nicht pauschalisieren. Auch in Marokko existiert eine vitale Metal- und
Rockszene. Sie präsentiert sich alljährlich auf dem Boulevard de Jeunesse-Festival in Casablanca.
Das Beispiel der Metal-Szene in Ägypten unterstreicht lediglich, wie eine Subkultur, die sich bis Mitte
der 1990er Jahre zu einer beachtlichen Jugendmusikbewegung etablieren konnte, dem Staat und
den religiösen Autoritäten zunehmend ein Dorn im Auge wurde. In der Folge wurde sie zerschlagen.
Dieses Phänomen scheint mir bezeichnend für viele autoritär regierte Staaten im Nahen Osten und
in Iran – allesamt Regime, die eine restriktive Kulturpolitik verfolgen.
Die populärste Rockband Irans, O-Hum, wurde 2005 verboten. Inwieweit sind Rock- und Pop-
Gruppen unter Präsident Ahmadinedschad offiziell noch erlaubt?
Ihre kulturelle Freiheit verläuft in sehr engen Bahnen, sofern sie nicht den Auflagen des Ministeriums
für Kultur und islamische Führung (»Ershad«) entsprechen. Mit anderen Worten: Sie landen in der
Illegalität und versuchen, ihre Musik über das Internet bekannt zu machen. Das Internet ist vor allem
in den autoritär regierten Staaten das primäre Medium zur Verbreitung zensierter
Musikproduktionen. In Iran haben Underground-Rockmusiker, die im wahrsten Sinne des Wortes im
Untergrund spielen müssen, da ihre Klänge bei den religiösen Obrigkeiten zu sehr anecken, keine
andere Wahl, als auf das Internet zurückzugreifen. Allerdings fristen sie oft ein Schattendasein.
Sofern ihre Musik verboten ist, dürfen sie nicht öffentlich auftreten oder ihre Produktionen auf
Tonträgern verbreiten. Sich als professioneller Musiker durch das Labyrinth an Restriktionen zu
winden, gleicht da schon einem Spießrutenlauf.
Worüber singen die iranischen Bands heute?
Viele musikbegeisterte junge Iraner schwören derzeit auf iranische Rock- und Blues-Bands wie OHum
und Abjeez, aber auch den Singer/Songwriter Mohsen Namjoo. Sie treffen den Nerv der
Jugend, indem sie die gesellschaftliche Tristesse in der Islamischen Republik, die fehlenden
persönlichen Freiheiten, das oktroyierte religiöse Regelwerk aus Ge- und Verboten mit ihren Songs
in Frage stellen. Auf diese Weise sprechen sie der jüngeren Generation – und zwar nicht nur der
gehobenen Mittelklasse – aus dem Herzen.
Haben die jungen Musiker Möglichkeiten, sich der Kontrolle durch Mullahs und Tugendwächter zu
entziehen, die Popmusik als »westlich-dekadentes Teufelszeug« brandmarken?
Den Bands gelingt es, dank ihrer sehr kreativen, originellen und metaphernreichen Spielweise und
Texte, der Jugend Hoffnung zu geben. Sie brechen das erstarrte Gesellschaftsgebäude um sie
herum auf, wobei plumper politisch angehauchter Agit-Prop völlig fehl am Platz ist.
Welche Konsequenzen hat es für die iranischen Musiker, gegen die Auflagen des Ministeriums für
Kultur und islamische Führung zu verstoßen?
Sie werden mit Auftrittsverboten belegt oder dürfen keine Tonträger mehr herausgeben. Falls sie
sich daran nicht halten sollten, drohen ihnen Strafen und unangenehme Befragungen.
In einigen iranischen Provinzen sollen Zentren für regionale Musik entstehen. Ist das ein Versuch,
westlich beeinflusste Musik zu verdrängen?
Das ist mir nicht bekannt. Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann ist das gewiss ein Versuch, eine
bestimmte traditionelle Musikkultur zu fördern.
Ortswechsel: Die bekannteste palästinensische HipHop-Gruppe ist DAM. Das bedeutet auf
Hebräisch »unbesiegbar«, auf Arabisch »Blut«. Welchen Einfluss haben solche Bands auf die
Jugend?
Einen großen, zumal die palästinensische Jugend eher über Musik zu erreichen ist als über die
immer gleichen schnöden Parolen und Versprechen der politischen Führer, derer sie seit Langem
überdrüssig sind. Ihre Musik ist Ausdruck von Verweigerung und sozialem sowie politischem Protest.
Damit zielen sie bewusst gegen die Herrschenden in ihrem Land – sowohl gegen die Hamas als
auch gegen die Fatah. Man darf nicht vergessen, dass in jüngster Vergangenheit Hip-Hop-Musiker
von der Hamas verfolgt wurden, der diese Musik als westlich-dekadent und zu rebellisch gilt. Und
auch die Fatah dürfte es nicht als besonders schmeichelhaft auffassen, wenn palästinensische
Rapper in ihren Songs die grassierende Korruption der politischen Eliten im Westjordanland
anprangern.
Kann Musik zur Versöhnung zwischen der neuen Generation der Israelis und der Palästinenser
beitragen?
In jedem Fall. Es gab bereits in der Vergangenheit engagierte Musikkooperationen und Projekte
zwischen israelischen und arabischen Musikern. Bandformationen, die ihre Hoffnung in eine
Wiederaufnahme der festgefahrenen Nahost-Friedensgespräche und einen neuen gesellschaftlichen
Dialog zwischen Israelis und Palästinensern Ausdruck gegeben haben. Auch wenn heute der
Frieden in weite Ferne gerückt zu sein scheint, glaube ich, dass die jüngere Generation in dieser
Region an diesem Ziel festhalten wird. Dass irgendwann die Mauern in den Herzen fallen werden
und die offensichtlich gescheiterte Politik der älteren Generation, der greisen Funktionäre und
Apparatschiks, ein Ende haben wird. Die Zukunft gehört der Jugend.
In den 90ern wurden in Algerien populäre Rai-Sänger wie Cheb Hasni von Islamisten ermordet. Die
Thrash-Metal-Band Acrassicauda aus Bagdad bekam Morddrohungen und musste Irak 2006
verlassen, nachdem in ihrem Proberaum eine Bombe explodierte. Sind die Islamisten für die Bands
inzwischen gefährlicher als der repressive Staat?
Die Islamisten stellen tatsächlich für viele junge Kulturschaffende eine große Gefahr dar – schon
allein deshalb, weil sie versuchen, der Jugend ihre orthodoxen Glaubensvorstellungen
aufzuzwingen. Ihre Toleranz verläuft in sehr engen Bahnen. Das gilt übrigens für den gesamten
islamisch geprägten Raum. Militante Islamisten schrecken vor physischen Attacken oder Mord nicht
zurück. Sie brandmarken künstlerische Produktionen als westlich-dekadent oder ketzerisch.
Erschreckende Beispiele für diese Intoleranz und Verfolgung von unabhängigen Kulturschaffenden
findet man von Jakarta bis Rabat.
Im syrischen Exil spielte Acrassicauda 2006 ein Konzert und nahm dort auch eine Demo-CD auf.
War al-Assad vor der syrischen Revolution liberaler als andere arabische Despoten, was Kunst und
Kultur betrifft?
Das glaube ich nicht. Vielleicht hat einer der vielen syrischen Geheimdienste geschlafen und den
infernalischen Lärm nicht mitbekommen? Nein, ich glaube, dass sofort der Stecker gezogen worden
wäre, wenn die Band irgendetwas gegen das Baath-Regime gesagt hätte. Von einem liberalen
Kulturklima in Syrien kann nicht die Rede sein. Alles wird dort vom Staat kontrolliert.
Welchen Stellenwert haben Rock- und Pop-Sänger in der arabisch-islamischen Welt? Gibt es dort
eine ähnliche Star-Anbetung wie bei uns?
Bei den Musikern, die ich in meinem Buch vorstelle, handelt es sich nicht um die Stars der
Mainstream-Rock- und Popszene, die über kommerzielle Sender wie Rotana-TV in der arabischen
Welt allgegenwärtig sind. Ich stelle Bands und Musiker vor, die in der Öffentlichkeit eher ein
Schattendasein führen, da sie mit ihren Klängen zu sehr anecken. Populär sind sie aber gewiss
innerhalb bestimmter alternativer Musikkreise: Die Rede ist hier von den iranischen Rockbands
Ohum oder Abjeez, aber auch von HipHop-Gruppen wie der palästinensischen Rap-Crew DAM, der
algerischen Band »Le Micro brise le silence« (MBS) und den ägyptischen Rappern von »Arabian
Knightz«. Fakt ist, dass all diese sehr überzeugenden, originellen Bands schon allein aufgrund
fehlender Spielräume kaum Chancen hatten, auch international wahrgenommen zu werden.
Fragen: Olaf Neumann
* Arian Fariborz, Politik- und Islamwissenschaftler. Buchveröffentlichung:
Arian Fariborz: Rock The Kasbah. Popmusik und Moderne im Orient. Reportagen aus Ägypten, Algerien, Israel, Palästina, Libanon, Marokko und dem Iran. Palmyra Verlag: Heidelberg 2010, 182 Seiten, 17,90 EUR. ISBN-10: 3930378841; ISBN-13: 9783930378845
Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2011
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