Barak setzt Friedensprozess aus und gerät unter Druck - Wieder Tote und Verletzte in den Autonomiegebieten
Gipfeltreffen der Arabischen Liga verurteilt Israel
Zum Abschluss des Gipfeltreffens der Arabischen Liga in Kairo haben die dort vertretenen Staats- und Regierungschefs Israel die alleinige Schuld an den Gewaltausbrüchen in den Palästinensergebieten zugewiesen. Sie wollen die Normalisierung mit Israel so lange auf Eis legen, bis es greifbare Fortschritte gibt. Als Reaktion darauf hat Israels Ministerpräsident Ehud Barak eine unbefristete "Pause" im Friedensprozess verkündet. Derweil gingen di Auseinandersetzungen in den Palästinensergebieten mit fast unverminderter Härte weiter. Am Wochenende (21./22. Oktober 2000) wurden mindestens sieben Palästinenser erschossen.
In der am Sonntag, den 22. Oktober in Kairo verabschiedeten Abschlusserklärung des arabischen Gipfels hieß es, Israel habe aus dem Friedensprozess einen Krieg gemacht. Der Volksaufstand der Palästinenser zeige die Bitterkeit nach Jahren vergeblichen Wartens auf eine friedliche Lösung. Gleichzeitig wurden die Vereinten Nationen aufgefordert, die Palästinenser mit internationalen Truppen zu schützen. Außerdem solle ein internationales Kriegsverbrechertribunal nach dem Vorbild Ruandas und Ex-Jugoslawiens eingerichtet werden, das die "Massaker" gegen Palästinenser und Libanesen untersucht.
Trotz starken Drucks von Seiten des Irak (der nach langer Zeit erstmals wieder auf einem Gipfel vertreten war) und Libyens verzichteten die arabischen Länder auf einen endgültigen Bruch mit Israel. Sie stellten diplomatische Maßnahmen gegenüber Israel den einzelnen Staaten anheim. Tunesien gab bekannt, es werde seine Interessenvertretung
in Israel schließen. Oman hat die Arbeit seiner Handelsmission
in Israel bereits suspendiert. Die PLO möchte das Tischtuch nicht zerschneiden. "Unsere Wahl ist eine Entscheidung für einen dauerhaften, gerechten und umfassenden Frieden", erklärte der palästinensische Präsident Yassir Arafat. Als Soforthilfe sagten die arabischen Staaten den Palästinensern umgerechnet rund zwei Milliarden Mark zu. Dazu sollen zwei Hilfsfonds eingerichtet werden.
Der Arabergipfel im Einzelnen
Die Resolution der Arabischen Liga war zurückhaltender, als die Äußerungen einiger arabischer
Staatschefs im Vorfeld vermuten ließen. Ägypten und
Jordanien, die bereits Friedensverträge mit Israel geschlossen
haben, hatten sich nachdrücklich für eine mäßigende
Resolution eingesetzt. Sie wurden auf der Konferenz von
einigen Staaten dafür heftig kritisiert. Der Vertreter des Irak,
Izaat Ibrahim, forderte einen „heiligen Krieg“ gegen Israel. Der
libysche Staatschef Muammar el-Gaddafi war der Konferenz
aus Protest gegen die seiner Ansicht nach zu milden
Resolutionsentwürfe ferngeblieben, sein Delegierter reiste
vorzeitig ab.
Der Gastgeber der Konferenz, Präsident Hosni Mubarak,
erinnerte daran, dass die Araber in einem „Marsch von langen
Jahren“ große Schritte zum Frieden gemacht hätten. Israel
müsse nun zeigen, dass es sich dem Frieden verpflichtet fühle.
Hosni Mubarak sagte, die Politik der „kollektiven Bestrafung,
des Terrors gegen unschuldige Zivilisten, des Tötens
unbewaffneter Kinder und der Zügellosigkeit extremistischer
Siedler“ seien rücksichtslose Praktiken, welche die arabische
Welt kategorisch zurückweise.
Palästinenserpräsident Jassir Arafat sprach von einem
„Massaker“ an seinen Landsleuten; die „heilige Intifada“
werde bis zum vollständigen Sieg fortgeführt. Syriens
Präsident Baschar el-Assad erklärte, dass niemand dem Krieg
das Wort rede. Sein Land trete für Frieden und Sicherheit ein.
Aber die arabische Welt könne einem „Frieden aus Schwäche“
nicht zustimmen. Israel und die Palästinenser seien keine
gleichberechtigten Partner, Israelis hätten einen Staat,
Palästinenser nicht.
Für zukünftige Friedensverhandlungen machte die Konferenz
strikte Vorgaben.Der saudische Kronprinz Abdallah erklärte,
Ost-Jerusalem sei eine „arabische und islamische“
Angelegenheit, in der Kompromisse unmöglich seien. Abdallah
kündigte die Gründung eines „Al-Aksa-Fonds“ in Höhe von 800
Millionen Dollar an. Mit dem Geld sollen Projekte finanziert
werden, welche die „islamische und arabische Identität“
Ost-Jerusalems bewahren. Ein weiterer Fonds, der „Jerusalem
Intifada Fonds“ in Höhe von 200 Millionen Dollar soll den
Hinterbliebenen der getöteten Palästinensern zu Gute
kommen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, der Ägypter
Abdel Megid, machte Frieden vom Rückzug Israels aus der
besetzten Gebieten abhängig; dies gelte auch für das Ostufer
des Sees Tiberias am Fuß der besetzten Golanhöhen. Im März
2001 will die Liga die Lage erneut bewerten und eventuell
über weitere Maßnahmen verhandeln.
Israelische Reaktionen
Aus Israel kamen widersprüchliche Reaktionen auf den Arabergipfel. Der israelische Regierungssprecher Nachman Schai nannte die
Erklärung von Kairo einen „Sieg der Vernunft“ in der
arabischen Welt. Schai begrüßte die Entscheidung, die
diplomatischen Beziehungen zu Israel nicht abzubrechen.
Premier Ehud Barak kündigte dagegen an, die Verhandlungen
mit den Palästinensern vorerst zu stoppen und eine unbefristete "Pause" in den Verhandlungen einzulegen. „Nach dem arabischen Gipfel
und im Licht seiner Resultate müssen wir eine Aus-Zeit
erklären“, sagte Barak. Das Ziel sei eine „Neubewertung des
Friedensprozesses“ angesichts der Unruhen in den
Palästinenser-Gebieten. Barak ließ erklären, die Aussetzung des Friedensprozesses sei eine "offensichtliche Notwendigkeit". Der jüdische Staat werde sich dennoch weiter um Frieden bemühen. Barak bekräftigte seine Absicht, nun eine "Notstandsregierung" zu bilden. Der Regierungschef, der keine Mehrheit im Parlament mehr hat, strebt an, den rechtsgerichteten Likud-Block von Ariel Scharon einzubinden. (Scharon hatte mit seinem provokanten Besuch auf dem Tempelberg am 28. September die blutigen Unruhen ausgelöst.) Scharon möchte wohl noch mehr: Am Wochenende kritisierte er die Haltung Baraks gegenüber den Palästinensern als nicht hart genug. Die Palästinenser bezeichneten dies als "neue Eskalation" der Krise.
Unterdessen mehren sich in Israel kritische Stimmen zu Baraks Haltung. Außenminister Schlomo Ben-Ami erklärte, Israel könne sich nicht leisten, auf die "diplomatische Option" zur Beendigung des Nahost-Konflikts zu verzichten. Auch Justizminister Jossi Beilin sprach sich gegen die Aussetzung des Friedensprozesses aus. "Das wäre ein schwerer Fehler", kritisierte Beilin. "Der Friedensprozess ist kein Basketballspiel und verträgt keine Pause." Es scheint, als isoliere sich Barak zusehends in seinem eigenen Lager und suche den Schulterschluss mit den ultrakonservativen Kräften.
Bei neuen heftigen Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee sind am Sonntag mindestens drei Palästinenser getötet und seit Samstag mehr als 100 verletzt worden. Nahe Hebron kamen nach palästinensischen Angaben zwei Palästinenser ums Leben. Israelische Soldaten erschossen am Sonntag einen 14
Jahre alten Palästinenser. Der Junge war nach
palästinensischen Angaben auf dem Weg von der Schule nach
Hause. Jugendliche hatten Steine auf israelische Soldaten
geworfen, diese hatten mit Gewehrfeuer geantwortet. Damit stieg die Zahl der Tosesopfer seit Beginn der Unruhen vor drei Wochen auf 132, überwiegend Palästinenser.
Nach: FR, SZ, NZZ vom 23. Oktober 2000
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