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"Unterstützung des Flüchtlingslagers in Dschenin sollte Priorität der Vereinten Nationen sein"

Vom Versuch des US-Botschafters Negroponte bei den Vereinten Nationen, Powells Nahost-Mission zu einem Erfolg schön zu reden

Nachfolgend dokumentieren wir - leicht gekürzt - eine Rede des US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Negroponte. Die Rede wurde am 19. April 2002 vor dem UN-Sicherheitsrat gehalten. Wir wollen sie hier nicht weiter kommentieren, sondern nur darauf hinweisen, dass es im Interesse der Vereinigten Staaten liegt, die von allen Nahostexperten und politischen Kommentatoren als gescheitert apostrophierte Mission des US-Außenministers im Nahen Osten Mitte April im Nachhinein als einen Erfolg der US-Diplomatie hinzustellen. Ähnliches versuchte auch der deutsche Außenminister Fischer in einem ganzseitigen Interview mi8t der "Frankfurter Rundschau" am 20. April 2002. Doch ganz unabhängig davon enthält die Erklärung des konservativen Diplomaten Negroponte einige Anhaltspunkte dafür, dass es zwischen der israelischen harten Linie und der US-Nahost-Politik im Augenblick doch einige Differenzen gibt.


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Außenminister Powell erreichte während seiner Mission Fortschritte, und ich würde Ihnen bei dieser Gelegenheit gerne einige seiner Erkenntnisse mitteilen. Erstens erhielt Außenminister Powell die Zusage der Israelis, die Militäroperationen zu reduzieren. Die israelischen Streitkräfte haben sich aus Dschenin zurückgezogen und werden sich auch bald aus Nablus zurückziehen. Präsident Bush bestätigte öffentlich, dass die Israelis "ihren Rückzug fortsetzen müssen".

Zweitens erlangte Außenminister Powell eine deutliche Erklärung, in der die palästinensische Führung die jüngsten Terroranschläge und insbesondere die entsetzlichen Selbstmordanschläge von Netanja und Jerusalem verurteilt. Und Präsident Bush rief die palästinensische Autonomiebehörde auf, gemäß ihrer "Verurteilung des Terrors" zu handeln.

Wie er gestern mitteilte, stieß Außenminister Powell bei Israelis und Palästinensern, den arabischen Staaten und den Mitgliedern des Quartetts auf breite Unterstützung für eine umfassende Strategie als Weg nach vorne mit drei Schlüsselelementen: 1. Sicherheit und Freiheit von Terror und Gewalt für Israelis und Palästinenser; 2. ernsthafte und beschleunigte Verhandlungen für neue Hoffnung und eine politische Lösung; 3. wirtschaftliche und humanitäre Hilfe zur Milderung der zunehmend verzweifelten Situation des palästinensischen Volks.

... Unser Ziel bleibt die vollständige Umsetzung von Resolution 1402 des UN-Sicherheitsrats und eine gerechte dauerhafte Lösung auf der Grundlage der Resolutionen 242, 338 und 1397 des UN-Sicherheitsrats.
Abteilungsleiter Burns verbleibt in der Region. Der Außenminister kündigte seine Absicht an, zur Fortsetzung seiner diplomatischen Bemühungen in die Region zurückzukehren. Und Außenminister Shimon Peres trifft während wir hier sprechen in Washington ein.

Herr Präsident, angesichts der Komplexität der vor uns liegenden Aufgaben müssen wir uns weiterhin auf die Region konzentrieren. Der Generalsekretär sagte dem Sicherheitsrat gestern: "Durch die drei vor kurzem beschlossenen Resolutionen 1397, 1402 und 1403 sowie die Erklärung des Präsidenten vom 10. April haben Sie eine deutliche Vision für eine endgültige Vereinbarung sowie die für die Wiederaufnahme der politischen Verhandlungen erforderlichen Schritte dargelegt." Diese Resolutionen verlangen die sofortige Einstellung aller Akte der Gewalt, des Terrors, der Provokation, der Aufwiegelung und der Zerstörung. Sie beinhalten außerdem umfassende Handlungsaufrufe bezüglich der politischen, humanitären und militärischen Aspekte der momentanen Krise und bieten eine praktische Anleitung für den Weg nach vorne.

Das vom Sicherheitsrat unterstützte Quartett forderte den sofortigen Rückzug der Israelis aus den Palästinenserstädten und sprach die Notwendigkeit, dem Terror und der Gewalt, dem zunehmenden Risiko für die regionale Sicherheit Einhalt zu gebieten sowie die dringende Notwendigkeit wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe für das palästinensische Volk an. Die vier Länder werden baldmöglichst zur Erörterung der nächsten Schritte zusammentreffen.

Die Vereinigten Staaten haben Israel gedrängt, humanitären Organisationen und Diensten vollständigen und ungehinderten Zugang zum Flüchtlingslager in Dschenin zu gewähren. Amerikanische Diplomaten arbeiten mit Hilfsorganisationen vor Ort zusammen, und der Zugang wurde verbessert. Die Israelis sollten internationalen humanitären Helfern sowie Such- und Rettungsmannschaften unverzüglichen, uneingeschränkten Zugang gewähren. Wir empfinden das heutige Eintreffen von schweizerischen und norwegischen Such- und Rettungsmannschaften im Lager als ermutigend.

Die Erleichterung der Situation in Dschenin sollte zu diesem Zeitpunkt unser dringlichstes humanitäres Ziel sein. Weitere Maßnahmen des Sicherheitsrats sind nicht der beste Weg, dieses Ziel zu erreichen. Vielmehr können wir mehr bewirken, indem wir direkt mit den beiden Parteien vor Ort arbeiten.

Wir haben auch einige konkrete Schritte unternommen, um die humanitäre Situation des palästinensischen Volks anzusprechen. Letzten Freitag bewilligte Präsident Bush weitere 30 Millionen Dollar als Unterstützung für die Notfallprogramme des UN-Flüchtlingshilfswerks für die Palästinenser (UNWRA) im Westjordanland und dem Gazastreifen. Zudem hat unsere Hilfsorganisation 62 Millionen Dollar für beschleunigte Hilfe im Gesundheitswesen, für die Reparatur des Wasserversorgungssystems und Lebensmittelhilfe zugesagt. Die Vereinigten Staaten begrüßen die Einladung Norwegens, nächsten Mittwoch ein Treffen des Ad-hoc-Verbindungsausschusses einzuberufen, um die dringlichen und längerfristigen Hilfs-, Entwicklungs- und Wiederaufbaubedürfnisse der palästinensischen Autonomiebehörde und des palästinensischen Volks zu erörtern.

Herr Präsident, mein Land ist der festen Überzeugung, dass der Sicherheitsrat am effektivsten und seine Resolutionen am bedeutsamsten sind, wenn sich seine Maßnahmen auf die Gebiete konzentrieren, bei denen es Übereinstimmung gibt. Wenn wir mit einer Stimme sprechen und Zusammenhalt demonstrieren, werden unsere Worte wirkliche Kraft haben. Sehen Sie sich beispielsweise die Resolutionen 1397, 1402 und 1403 an. Wenn wir uns stattdessen zu stark auf Gebiete beschränken, bei denen es unterschiedliche Meinungen gibt, und auf die Verurteilung der einen oder anderen Seite, laufen wir Gefahr, Worte zu äußern, die nur dazu dienen können, den bestehenden Konflikt zu schüren. Die Betonung unserer Meinungsverschiedenheiten kann sich auf unser gemeinsames Ziel, diesem belagerten Teil der Welt dauerhaften Frieden zu bringen, nur kontraproduktiv auswirken. Vielen Dank, Herr Präsident.

Originaltext: Helping Jenin Camp Should be U.N. Priority, U.S. Says


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