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Zweigeteiltes journalistisches Engagement

MEDIENgedanken: Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

Von Karin Leukefeld *

»Aus Deutschland kommen Sie und wollen ein Interview? Nein, was ich sagen will, wird von Ihren Medien doch sowieso nicht berichtet.« Es war Sommer 2006, als ich in Beirut die große, stattliche Dame um ein Interview bat. Die israelische Luftwaffe hatte bereits große Schäden angerichtet, die Schulen und Parks der libanesischen Hauptstadt waren überfüllt mit Menschen, die vor den Angriffen und Kämpfen im Südlibanon geflohen waren.

Auf meine Frage, wie sie denn zu ihrer ablehnenden Haltung käme, verwies die Dame auf die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundesregierung, die Israels verheerende Angriffe als »Selbstverteidigung« entschuldigten. Natürlich hätte Israel wie schon früher verhandeln können. Darauf hatte die Hisbollah spekuliert, als sie israelische Gefangene nahm, um eigene Gefangene austauschen zu können. Mehr als einmal hatte bei solchen Tauschaktionen der deutsche Bundesnachrichtendienst Pate gestanden. Doch Israel verhandelte nicht, sondern hämmerte 30 Tage lang auf den Libanon ein, als solle nichts übrig bleiben davon. Live verfolgten die Libanesen das Schweigen Europas und des UN-Sicherheitsrates dazu im Fernsehen.

Die Deutsche Evangelische Gemeinde in Beirut fasste sich schließlich ein Herz und schrieb an die »Sehr geehrte Frau Merkel …«. Höflich wiesen die beiden Pfarrer darauf hin, dass die »militärische Antwort« Israels auf die Entführung der Soldaten »nicht der Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta« diene und dem Völkerrecht widerspreche. Libanon sei »seit 1978 ständigen Demütigungen seitens der israelischen Regierung unterworfen« worden, das müsse ein Ende finden. Die Bundeskanzlerin solle »die Rechtfertigung der anhaltenden Bombardierungen seitens der übermächtigen Kriegspartei auch öffentlich« aufgeben. Merkel hat ihre Position bis heute nicht aufgegeben, aber Monate nach dem Krieg wurde das Pfarrerehepaar aus Beirut mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In ihrer Arbeit – die Gemeinde beherbergte während des Krieges Flüchtlinge aus dem Südlibanon – habe sich »Deutschland mit Herz« gezeigt, sagte der damalige Botschafter im Libanon bei der Auszeichnung.

Fast schon mitleidig beruhigen mich Gesprächspartner im Mittleren Osten, wenn ich nach Ihrer Einschätzung der deutschen Politik in ihrer Region frage. Man kenne ja das besondere Verhältnis zwischen den Deutschen und Juden, meinte ein Gesprächspartner. »Doch sie verwechseln die Juden mit Israel«, fuhr er fort, »sie übernehmen die zionistische Darstellung und Wortwahl des Staates Israel, wenn es um die arabische Seite des Konflikts geht und das ist nicht korrekt.«

Nun hat die Bundeskanzlerin vor einigen Monaten Kurt Westergaard ausgezeichnet, der durch das Zeichnen von Karikaturen über Mohammad bekannt geworden ist. Bei dieser Gelegenheit sprach die Kanzlerin viel über Freiheit und lobte das »hohe Gut« von Journalisten, präzise Fragen stellen zu dürfen, über die Antworten zu berichten »und zwar ungekürzt, unverändert, unverzüglich«. Da sei die Frage erlaubt, wie es mit dieser Freiheit in Deutschland bestellt ist, wenn es um den Staat Israel geht?

Zum Beispiel bei der Tagung »Partner für den Frieden – Mit Hamas und Fatah reden«, die die evangelische Akademie Bad Boll im Juni 2010 veranstalten wollte. Auf Druck der israelischen Regierung erhielt der Redner aus dem besetzten Gazastreifen keine Einreiseerlaubnis, weil er Minister in einer von der Hamas geführten Regierung ist. Die israelische Regierung mischt auch mit, wenn Journalisten kritische »Originaltongeber« verwenden. »Das können wir nicht bringen, sonst steht hier morgen die Botschaft vor der Tür«, erklärte mir eine Redakteurin, nachdem sie eine israelkritische Aussage der 82-jährigen Hedy Epstein aus dem Manuskript gestrichen hatte. Die in den USA lebende Jüdin Hedy Epstein überlebte den Holocaust nur, weil ihre Eltern sie rechtzeitig mit einem Kindertransport nach England geschickt hatten. Und heute darf sie ihre Meinung über Israel im deutschen Rundfunk nicht sagen?

Zum Beispiel der Journalist Ludwig Watzal, ehemaliger Redakteur der Beilage »Aus Politik und Zeitgeschichte« der Wochenzeitung »Das Parlament«, die von der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) herausgegeben wird. Mit bestechender Klarheit informierte Watzal darin über die israelische Besatzungspolitik und war zum Thema »Nahost-Konflikt« gefragter Experte. Warum wurde er nicht für sein journalistisches Engagement ausgezeichnet, als »Freunde Israels« – allen voran die zionistische Webseite »Honestly Concerned« – zur öffentlichen Hetzjagd auf ihn bliesen? Geradezu unterwürfig stellten sich andere »Leitmedien« sowie Leiter und Pressesprecher der bpb hinter die Inquisitoren, nicht hinter Watzal. Warum wird Einsatz für Meinungs- und Pressefreiheit gelobt, wenn eine angenommene Gewalttätigkeit des islamischen Religionsgründers dargestellt wird und diffamiert, wenn es um die israelische Besatzungspolitik geht?

* Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet für ND aus der Nahost-Region.

Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2011



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