"Wir sehen uns in einer Doppelverantwortung und sind mit den Menschen in Israel und Palästina solidarisch"
Die Linksfraktion im Deutschen Bundestag verabschiedet eine umfassende Position zum Nahost-Konflikt (im Wortlaut)
Die Fraktion der LINKEN im Bundestag hat am 20. April 2010 ein Positionspapier zum Nahost-Konflikt verabschiedet. Darin bekennt sich die Fraktion sowohl zur Unterstützung der Bestrebungen der Palästinenser nach einem eigenen Staat, als auch zum Existenzrecht Israels: "Für die LINKE gilt, dass Deutschland wegen der furchtbaren Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus eine besondere Verantwortung gegenüber Israel und gegen jede Art von Antisemitismus, Rassismus, Unterdrückung und Krieg hat. Diese Verantwortung ist nicht relativierbar; sie schließt das Bemühen um einen palästinensischen Staat und die Garantie des Existenzrechts Israels ein."
In dieser "Doppelverantwortung" sei man "mit den Menschen in Israel und Palästina solidarisch". Eine einseitige Parteinahme in dem Konflikt werde "nicht zu seiner Lösung beitragen". Als "erste Schritte auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung" werden von den Konfliktparteien unter anderem ein "sofortiger Stopp des Siedlungsbaus" in den besetzten Gebieten, ein sofortiges "Ende des palästinensischen Raketenbeschusses auf israelisches Territorium", die Beendigung des Mauerbaus, die Öffnung des Gazastreifens, die Freilassung aller politischen Gefangenen auf beiden Seiten und die Einbeziehung der Hamas in politische Gespräche gefordert. Die Erklärung enthält außerdem eine Reihe bedenkenswerter Forderungen an die Adresse der Bundesregierung.
Wir dokumentieren die Erklärung im Folgenden im Wortlaut.
Beschluss der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag vom 20.04.2010
Position der Fraktion DIE LINKE zum Nahost-Konflikt
Für DIE LINKE gilt, dass Deutschland wegen der furchtbaren Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus eine besondere Verantwortung gegenüber Israel und gegen jede Art von Antisemitismus, Rassismus, Unterdrückung und Krieg hat. Diese Verantwortung ist nicht relativierbar; sie schließt das Bemühen um einen
palästinensischen Staat und die Garantie des Existenzrechts Israels ein.
Wir sehen uns in einer Doppelverantwortung und sind mit den Menschen in Israel und Palästina solidarisch. Eine einseitige Parteinahme in diesem Konflikt wird nicht zu seiner Lösung beitragen.
Für uns ist der Maßstab das internationale Völker- und Menschenrecht, das für alle Staaten
und Konfliktparteien zu gelten hat. Jegliche Gewaltanwendung der beteiligten Parteien wird
von uns verurteilt.
Die umfangreichen finanziellen Unterstützungen der Bundesregierung und der Europäischen
Union für die Palästinenser können dazu beitragen, die humanitäre Katastrophe im
Gazastreifen und im Westjordanland abzufedern. Dennoch stellt die israelische Besatzung,
die noch immer bestehende Abriegelung des Gazastreifens, die zu einem systematischen
Mangel an Nahrungsmitteln, Brennstoffen und an elementaren technischen Mitteln führt,
eine Kollektivstrafe für die 1,5 Millionen Menschen in Gaza dar, die das Völkerrecht
ausdrücklich verbietet. Die Besatzung wird zwar mit diesem Geld erträglicher gemacht. Darin
liegt jedoch ein grundsätzliches Dilemma: Humanitäre Hilfe ist notwendig, andererseits wird
die Besatzung damit indirekt unterstützt. Es hat sich gezeigt, dass diese Geldzuwendungen
einen politischen Prozess nicht ersetzen können. Es ist zu beklagen, dass die Bundesrepublik
ebenso wie die anderen europäischen Staaten, die USA und die UNO Israel bei seinen
fortgesetzten und anhaltenden Verstößen gegen das Völkerrecht und gegen das humanitäre
Völkerrecht jahrzehntelang gewähren ließen. Aus dem jüngsten Krieg im Gazastreifen sind
jetzt endlich die richtigen Schlüsse zu ziehen: Eine politische Wende ist erforderlich, um zu
Frieden und Sicherheit zu gelangen.
Eine Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt ist nicht auf militärischem Wege zu
erzielen, sondern nur durch ernsthafte und aufrichtige Verhandlungen zwischen allen
Beteiligten, wie sie bisher trotz aller Konferenzaktivitäten nicht stattgefunden haben. Eine
endgültige, gerechte und dauerhafte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts wird
nur erzielt werden, wenn die Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt wird.
D.h.
-
die Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates mit völkerrechtlich
verbindlichen, von allen Beteiligten anerkannten, sicheren Grenzen, mit einem
zusammenhängenden Territorium im Westjordanland auf der Grundlage der Grenzen
von 1967, dem Gaza-Streifen und Ostjerusalem als Hauptstadt, einschließlich der
Möglichkeit eines einvernehmlichen Gebietsaustausches mit Israel. Ferner muss der palästinensische Staat über wirtschaftliche und soziale Lebensfähigkeit und über die Kontrolle der eigenen Ressourcen, wie Land und Wasser sowie frei zugängliche und
sichere Verkehrswege zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen verfügen
und
- die Anerkennung eines sicheren Existenzrechts Israels und eines palästinensischen
Staates von allen Beteiligten in völkerrechtlich verbindlich festgelegten sicheren
Grenzen und
- eine umfassende Regelung für alle palästinensischen Flüchtlinge auf der Grundlage
der Resolution Nr. 194 der UN-Generalversammlung oder/und den Vorschlägen der
Genfer Initiative. Dabei muss ein Weg zwischen Rückkehr und Entschädigung
gefunden werden.
Forderungen
Erste notwendige Schritte auf demWeg zu einer friedlichen Lösung:
-
der sofortige Stopp des Siedlungsbaus und der Landkonfiskation in den besetzten
Gebieten einschließlich Ost-Jerusalems und seines Umlandes,
- das sofortige Ende des palästinensischen Raketenbeschusses auf israelisches
Territorium und der israelischen militärischen Angriffe auf palästinensisches Gebiet,
- das Ende der Besatzungspolitik Israels, die Öffnung der Grenzen zum Gazastreifen
und die Aufhebung der über 650 check-points,
- die Beendigung des Mauerbaus auf palästinensischem Territorium und Abbau oder
Rückbau auf israelisches Gebiet entsprechend dem Gutachten des Internationalen
Gerichtshofes von 2004,
- die Freilassung der politischen Gefangenen auf beiden Seiten, was insbesondere die
Freilassung des israelischen Soldaten Gilat Schalid, des palästinensischen
Abgeordneten Marwan Barghuti sowie der anderen Mitglieder des palästinensischen
Parlaments und der Mehrzahl der über 8000 in israelischen Gefängnissen
einsitzenden Palästinenser bedeutet,
- die Einbeziehung der Hamas in politische Gespräche und die Aufhebung ihres
Boykotts,
- die internationale Untersuchung der Kriegsführung auf Verletzung des Völkerrechts
im Gaza-Krieg.
Forderungen an die Bundesregierung
Wir fordern von der Bundesregierung eine sofortige und eindeutige Abkehr ihrer
gescheiterten Politik im Nahostkonflikt.
Die Fraktion DIE LINKE fordert die Bundesregierung nachdrücklich auf,
-
sich in der EU und in der Zusammenarbeit mit Israel namentlich und vernehmlich für
die Durchsetzung der Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates einzusetzen
- sich bei Verstößen gegen das allgemeine Völkerrecht und gegen das humanitäre
Völkerrecht – egal von welcher Seite – unmissverständlich auf die Seite des
Völkerrechts zu stellen,
- die Beratung des Goldstone-Berichtes, der beiden Seiten Verstöße gegen die
Menschenrechte im Gaza-Krieg vorhält, nicht zu blockieren,
- Israel und andere Staaten der Region nicht länger mit Waffen zu beliefern und
politisch für einen atomwaffenfreien Nahen Osten sowie für die
Nichtweiterverbreitung atomarer Waffen einzutreten,
- die in Kairo begonnenen Bemühungen um eine Aussöhnung der Palästinenser
untereinander zu unterstützen und eine neu gebildete palästinensische Regierung,
egal wie sie aussieht, zu akzeptieren,
- sich für die Zwei-Staaten-Lösung im oben genannten Sinne einzusetzen,
- sich innerhalb der EU dafür einzusetzen, dass die gegen den Gazastreifen verhängte Wirtschaftsblockade sofort aufgehoben wird,
- sich für die Aufhebung der Unterscheidung zwischen den Zonen A, B und C der
Westbank und die sofortige Übergabe dieser Gebiete durch Israel an die
Palästinensische Autonomiebehörde einzusetzen,
- sich in der EU für die Einhaltung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel, insbesondere der Menschenrechtsklausel, einzusetzen und sich dazu zu
verpflichten, bei Verletzungen entsprechende Maßnahmen, bis hin zur Aussetzung
des Abkommens, anzumahnen. Eine Ausweitung der Beziehungen zwischen der EU
und Israel muss genutzt werden, um die Achtung der Menschenrechte und des
humanitären Völkerrechts, die Beendigung der humanitären Krise in Gaza und in den besetzten palästinensischen Gebieten, ein wirkliches Engagement für eine
umfassende Friedensregelung sowie die uneingeschränkte Umsetzung des Interim-
Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der PLO durchzusetzen,
- eine Friedenskonferenz für den Nahen Osten nach dem Vorbild des KSZE-Friedensprozesses
mitzuinitiieren, an der alle Staaten und Konfliktparteien beteiligt
werden, auch Libanon, Syrien und Iran,
- sich für eine Beendigung der Besetzung der völkerrechtlich zu Syrien gehörenden
Golan-Höhen und der zum Libanon gehörenden Shebaa-Farmen einzusetzen und
dazu direkte Verhandlungen Israels mit Syrien und dem Libanon zu befördern,
- ein deutsch-israelisch-palästinensisches Jugendwerk zur israelisch-palästinensischen
Aussöhnung ins Leben zu rufen,
- ein Programm vorzulegen und zu finanzieren, welches die Umsetzung der UNO-Resolution 1325 im Verhandlungsprozess Israel – Palästina unterstützt,
- sich in der internationalen Staatengemeinschaft für eine dem Marshallplan ähnliche Initiative für den Wiederaufbau in Palästina einzusetzen,
- bei der Verhandlung mit der Hamas sich dafür einzusetzen, dass aus ihrer Charta die
Punkte gestrichen werden, die das Existenzrecht Israels bestreiten bzw. in Zweifel
ziehen.
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