Revolten und Repression
Tote bei Massenprotesten in Libyen, Bahrain und Jemen. Auch in Kuwait, Irak, Marokko und Algerien gehen die Menschen ungeachtet von Polizei und Militär auf die Straßen
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Massaker in Libyen, Tote in Bahrain und Jemen, Revolten gegen korrupte Herrscher im Irak und in den kurdischen Autonomiegebieten des Landes, gegen Unterdrückung in Kuwait, Algerien, Marokko. In den mit westlicher Wirtschafts- und Militärhilfe gesponserten arabischen Regimen fordern die Menschen Freiheit und Respekt.
Bis zu 200 Menschen sollen in der ostlibyschen Hafenstadt Benghasi in der vergangenen Woche von Sicherheitskräften getötet worden sein. Auch Söldnereinheiten aus afrikanischen Staaten seien im Einsatz gewesen, sagten Augenzeugen telefonisch in arabischen Nachrichtensendern, darunter Geschäftsleute und Krankenhauspersonal. 50 muslimische Führer aus verschiedenen Teilen des Landes riefen die Sicherheitskräfte am Sonntag auf, das Töten von Zivilisten unverzüglich einzustellen: »Hört auf, Eure Brüder und Schwestern zu töten, stoppt das Massaker jetzt«, heißt es in dem Aufruf.
Proteste in der algerischen Hauptstadt Algier waren am Samstag (19. Feb.) erneut mit einem massiven Polizeiaufgebot konfrontiert, die Menschen forderten Regierungsreformen und ein Ende sozialer Mißstände. Dabei wurde ein Abgeordneter der Oppositionspartei RCD angeschossen und schwer verletzt. Die Regierung hatte infolge der Proteste in Ägypten Anfang des Monats angekündigt, den Ausnahmezustand bis Ende Februar aufzuheben.
Auch in Marokko forderten am Sonntag (20. Feb.) Tausende politische Reformen. In der Hauptstadt Rabat, in Casablanca, Tanger und anderen Städten verlangten die Demonstranten zudem eine Machtbeschränkung von König Mohammed. In Marokko herrscht seit 350 Jahren Monarchie. Parlament und Regierung sollten aufgelöst werden. Die Menschen riefen »Freiheit, Würde, Gerechtigkeit«, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Auf Plakaten stand »Das Volk will eine neue Verfassung«. Mehr als 2000 Demonstranten gingen in Rabat auf die Straße und riefen »Das Volk will den Wandel«. Eine Gruppe »Bewegung des 20. Februar für den Wechsel« hatte per Internet zu den Protesten aufgerufen.
Im Jemen wurden bei Protesten gegen das Regime von Präsident Ali Abdullah Saleh in den vergangenen zehn Tagen bisher sieben Menschen getötet. In dem kleinen Inselstaat Bahrain starben in der vergangenen Woche sechs Menschen, Hunderte wurden bei Auseinandersetzungen mit dem Militär und Polizeikräften verletzt. Nachdem die Armee sich aus der Innenstadt zurückgezogen hatte, nahmen Tausende Demonstranten den »Platz der Perle« wieder ein, den sie zuvor tagelang besetzt gehalten hatten. Einen Aufruf zum Streik nahmen die Gewerkschaften nach dem Rückzug der Armee zurück. Einem Aufruf zum Dialog des Kronprinzen Salman Bin Hamad Al-Khalifa steht die Opposition, die den Rücktritt der Regierung fordert, skeptisch gegenüber.
In Jahra, einem Vorort von Kuwait-City, ging die Polizei ebenfalls am Wochenende mit Rauchbomben und Wasserwerfern gegen rund 1000 staatenlose arabische Beduinen vor, die mehr Bürgerrechte forderten. Verschiedenen Angaben zufolge wurden Dutzende von ihnen verhaftet, Verletzte wurden mit Krankenwagen abtransportiert. Die Demonstranten erhielten Rückendeckung von einigen Abgeordneten, die der Regierung vorwarfen, das Problem der Bürgerrechte für die rund 100000 staatenlosen Beduinen, deren Vorfahren aus anderen arabischen Staaten nach Kuwait gekommen waren, nicht schon längst gelöst zu haben.
Auch im Irak kam es in der vergangenen Woche zunächst im Süden des Landes zu Demonstrationen. In Kut protestierten rund 2000 Menschen vor dem Büro des Provinzgouverneurs, drei Regierungsgebäude wurden in Brand gesetzt. Die Proteste richteten sich gegen Korruption, Arbeitslosigkeit, Mangel an Strom und Gesundheitsversorgung und hohe Lebensmittelpreise. Drei Menschen wurden getötet, 30 verletzt, darunter auch Polizeibeamte, die Armee übernahm schließlich die Kontrolle, der Gouverneur floh. Die tödlichen Schüsse in Kut kamen nicht von der Polizei oder Soldaten, sondern von sogenannten privaten Sicherheitskräften, die um die Regierungsgebäude stationiert waren.
In der nordirakischen Kurdenmetropole Sulaimanija waren am vergangenen Donnerstag rund 3000 vorwiegend junge Leute zu den Provinzbüros der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) Masud Barzanis und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Jelal Talabanis unterwegs, die die Region seit Jahrzehnten beherrschen. Die Demonstranten forderten den Rücktritt der kurdischen Regionalregierung, Arbeit und die Bestrafung von Korruption. Sicherheitskräfte schossen in die Menge und töteten zwei Menschen, rund 50 Menschen wurden nach Angaben eines Krankenhauses verletzt eingeliefert. Unbekannte verwüsteten am nächsten Tag ein Büro der oppositionellen Goran-Partei, die bei den letzten Wahlen zum kurdischen Regionalparlament fast 50 Prozent der Sitze gewonnen hatte.
* Aus: junge Welt, 21. Februar 2011
Hintergrund: US-Stützpfeiler in Gefahr **
Die Unruhen in der arabischen Welt und in Nordafrika richten sich (noch) nicht gegen die europäische und US-Politik in der Region und die Einbindung ihrer Staaten in deren regionales Sicherheitsnetz für Israel. Dennoch sind sie ein Schlag ins Gesicht des Westens, der sich Demokratie und Freiheit auf die Fahnen geschrieben hat, während es die Region als Militär- und Geheimdienstbasis benutzte.
Marokko, Algerien und Tunesien sind eingebunden in ein US-Programm mit Drohnen zur Überwachung von »islamistischen Terrorgruppen der Al-Qaida« in Mali und Nigeria. Geheimdienstliche Hilfe von Ägypten und Jordanien werden von der US-Administration bei Verhören von angeblichen »islamistischen Terroristen« und anderer Oppositioneller im Rahmen eines Übergabeprogramms in Anspruch genommen. Weil in den USA Folter zum Erpressen von Informationen nicht erlaubt ist, werden solche Gefangenen kurzerhand von den ägyptischen und jordanischen Geheimdiensten »übernommen«, mit »großem Erfolg«, wie es heißt. Ägypten und Jordanien sind zudem eingebunden in ein Eingrenzungs- und Unterdrückungsprogramm von palästinensischer Opposition und Widerstand gegen die israelische Besatzung.
Die derzeitigen Unruhen könnten sämtliche US-Militärstützpunkte von Kairo bis an den Golf gefährden, darunter den exklusiven Zugang zu Flug- und Seehäfen. 50000 US-Soldaten sind im Irak stationiert, rund 27000 in verschiedenen Golfstaaten, hinzu kommen Tausende, die auf Flugzeugträgern, Zerstörern und U-Booten im Persisch-Arabischen Golf, dem Roten Meer und dem Arabischen Meer stationiert sind. Vorfahrt für US-Kampfschiffe im Suezkanal, Überflugrechte für die US-Luftwaffe sind in Gefahr.
Seit der Invasion im Irak (2003), dem Libanon-Krieg (2006) und mit ihrer einseitigen Parteinahme für Israel haben die USA schon lange die Glaubwürdigkeit als »ehrlicher Vermittler« verloren. Der Fall Saad Hariris im Libanon, der Sturz der Präsidenten Ben Ali in Tunesien und Hosni Mubaraks in Ägypten haben zentrale Stützpfeiler einer Politik zu Fall gebracht, die um die Interessen der USA und Israels, nicht aber um das Wohl der arabischen Welt herum gebaut war.
(kl)
** Aus: junge Welt, 21. Februar 2011
Ghaddafis Truppen feuern auf Trauerzug
Von Karin Leukefeld, Damaskus ***
Libysche Sicherheitskräfte haben am Sonntag (20. Feb.) nach Zeugenberichten mit Maschinengewehren das Feuer auf Regierungsgegner eröffnet. Ein Arzt in einem Krankenhaus in Benghasi sagte, mindestens eine Person sei während eines Trauermarsches erschossen worden. Weitere 14 seien durch Schüsse verletzt worden.
Bis zu 200 Menschen sollen in der ostlibyschen Hafenstadt in der vergangenen Woche von Sicherheitskräften getötet worden sein. Überprüfen und bestätigen lassen sich die Angaben nicht. Die Berichterstattung aus Libyen ist schwierig. Ausländische Medien sind nicht zugelassen, seit Freitag sind Telefon- und Internetverbindungen unterbrochen. Wackelige Bilder, vermutlich mit Handys aufgenommen, zeigen Bewaffnete, die auf Ansammlungen von Menschen schießen, die versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Im Nachrichtensender Al-Dschasira berichtete am Wochenende die Anruferin Rahmi weinend, Scharfschützen schössen von Hausdächern auf die Menschen, überall lägen Tote auf den Straßen. Ein anderer Anrufer bezeichnete die Lage in Benghasi als »Kriegszustand«. Eine Ärztin berichtete von einem achtjährigen Jungen, der durch einen Kopfschuß getötet wurde. Ein Arzt sprach von einer »gezielten Tötungspolitik«.
Die Proteste in Benghasi hatten vor einer Woche begonnen, als mit einem Demonstrationszug an 14 Tote erinnert werden sollte, die 2006 von libyschen Sicherheitskräften getötet worden waren. Dabei waren auch Parolen gegen die Regierung gerufen und eine Ehrentafel für Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi zerstört worden. Wenige Tage später folgten Zehntausende dem Aufruf zu einem »Tag des Zorns«, der wiederum von den Sicherheitskräften angegriffen wurde. Am Samstag starben 15 Menschen bei einer Trauerfeier für die zuvor Getöteten. In Tripolis zeigte das Staatsfernsehen derweil Tausende Menschen auf den Straßen, die Staatschef Ghaddafi unterstützten. Bilder von den Auseinandersetzungen im Osten des Landes waren nicht zu sehen.
*** Aus: junge Welt, 21. Februar 2011
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