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Unteilbarer Humanismus

Felicia Langer hat ein eindringliches Buch zum israelisch-palästinensischen Konflikt geschrieben

Von Werner Ruf *

Um Hoffnung kämpfen« ist wohl das persönlichste Buch, das die in Tübingen lebende israelische Rechtsanwältin und Trägerin des alternativen Nobelpreises Felicia Langer geschrieben hat. Es beginnt mit einem sehr sensiblen Rückblick auf die Feier ihrer Goldenen Hochzeit mit Mieciu, der als Kind fünf Konzentrationslager überlebte, während seine Familie ausgelöscht wurde. Sie selbst und ihre Familie hatten sich vor den Nazis in die Sowjetunion retten können. Die Freude über die anwesenden Enkel bringt sie schnell zurück zu der Aufgabe, die ihr Leben bis heute bestimmt: der Schutz von Kindern, Familien, Menschen in Palästina vor Willkür, Unterdrückung und Entrechtung durch die israelischen Besatzer. Daß dieses Buch am Vorabend des Angriffs der israelischen Armee erschien, ist Zufall - um so aktueller und eindringlicher ist seine Botschaft.

Internationale Dimension

Gerade das Elend im Gazastreifen, noch vor der Invasion vom 27. Dezember 2008, wird thematisiert: Die willkürlich von israelischen Granaten zerfetzten Kinder oder schwer verstümmelten im Schifa-Krankenhaus in Gaza, das aufgrund der israelischen Blockade kaum zur notwendigsten medizinischen Versorgung in der Lage ist; die 850 seit 2000 in diesem Elendsstreifen getöteten Kinder und Jugendlichen in den besetzten Gebieten; und sie verweist auf die internationale Dimension des Konflikts, auf die bedingungslose Rückendeckung, die die Regierungen Israels durch den Präsidenten der USA, aber auch die deutsche Bundeskanzlerin erfahren. Während des G-8-Gipfels in Heiligendamm verurteilte die Autorin in einer Rede den »Krieg gegen den Terror« als imperialistische Strategie der USA und klagte Israel an, das die Geschichte mißbrauche. Und als ob sie den jüngsten Konflikt vorhersähe, sagte sie damals: »Derzeit tut Israel alles, damit die Situation außer Kontrolle gerät. Die Hamas hat über 15 Monate lang eine Waffenruhe eingehalten, während die israelische Armee (...) ihre gezielten Tötungen, die in völkerrechtlicher Sicht Kriegsverbrechen sind, ungerührt fortsetzte, und die Zahl der Siedler unaufhörlich wuchs.«

Auf der SHIT-List (www.masada2000.org/list-L.html), jenem unsäglichen Machwerk, in dem über 7000 Juden als »Selbsthassende Israel-Verräter« in übelster Weise verleumdet werden, hat Felicia Langer selbstverständlich ihren Platz. Doch was sagt sie über die israelische Gesellschaft: »Ich denke an die Israelis, die durch die Entmenschlichung der Palästinenser ihre Seele verloren haben.« Und sie zitiert aus einer Rede des Berliner Friedensaktivisten Wolfgang Richter anläßlich der ihr zuteil gewordenen Verleihung des Menschenrechtspreises der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) den israelischen Literaturkritiker Ran Hacohen: »Der Mißbrauch von angeblichem Antisemitismus ist moralisch verabscheuungswürdig. Es waren Hunderte von Jahren nötig und Millionen von Opfern, um Antisemitismus - eine spezielle Form von Rassismus, der historisch zu Genozid führte - in ein Tabu zu verwandeln. Menschen, die dieses Tabu mißbrauchen, um Israels rassistische und genozidale Politik gegenüber den Palästinensern zu unterstützen, tun nichts anderes als die Erinnerung an jene jüdischen Opfer zu schänden, deren Tod aus humanistischer Perspektive nur insofern Sinn hat, als er eine ewige Warnung an die Menschheit ist vor jeder Art von Diskriminierung, Rassismus und Genzozid.«

Genau dies ist auch die Botschaft, die Felicia Langer immer wieder in ihren vielen früheren Büchern, aber besonders eindringlich in diesem jüngsten Bändchen vermittelt und der sich manche »Antideutsche« ernsthaft stellen sollten: Humanismus ist nicht teilbar, er kann nicht in unterschiedliche Kategorien heruntergebrochen werden - oder er ist nicht mehr, verkommt seinerseits zu dem, was er zu bekämpfen vorgibt, zu Rassismus. Im Grunde erscheint diese Position banal: Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen formuliert in ihrem Ersten Artikel: »Alle Menschen sind frei und gleich geboren.« Der kompromißlose Einsatz für Menschlichkeit ist der Lebensinhalt und zugleich der Energiespender des unermüdlichen, bisweilen ans Ende der Kräfte der rüstigen 78jährigen gehenden Kampfes, wie sie es selbst über sich schreibt: »... unermüdlich jede Art von Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen und die Würde und die Rechte des Menschen, wer es auch sei, zu verteidigen. Das ist die Pflicht aller Antifaschisten, aller Menschen mit Gewissen...« Hier spricht eine Frau, die in einzigartiger Weise ihre Menschlichkeit mit ihrem Beruf als Juristin identifiziert.

Selbstreflexion

Gewissermaßen im Rückblick auf ihr Leben gibt sie ihrem Buch auch eine Hommage an jene Menschen, die, ähnlich wie sie, ohne Ansehen von Person, Staatsangehörigkeit oder ethnischer Zugehörigkeit für Menschenrechte streiten: Rolf Verleger, der die jüdische Gemeinde in Schleswig-Holstein wieder aufbauen geholfen hatte und wegen seiner Israel-Kritik aus dem Zentralrat der Juden ausgeschlossen wurde, Evelyn Hecht-Galinsky, die Tochter des verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, die ihre Kritik an der Politik Israels nicht zurückhält, aber auch der jungen Amerikanerin Rachel Corrie, die sich einem israelischen Bulldozer, der ein palästinensisches Haus zerstören sollte, in den Weg stellte und von diesem zermalmt wurde. Felicia Langer ist Sprecherin der kleinen, nach dem toten Mädchen benannten Stiftung, die vor allem palästinensische Waisenkinder unterstützt.

Über weite Strecken erscheint das Buch als Selbstreflexion auf ein geradliniges und unbeugsames Leben. Zugleich enthält es ein Vielzahl von z.T. wenig beachteten Informationen zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Seine Botschaft ist ein Anstoß zum Nachdenken - über Menschlichkeit.

Felicia Langer: Um Hoffnung kämpfen - Was die alternative Nobelpreisträgerin bewegt. Lamuv Verlag, Göttingen 2008, 144 Seiten, 9,90 Euro

* Aus: junge Welt, 19. Januar 2009


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