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Das Annapolis-Projekt

Nahöstliche Friedensregelung im Jahr 2008?

Von Heinz-Dieter Winter *

Die Nahostregion stände an einem Scheideweg meinte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Ende der Konferenz von Annapolis. Er würde zwei historische Phasen voneinander trennen, die Vor-Annapolis-Phase und die Nach-Annapolis-Phase. Doch kein anderes Nahosttreffen war von soviel Skepsis begleitet wie dieses. Und nach der Konferenz gibt es erhebliche Zweifel, ob das Ergebnis zu ihrem erklärten Ziel führt, die Jahrzehnte von Konflikt und Blutvergießen im Nahen Osten zu beenden und zu einem friedlichen Zusammenleben Israels und des zu bildenden palästinensischen Staates zu gelangen. Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery meinte, um in Annapolis Erfolg zu haben, hätte Präsident Bush enormen Druck auf Israel ausüben müssen, um es zu zwingen, die nötigen Schritte zu machen: der Errichtung eines echten palästinensischen Staates zuzustimmen, Ost-Jerusalem aufzugeben, die Grüne Linie als Grenze wieder herzustellen (einen geringfügigen Landtausch mit eingeschlossen), eine Einverständnis erzielende Formel zum Flüchtlingsproblem zu finden.

Die Konferenz endete mit einer von Präsident Bush verlesenen gemeinsamen israelisch-palästinensischen Erklärung. Darin erklären beide Seiten ihre Bereitschaft, Verhandlungen mit dem Ziel eine Friedensvertrages aufnehmen und alle Grundfragen, die in vorhergehenden Vereinbarungen genannt sind, zu regeln. Sie wollen sich bemühen, den Friedensvertrag bis Ende 2008 abzuschließen. Der Verhandlungsfortschritt soll von den USA überwacht und beurteilt werden. Das wirklich Neue ist, dass USA-Präsident Buh, der sich bisher eines direktes Engagement in Regelung des Nahostproblems weitgehend enthalten hat, nun offenbar gewillt ist, dass Gewicht der USA einzusetzen, um angesichts seiner gescheiterten Pläne im Nahen und Mittleren Osten bis zum Ende seiner Präsidentschaft einen außenpolitischen Erfolg aufzuweisen zu können. Neu im amerikanischen Veralten ist auch die Einladung an Syrien und die damit erklärte Bereitschaft, auch die Golanfrage zum Gegenstand einer umfassenden Friedenslösung zu machen. Bush folgt damit Empfehlungen des ansonsten von ihm abgelehnten Berichts der Baker-Hamilton-Kommission aus beiden im Kongress und Senat vertretenen Parteien. Diese hatte angesichts des enormen Ansehenverlustes USA und um einen Ausweg aus der katastrophalen Lage im Irak zu finden vor einem Jahr vorgeschlagen, die Nahostfrage wieder in den Mittelpunkt amerikanischer Politik zu rücken und den Dialog auch mit Syrien zu führen.

Die Ereignisse der nächsten zwölf Monate werden zeigen, was die „Nach-Annapolis-Phase“ wirklich bedeutet. Schon der Inhalt der Gemeinsamen Erklärung oder besser das darin nicht Enthaltene und die Reden insbesondere die des israelischen Ministerpräsidenten lassen Zweifel an einem wirklichen Friedensprozess aufkommen. In der Gemeinsamen Erklärung werden die für den Regelungsprozeß relevanten UNO-Sicherheitsratsresolutionen 242 und 338, die Israel zum Rückzug aus den 1967 eroberten Gebieten auffordern, und der Arabische Friedensplan der Gipfelkonferenz von Fes nicht erwähnt.

Die israelische Seite war nicht bereit, die Grundfragen, um die es geht, und die Mahmud Abbas in seiner Rede dargelegt hatte, wie die Grenzen des zukünftigen Staates, das Problem der jüdischen Siedlungen, Jerusalem und die Flüchtlingsfrage, in einem gemeinsamen Dokument ausdrücklich zu erwähnen. Die emotionell bewegende Reden von Abbas und Olmert bezeugten Verständnis für die Leiden des anderen Volkes, enthielten aber kein Indiz, dass von bisher unvereinbaren vertretenen Grundpositionen abgewichen wurde. Olmert sprach zwar davon, dass die 1967 geschaffene Realität der Region sich bedeutend verändern würde, ja, er erwähnte sogar die Sicherheitsratsresolutionen 242 und 338, aber er nannte als grundlegend für die Regelung auch den Briefwechsel zwischen US-Präsident Bush und dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon vom 14.April 2004. Dieser wird, wie Jeff Halper am 6.November in der Jerusalem Post schrieb, „von der israelischen Regierung als das vielleicht wichtigste Element bei den Bemühungen betrachtet, die großen Siedlungsblöcke zu behalten“. In seinem Brief hatte Präsident Bush erklärt, dass es entsprechend der neuen Realitäten vor Ort, einschließlich der bestehenden großen israelischen Bevölkerungszentren, unrealistisch sei, zu erwarten, dass das Resultat - der Endstatus - ein voller Rückzug auf die Waffenstillstandslinien von 1949 sein würde. Jeff Halper meinte, in einem scheinbar harmlosen Satz habe Präsident Bush unwiderruflich, aber bewusst, die UN-Resolution 242, die Grundlage der Zwei-Staatenlösung seit 1967 unterminiert. Mit der Berufung auf diesen Brief des USA-Präsidenten hat Olmert mehr als deutlich gemacht, dass sein Konzept für die Zukunft des palästinensischen Autonomiegebiets auch für die „Nach-Annapolis-Zeit“ gilt. Ein Rückzug auf die sog. Grüne Linie vor dem 1967er Krieg wird ausgeschlossen, die Palästinenser werden vielleicht 80 bis 90 % der Westbank erhalten, aber die großen Siedlungsblöcke, die die territoriale Integrität des Westjordanlandes zerstören, sollen zu Israel gehören. Selbst die Zugeständnisse, die Olmert bereit sein wird, den Palästinensern zu machen, könnten an „Großisrael“-Ambitionen von Koalitionspartnern, den Parteien Shas und Beitenu, die mit Regierungsaustritt drohen und an dem Widerstand der Siedlerbewegung, die angesichts der von Olmert verkündeten Absicht, den Siedlungsbau einzufrieren, vor einem „Tsunami“ warnten, scheitern. In der Gemeinsamen Erklärung wird der auszuhandelnde Friedensvertrag von der Erfüllung im April 2003 vom sog.Nahostquartett angenommenen road map abhängig gemacht. Obwohl dieses vom Nahostquartett auf Initiative der USA im April 2003 vorgelegte Regelungskonzept mit dem Ziel der Gründung eines palästinensischen Staates in zwei Jahren Verpflichtungen für beide Seiten beinhaltet, hat Israel seine Verpflichtungen, so den umgehenden Abbau der seit März 2001 errichteten Siedlungen, mit der Begründung nicht erfüllt, dass zunächst die palästinensische Seite alle Gewaltakte gegen Israel beenden müsse. Bekanntlich hatte aber die Hamas mehr als einmal erklärt, sie würde ihre Gewaltakte, darunter die unmenschlichen Selbstmordattentate, dann einstellen, wenn Israel sich von den besetzten Gebieten zurückzieht. Hamas hatte mehrere Male Waffenstillstände solange eingehalten, bis seitens der israelischen Armee sog.gezielte Tötungen oder andere Angriffe auf Palästinenser erfolgten. In Zukunft können Extremisten beider Seiten das Scheitern des Friedensprozesses jederzeit provozieren. In den Tagen nach Annapolis hatte Ministerpräsident Olmert erklärt, daß die Implementierung der Annapolis-Vereinbarung abhängig wäre von der Erfüllung der road map. Vor einem möglichen Friedensvertrag müsse die palästinensische Autonomiebehörde die Kontrolle über den Gazastreifen, in dem die Hamas im Juni die Macht übernommen hatte, zurückgewonnen haben. In der Kabinettssitzung am 2.Dezember sagte er, dass Israel an keinen Zeitplan gebunden sei. Ein Friedensvertrag, der zu einem lebensfähigen und demokratischen palästinensischer Staat, den die Annapolis-Konferenz als Ziel gestellt hatte, führt, wird so nicht zu vereinbaren sein. Israel hat im Einvernehmen mit dem USA und leider auch unterstützt von der EU die von mehr als 50% der Palästinenser demokratisch gewählte Hamas-Regierung boykottiert. Die durch saudiarabische Vermittlung zustandegekommene Regierung der nationalen Einheit aus Hamas und Fatah wurde zu Fall gebracht. Jeder Versuch von Abbas, zu einer Versöhnung mit der Hamas zu kommen, stieß auf amerikanischen und israelischen Widerstand. Ja, es ist ungeheuerlich aber wahr, der Konfrontationskurs gegen die Hamas war die Vorbedingung, um mit Abbas überhaupt das Annapolis-Projekt zu beginnen. Die renommierte International Crisis Group ehemals führender Politiker schätzte ein, dass die Isolierung der Hamas als hauptsächliches Motiv von Annapolis erscheint.

Aber ein Frieden gegen die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung und gegen Hamas ist nicht möglich. Zunächst müsste eine Verständigung zwischen Hamas und Fatah erreicht werden, um überhaupt einen legitimierten Partner für einen Friedensprozess zu haben, der diesen Namen verdient.

Präsident Bush geht es im Einvernehmen mit Israel nicht um eine auf den UNO-Resolutionen beruhende möglichst gerechte Lösung des Palästinaproblems. Er braucht das Annapolis-Projekt für seinen „Krieg gegen den Terror“, um – wie er es in seiner Rede sagte – den „Kampf gegen den Extremismus“ zu führen und möglichst viele arabische Staaten in die Konfrontation gegen Iran, die libanesische Hizbollah und Hamas einbinden. Es geht um das große „neue strategische Alignment“ im Nahen und Mittleren Osten, von dem Condoleezza Rice im Januar 2007 vor dem Senatsauschuß für auswärtige Beziehungen sprach. Die israelisch-palästinensischen Gespräche haben am 12. Dezember begonnen, belastet durch den angekündigten Bau von über 300 neuen israelischen Häusern in dem an Ostjerusalem angrenzenden Har Homa. Es sieht nicht so aus, dass sich in im Jahr 2008 die Dinge im Nahen Osten zum Guten wenden.

* Dieser Beitrag erschien am 21. Dezember 2001 in "Leipzigs Neue"


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