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Welle der Erwartungen

Die neuen Nahostverhandlungen treffen auf eine Mischung von Skepsis und Optimismus

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Israels Regierung hat die Freilassung von 26 palästinensischen Langzeit-Gefangenen abgesegnet. Die Entscheidung ist im Land zutiefst umstritten, zumal die Zukunft der Friedensverhandlungen derzeit ungewiss ist, nachdem das Wohnungsbauministerium den Bau von 1200 Siedlungswohnungen bekannt gab.

Gefangenenaustausche sind in Israel immer ein sensibles Thema. Wann immer sie auf der Tagesordnung stehen, brechen Debatten, oft auch heftig, über den Sinn, über Gerechtigkeit los. Doch selten zuvor war die Stimmung aufgeheizter als in diesen Tagen. Am Sonntag hat Israels Kabinett einer Liste zugestimmt, auf der die Namen von 26 Palästinensern stehen, die im Gegenzug für die Rückkehr der palästinensischen Regierung an den Verhandlungstisch freigelassen werden sollen. Und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, der noch viel stärker ist als das, was die Mitarbeiter von Premier Benjamin Netanjahu erwartet hatten: Nahezu einhellig ist die Ablehnung.

Und das hat nicht vor allem damit zu tun, dass auf der Liste ausschließlich Namen von Leuten stehen, die Anfang der 90er Jahre Gewaltverbrechen an israelischen Zivilisten verübt haben – im Raum steht vor allem die Frage nach dem Sinn und Zweck des Ganzen.

Denn die Verhandlungen, die mit dem Beschluss am Laufen gehalten werden sollen, stehen knapp zwei Wochen nachdem sie in Washington begonnen haben, bereits wieder vor dem Zusammenbruch. Der Baustopp in den Siedlungen, zu dem sich Israel als Bedingung für die Wiederaufnahme der Gespräche bereit gefunden hatte, scheint schon wieder hinfällig, nachdem Israels Wohnungsbauministerium den Bau von 1178 Wohnungen in Ost-Jerusalem und in Ariel bekannt gegeben hat, einer Siedlung, die wie eine Halbinsel in das nördliche Westjordanland hineinreicht.

Dem Vernehmen nach war sowohl Palästinensern als auch US-Außenminister John Kerry vorab bekannt, dass die Ankündigung kommen wird. Es sei bereits vor Aufnahme der Verhandlungen vereinbart gewesen, dass Israel zusätzliche Wohnungen in Siedlungen baut, von denen allgemein angenommen wird, dass sie nach einem Abkommen zum Teil des israelischen Staatsgebietes werden – Ariel gehört dazu. Dass Wohnungsbauminister Uri Ariel von der Siedlerpartei HaBajit HaJehudi allerdings am Sonntag öffentlichkeitswirksam den Grundstein für eine neue Klein-Siedlung in Jerusalems Osten gelegt hat, wird von den Palästinensern als Affront gesehen. Man habe »langsam genug«, wie ein Mitarbeiter von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagt. »Wenn Israel so weitermacht, dann haben diese Verhandlungen keine Zukunft«, meint Saeb Erekat, einer der palästinensischen Unterhändler. »Es kann nicht sein, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, während wir verhandeln.« In Israel wird derweil immer wieder die Ansicht geäußert, dass die Gespräche, die Freilassung der Gefangenen für Netanjahu nichts als »reiner Selbstzweck« (so das Armeeradio) seien. »Solange er am Verhandlungstisch sitzt, sieht es so aus, als tue er etwas. Aber es wirkt nicht so, als plane er auch mit Ergebnissen.«

Viele der Angehörigen der Opfer äußern Verständnis für eine Freilassung der Täter, wenn dafür ein echter Friedensschluss in greifbare Nähe geriete. Und vor dem Hintergrund des Baubeschlusses werden stets Zweifel daran laut, dass ein solches Abkommen in Aussicht steht. Doch sowohl Mitarbeiter von Netanjahu als auch von Abbas sagen, dass es bei der Freilassung auch darum gehe, den stark angeschlagenen palästinensischen Präsidenten zu unterstützen, ihm einen vorzeigbaren Erfolg an die Hand zu geben. Der allerdings aktuell keine sichtbaren Effekte zeitigt. Abbas ist so unpopulär wie eh und je.

Deutschlands Außenminister mahnte derweil bei einem zweitägigen Besuch in Jerusalem, der von der »Bild«-Zeitung zur »Friedensmission« erklärt wurde, beide Seiten müssten einseitige Schritte unterlassen – eine Aussage, auf die Minister Ariel lapidar antwortete, in keinem Land der Erde dürfe ein anderer Staat einem vorschreiben, wo man bauen darf.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. August 2013


Westerwelle sieht Wille zum Erfolg bei Nahosttreffen

Bundesaußenminister in Ramallah und Jerusalem **

Vor der zweiten Runde der Nahost-Friedensgespräche hat sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) zuversichtlich zu den Erfolgschancen geäußert. »Der Wille ist spürbar auf beiden Seiten, dass diese Verhandlungen eine echte Chance bekommen«, sagte er am Montag nach Gesprächen mit Regierungsvertretern Israels und der Palästinenser in Jerusalem und Ramallah. Allerdings rechne er mit sehr schwierigen Verhandlungen.

Zu den neuen israelischen Plänen zum Bau von rund 1200 Wohnungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem äußerte sich Westerwelle zwar kritisch, sagte aber auch: »Man muss zur Kenntnis nehmen, dass ein Moratorium nicht Teil der Vorbedingungen für die Gespräche gewesen ist.« Allerdings sollten beide Seiten alles unterlassen, was sich als Hindernis für die Verhandlungen erweisen könnte. Die von Israel angekündigte Freilassung von palästinensischen Gefangenen begrüßte Westerwelle dagegen. »Das ist die Erfüllung dessen, was vereinbart wurde.«

Der Außenminister traf am Montag in Ramallah mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Ministerpräsident Rami Hamdallah zusammen. In Jerusalem sprach er mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Bereits am Sonntag hatte Westerwelle Präsident Schimon Peres und Justizministerin Zipi Livni getroffen.

Die Friedensgespräche waren vor zwei Wochen nach drei Jahren Stillstand wieder in Gang gesetzt worden. Am Mittwoch sollen sie in Jerusalem fortgesetzt werden. »Ich glaube, dass die Friedensgespräche jetzt an einer entscheidenden Klippe sind«, sagte Westerwelle. Es gebe auf beiden Seiten Kräfte, die wenig Interesse an einem Erfolg der Gespräche hätten. »Aber genau diese Kräfte dürfen wir nicht stärken. Wir müssen diejenigen stärken, die auf Ausgleich setzen, die Brücken bauen wollen«, betonte er.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. August 2013


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