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Fakten schaffen

Israel kündigt vor Friedensgesprächen neuen Siedlungsbau an. Westerwelle zu Zweitagesbesuch eingetroffen

Von Karin Leukefeld *

Pünktlich zum Beginn einer neuen Runde von »Friedensgesprächen« zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde von Mahmud Abbas hat die israelische Regierung den Bau von 1 187 weiteren Wohneinheiten in Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten beschlossen. »Kein Land der Erde läßt sich von anderen Staaten vorschreiben, wo es bauen darf und wo nicht«, untermauerte Bauminister Uri Ariel von der rechtsgerichteten Partei HaBayit HaYehudi (Das jüdische Haus) am Sonntag bei der Bekanntgabe des Vorhabens die Baupläne.

800 Wohneinheiten sollen nach einem Bericht der Tageszeitung Jerusalem Post in Ostjerusalem gebaut werden, die restlichen Wohnungen sollen in den Siedlungen Ariel und Beitar Illit im Westjordanland entstehen. Ostjerusalem wird von den Palästinensern als Hauptstadt eines zukünftigen Staates Palästina beansprucht. Die provozierende Baumaßnahme könnte die Gespräche deshalb zum Scheitern bringen, noch bevor sie begonnen haben. Der palästinensische Unterhändler Saeb Erekat kritisierte die Baupläne in einem Schreiben an den US-Außenminister John Kerry als »Mangel an gutem Willen«.

Drei Jahre lang lagen die Gespräche zwischen den israelischen und palästinensischen Regierungen auf Eis, weil die israelische Regierung den Bau von Siedlungen nicht einstellte und sich damit immer mehr Land aneignete, das aus Sicht der Palästinenser zu einem zukünftigen Palästina gehört. Bei den zwischen dem US-Außenminister John Kerry, dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu vereinbarten neuen Gesprächen sollen die Palästinenser ihren Anspruch auf die ursprünglichen Palästinensergebiete in den Grenzen von 1967 aufgeben. Israel seinerseits will sich im Gegenzug möglicherweise zu einem Landtausch bereiterklären. Die neuen Bauankündigungen machen vor diesem Hintergrund ein strategisches Ziel der israelischen Regierung deutlich: sie will auf Jerusalem als »jüdische Hauptstadt« nicht verzichten.

Deutschland unterstütze die Wiederaufnahme der Gespräche nachdrücklich, ließ Bundesaußenminister Guido Westerwelle, am Sonntag zu einem zweitägigen Besuch in Israel und in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten eingetroffen, per Erklärung des Auswärtigen Amtes wissen. Die Bundesrepublik und Europa würden »flankierend alles tun, damit die erneuten Friedensgespräche Erfolg haben«. Am Sonntag traf Westerwelle dazu mit Staatspräsident Schimon Peres zusammen, der dem Siedlungsbau während seiner Jahrzehnte langen politischen Karriere immer freie Bahn geschaffen hatte. Auch mit Justizministerin Zipi Livni tauschte Westerwelle sich aus. Am Montag sind Gespräche mit dem israelischen Regierungschef Netanjahu und mit dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, vorgesehen.

Israel hatte sich vor den »Friedensverhandlungen« bereit erklärt, 104 palästinensische Gefangene freizulassen. 26 Gefangene kamen tatsächlich am Wochenende frei. Der israelische Minister für Industrie und Handel, Führer der Jüdischen Heimatpartei und der Siedlerbewegung, Naftali Bennet, hatte zuvor bei einer Kabinettssitzung für eine andere »Lösung« der Gefangenenfrage plädiert. Es wäre billiger und effizienter, sie zu erschießen, als sie vor Gericht zu stellen, erklärte Bennet einem Bericht in der Zeitung Yedioth Ahronoth zufolge. »Wenn Du Terroristen fängst, mußt Du sie einfach töten«, soll Bennet demnach gesagt haben. Auf den Einwand des Nationalen Sicherheitsberaters Yaakov Amidror, das so etwas illegal sei, soll Bennet geantwortet haben: »Ich habe viele Araber in meinem Leben getötet, das ist kein Problem.«

* Aus: junge welt, Montag, 12. August 2013


Dokumentiert: Erklärung des Präsidialamts Israels:

Präsident Shimon Peres traf sich mit Außenminister Guido Westerwelle

Staatspräsident Shimon Peres und der deutsche Außenminister Guido Westerwelle kamen am gestrigen Sonntagabend zu einem diplomatischen Arbeitstreffen zusammen. Während des Treffens diskutierten sie die Situation im Mittleren Osten, die atomare Bedrohung durch den Iran und die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern.

Präsident Peres dankte dem Außenminister für die Unterstützung des Friedensprozesses und für den Kampf gegen jene Kräfte, die diesen Prozess gefährden, wie die Hisbollah und der Iran. Er sagte: „In einigen Tagen werden wir die Verhandlungen mit den Palästinensern eröffnen. Ich weiß, dass es Skeptiker gibt. Die Menschen fragen, was der Unterschied zwischen diesem Versuch und vorangegangenen Versuchen ist – der Unterschied liegt im Zeitpunkt. Die arabische Welt bietet den Frieden an und Israel ist vereint im Wunsch nach einer Zwei-Staaten-Lösung.“

Präsident Peres ging auch auf den jüngsten Beschluss der Europäischen Union zu Vertragsabschlüssen zwischen Israel und der EU ein. Er sagte: „Ich bedauere die beschlossenen Änderungen. Ich glaube nicht, dass es geplant, diese Beschluss ausgerechnet an dem Tag zu treffen, an dem die Wiederaufnahme der Verhandlungen verkündet wurde. Ich empfehle dringend, die Dinge abzuwarten und seitens der EU die Entscheidung zu vertagen. Die Veränderungen beziehen sich auf den Unterschied zwischen Israel und dem Westjordanland, aber wenn die Verhandlungen erfolgreich verlaufen, wird dieses Problem nicht länger von Bedeutung sein.“

Der deutsche Außenminister begrüßte zunächst die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen und sagte: „Dies ist eine entscheidende Phase für Ihr Land, für die Region und, so meine ich, für die ganze Welt. Die gesamte internationale Gemeinschaft und ganz besonders Europa wissen um die Verantwortung, diese direkten Verhandlungen zu unterstützen. Meine klare Botschaft lautet: wir wollen alle beteiligten Seiten zu diesen Gesprächen ermutigen und natürlich wollen auch wir unseren Teil tun. Deutschland spürt eine große Verantwortung für die Region und vor allem Anderen für die besondere Freundschaft zu Israel. Was immer wir tun können, um diese direkten Verhandlungen konstruktiv zu begleiten, werden wir tun.“

Außenminister Westerwelle betonte, dass es keine Veränderung der europäischen Position zu Israel gebe und sagte: „Es gab keinen Politikwechsel innerhalb der Europäischen Union und es wird auch keinen geben. Wir streben eine dauerhafte Partnerschaft zwischen Europa und Israel an, insbesondere auf dem Feld der Forschung. Wir wollen diese wichtigen Projekte fortführen, das liegt in unserem gemeinsamen Interesse und beide Seiten profitieren davon.“

(Präsidialamt, 11.08.13)

Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 12.08.2013




"Abbas marschiert auf ein Desaster zu"

Volksfront für die Befreiung Palästinas will Autonomiebehörde zum Abbruch der Verhandlungen mit Tel Aviv bewegen. Gespräch mit Jamil Mizher **

Jamil Mizher ist Mitglied des Zentralkomitees der marxistischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP).


Auf Vermittlung von US-Außenminister John Kerry gibt es nach jahrelangem Stillstand neue Friedensgespräche zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel. Ein Fortschritt?

Im Gegenteil. Die Wiederaufnahme direkter Verhandlungen fügt der palästinensischen Sache schweren Schaden zu. Die PFLP lehnt den Neustart absurder Verhandlungen, die nicht mal ein Minimum der Forderungen unseres Volkes erreichen, komplett ab. Damit haben wir bereits ausreichend Erfahrungen. 20 Jahre absurder Gespräche haben zu gar nichts geführt und nur dem Besatzungsregime geholfen, seine Expansionspläne umzusetzen.

Also nur Theater – oder auch gefährlich?

Es ist ein großer Fehler und eine Bedrohung unseres nationalen Projekts. Damit wird zu weiterem Besatzungsterror, Landraub und anderen Verbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung ermutigt. Die Autonomiebehörde mit Mahmud Abbas an der Spitze marschiert so zielsicher auf ein Desaster zu, auf ein »Oslo II«. Damit hilft man Israel und der Obama-Administration, die Region nach ihren Vorstellungen zu formen.

Was werfen Sie der Fatah- und PLO-Spitze konkret vor?

Die palästinensische Führung ist an einem gefährlichen Punkt angelangt, weil sie mit Israels Ministerpräsidenten Netanjahu über die Annektierung von Siedlungsblöcken und zionistischen Außenposten in der Westbank und Jerusalem diskutiert. Das reduziert jede Art von zukünftigem Staat in den heute besetzten Gebieten auf eine Ansammlung von Kantonen und Enklaven. Dasselbe gilt für Debatten über einen Gebietstausch, Zugeständnisse beim Rückkehrrecht der Flüchtlinge und der Rolle Jerusalems als Hauptstadt Palästinas.

Abbas hofft offenbar auf Washingtoner Hilfe ...

Wer auf die US-Administration setzt, wird verlieren. Kerry hat den zionistischen Besatzern nicht das geringste Zugeständnis abgerungen, sondern nur Druck auf die palästinensische Führung ausgeübt, damit sie die Rechte unseres Volkes zur Disposition stellt und sich mit fragwürdigen territorialen Tauschgeschäften, der Rückkehr nur einer Handvoll Vertriebener und der massenhaften Ausbürgerung des Rests abfindet. Sie hat vergessen, daß wir Palästinenser für unsere vollen Rechte, für Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Rückkehrrecht kämpfen.

Allerdings hat Tel Aviv zugesagt, als Zeichen des guten Willens in den nächsten Monaten 106 palästinensische Gefangene freizulassen.

Diese heldenhaften Gefangenen kämpfen für Selbstbestimmung, Befreiung und Rückkehr und werden nicht akzeptieren, daß für ihre Entlassung unsere Grundrechte preisgegeben werden.

Was schlagen Sie statt dessen vor?

Der Präsident der Autonomiebehörde sollte sich vor allem bemühen, die nationale Einheit wiederherzustellen und eine Strategie entwickeln, die an fundamentalen palästinensischen Prinzipien festhält. Er sollte den Internationalen Gerichtshof auffordern, die Besatzer als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Unsere Sache muß wieder vor die Vereinten Nationen. Außerdem verlangen wir das sofortige Ende der sogenannten Sicherheitszusammenarbeit mit der Besatzungsmacht. Wir brauchen eine alternative nationale und demokratische Strategie, die den Ansatz und die konkreten Verpflichtungen der Osloer Abkommen verwirft und sich auf den Widerstand in all seinen Formen stützt. Wir rufen zu Massenaktionen in Jerusalem, Gaza, der Westbank und überall in der Diaspora auf, um die palästinensischen Unterhändler zu zwingen, diesen Schritt rückgängig zu machen und die Verhandlungen zu beenden. Das Entscheidungsmonopol einiger weniger Leute muß durch Massenproteste gebrochen werden. Daran sollten sich alle politischen Kräfte, Gewerkschaften und Basisgruppen beteiligen.

Eine erste überregionale Demonstration der PFLP führte am 28. Juli in Ramallah zu einem blutigen Polizeieinsatz der Autonomiebehörde. Was ist passiert?

Dutzende friedliche Demonstranten wurden verletzt, weil die Sicherheitskräfte verhindern wollten, daß wir zu Abbas’ Amtssitz der Muqata ziehen. Das ist eine Schande und spiegelt die politische Situation wider. Die Autonomiebehörde verneigt sich vor israelischen Siedlern und Soldaten, setzt aber Waffen gegen protestierende junge palästinensische Männer und Frauen ein und verprügelt sie. Doch davon lassen wir uns nicht aufhalten.

Interview: Raoul Rigault

** Aus: junge welt, Montag, 12. August 2013


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