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Mehr Stolper- als Meilensteine

Noch viele Hindernisse auf dem Weg einer israelisch-palästinensischen Annäherung

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Vertreter Israels und der Palästinenser haben in Washington erstmals über die Gestaltung von Friedensverhandlungen gesprochen. Die Unterredung sei harmonisch verlaufen, heißt es. Das ist keine Überraschung: Die Unterhändler kennen sich gut. Die Probleme liegen woanders.

Kann es sein, dass die palästinensische Fahne an der Seite steht und die israelische in der Mitte? Und, Moment mal, Israels Fahne erscheint auf dem Foto auch ein bisschen höher als die anderen.

Es sind Kleinigkeiten, auf die die Kritiker und Skeptiker achten, wenn nur das Gerücht von Friedensverhandlungen im Nahen Osten auftaucht, die den Vermittlern in der Öffentlichkeit den Vorwurf der Voreingenommenheit einbringen und in der Folge dazu führen können, dass die jeweiligen Delegationen abrupt vom fünften in den ersten Gang schalten.

Doch als am Dienstag in den palästinensischen Medien die Geschichte mit den Fahnen auftauchte, gaben sich die Verhandlungsführer von Israelis und Palästinensern humorvoll entspannt. »Ich habe die Fahne da nicht hingestellt und auch niemanden aufgefordert, sie da hinzustellen«, sagte Israels Justizministerin Zipi Livni. Und der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat witzelte, er vermute, Livni habe wahrscheinlich vorher ein Stück der palästinensischen Fahne abgesägt. Grund für die lockeren Reaktionen ist allerdings nicht allein die Tatsache, dass tatsächlich mehrere Fahnen abwechselnd in einer Reihe aufgestellt worden waren, und dabei nicht einberechnet wurde, dass auf den Pressebildern nur Ausschnitte davon zu sehen sein werden. Man kennt sich, man ist per du. Man kennt sogar die Positionen des anderen: Livni und Erekat haben sie Dutzende Male durchgesprochen, auf dem Flur in Konferenzpausen; abends an der Bar.

Der Grund, warum diese Gespräche, wie auch die offiziellen Verhandlungen, an denen die beiden bisher beteiligt waren, so extrem kompliziert sind, liegen tatsächlich im großen Formenkreis der einheimischen Politik. Während die israelische Öffentlichkeit zu einem überwiegenden Teil durchaus für einen Deal zu haben wäre und die palästinensische sowieso, ist das bei den Politikern anders.

»Wir haben Probleme in der Regierung«, gibt Livni offen zu. Und Erekat spricht ebenso deutlich über das geringe Ansehen, dass die palästinensische Führung in der Bevölkerung genießt: Man will endlich Wahlen und wird jedes Mal etwas misstrauischer, wenn der Ruf an die Urnen, den Präsident Mahmud Abbas alle paar Monate verspricht, dann doch nicht kommt. Jenes Mal war es der Herbst gewesen und dieses Mal sind es die Verhandlungen, die als Begründungen dafür herhalten müssen, dass es doch nicht zum Votum kommt.

In Israel derweil ist es eine parlamentarische Gemengelage, die eine Regierungsbildung ohne Beteiligung der Rechten unmöglich macht. Wobei Regierungschef Benjamin Netanjahu, der einem Abkommen nach eigenem Bekunden nicht abgeneigt ist, bislang davon ausgegangen war, dass er die Siedlerpartei HaBajit HaJehudi bequem durch die Arbeitspartei ersetzen könnte. Bislang war der einzige Stolperstein der Staatshaushalt. Hier hatte Netanjahu Minuten vor der Abstimmung Anfang der Woche Zugeständnisse gemacht, die dieses Hindernis aus dem Weg geräumt haben.

Nur: Nach dem Kabinettsbeschluss, schrittweise 104 palästinensische Gefangene freizulassen, ist sehr deutlich geworden, dass er ein viel größeres Problem mit seiner eigenen Partei hat.

Das Likud/Beitenu-Wahlbündnis steht kurz vor der Spaltung. Und noch viel mehr als das: Der Likud-Block in sich steht einmal mehr vor der Spaltung. Es gebe absolut keine Chance, dass der Likud einen Deal mit den Palästinensern, der Landtausch und Siedlungsräumungen beinhaltet, mittragen werde, erklärte Moshe Feiglin, der größte Widersacher Netanjahus im Likud. Und eine interne Umfrage unter den Abgeordneten hat ergeben, dass gerade einmal acht in der Verhandlungsfrage auf Seiten des Premierministers stehen.

Wie Netanjahu und Abbas die Verhandlungen vor dem Hintergrund dieser politischen Realitäten vorantreiben wollen, ist eine Frage, auf die ihre Sprecher derzeit die Antwort verweigern.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton begrüßte derweil die geplanten Friedensverhandlungen als »entscheidenden ersten Schritt zu einem dauerhaften Frieden«. Sie sei der Überzeugung, dass ein endgültiges Ende des Konflikts in Reichweite ist.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 1. August 2013


Vermittler

Das Beste, was man von der ersten Runde der wiederaufgenommenen direkten Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern sagen kann: Die Atmosphäre in Washington war freundlich, alle Kernprobleme sollen auf den Tisch, und in zwei Wochen geht es weiter. Welchen Anteil der frisch bestellte US-amerikanische Vermittler dabei hatte, drang nicht nach draußen. Dass die auf mindestens neun Monate angelegten Verhandlungen schwierig werden, weiß Martin Indyk nur zu gut, wie eine jetzt in israelischen Medien wiederveröffentlichte ältere Einschätzung zeigt: »Ich bin nicht gerade optimistisch, weil ich denke, dass es im Kern darum geht, dass die größten Zugeständnisse, zu denen Israel bereit wäre, weit hinter den Mindestanforderungen zurückbleiben werden, die Abu Mazen (Palästinenserpräsident Mahmud Abbas) stellen wird.« Der 62-Jährige gehörte schon vor 13 Jahren zur Delegation des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton beim gescheiterten Camp-David-Gipfel.

1952 in London geboren und in Australien aufgewachsen, wo er im Fach Internationale Beziehungen promovierte, emigrierte Indyk 1983 in die USA und wurde zehn Jahre später eingebürgert. 1973 hatte er den Jom-Kippur-Krieg als Freiwilliger in einem Kibbuz erlebt und gebannt verfolgt, wie Henry Kissinger »es schaffte, einen Waffenstillstand auszuhandeln, der den Weg zum Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten bereitete«. In die USA kam er als Forschungsdirektor der wichtigsten proisraelischen Lobbygruppe AIPAC; 1985 gründete er dann das »Washington Institut für Nahostpolitik«, das einen ausgewogenen Ansatz für die Politik der USA verfolgt. Präsident Clinton holte ihn in den Nationalen Sicherheitsrat, zwei Mal (1995-1997 und 2000-2001) wurde Indyk zum USA-Botschafter in Israel berufen, zuletzt war er Auslandschef der renommierten Denkfabrik »Brookings Institution« und Gastprofessor an der John Hopkins Universität. »Vielleicht sind wir ja doch noch in der Lage, all jenen jungen Israelis und Palästinensern, die sich nach einem besseren Morgen sehnen, zu sagen, wir haben es tatsächlich geschafft«, sagte Indyk dieser Tage. Olaf Standke

(neues deutschland, Freitag, 2. August 2013)




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