Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ab jetzt neun Monate Verhandlungen

Israelische und palästinensische Delegationen sollen hinter verschlossenen Türen eine Lösung finden

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Israels Kabinett hat der Freilassung von 104 palästinensischen Gefangenen zugestimmt. Damit ist der Weg frei für eine neue Verhandlungsrunde. Sie sollte in der Nacht zum Dienstag in Washington beginnen, und insgesamt neun Monate dauern. Mit baldigen Ergebnissen ist nicht zu rechnen.

Mehr als fünf Stunden debattierten, stritten Israels Minister am Sonntag, während draußen lautstark Dutzende Personen gegen den Plan demonstrierten, 104 palästinensische Gefangene im Gegenzug für die Rückkehr an den nahöstlichen Verhandlungstisch freizulassen. Denn die, die von der kommenden Woche an schrittweise aus der Haft entlassen werden sollen, sind nicht irgendwer.

Auf der Liste stehen nahezu ausschließlich Palästinenser, einige davon mit israelischer Staatsbürgerschaft, die in den späten 80er und frühen 90er Jahren politisch motivierte Gewaltverbrechen verübt haben; 55 Zivilisten und 15 Soldaten waren dabei ums Leben gekommen. Aus juristischer Sicht ist die Freilassung mehr ein symbolischer Schritt: Auch wenn die Urteile oft Strafen wie x-mal lebenslänglich und y-mal hundert Jahre Haft beziffern, sind nach mindestens 25 Jahren regelmäßige Haftprüfungen vorgeschrieben, bei denen der Ermessensspielraum von Jahr zu Jahr geringer wird. Insgesamt konnte also ein Großteil der Häftlinge auf eine Freilassung in wenigen Jahren hoffen, zumal sich viele von ihnen bereits vor etlichen Jahren von der Gewalt losgesagt hatten.

Für Regierungschef Benjamin Netanjahu ist dieser Teil der Vereinbarung, die auf Druck von US-Außenminister John Kerry zustande kam, ein Zugeständnis mit Gütesiegel; eines, das dennoch die Gemüter innerhalb und außerhalb der Politik noch mehr erhitzt als der Gefangenenaustausch, durch den der jahrelang im Gaza-Streifen festgehaltene Soldat Gilad Schalit freikam. Denn für viele steht die Drastik der Taten in einem starken Kontrast zu den zu erwartenden Erfolgsaussichten der Verhandlungen mit der palästinensischen Führung in Ramallah, die Israel im Gegenzug bekommt. Sie sollten am Montagabend (MESZ) in Washington D. C. beginnen. Verhandlungsführer sind Israels Justizministerin Zippi Livni und der palästinensische Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Mohammad Schtajeh; das Tagesgeschäft werden Saeb Erekat (Palästina) und Jitzhak Molcho (Israel) als Unterhändler erledigen. Mit baldigen Ergebnissen ist nicht zu rechnen. Die Gespräche sollen zunächst neun Monate dauern und sich vor allem hinter verschlossenen Türen abspielen. Damit, so hoffen Kerry und sein Team, soll verhindert werden, dass beide Seiten versuchen, der jeweils anderen über Öffentlichkeit Druck zu machen. In der Vergangenheit hatte ein »Medienkrieg« immer zum Scheitern von Verhandlungen geführt.

Doch schon bevor das erste Wort gesprochen worden ist, sickert ein Strom an Details durch. So ist mittlerweile bekannt, dass im Laufe der ersten Wochen zunächst einmal nur über den genauen Ablauf der Verhandlungen diskutiert werden soll. Was, auch das ist mittlerweile klar, schwierig genug sein dürfte. Die Palästinenser gaben zu Protokoll, dass sie erst einmal über die Grenzen Palästinas sprechen wollen; die Israelis ließen daraufhin ausrichten, sie würden viel lieber über alles auf einmal sprechen.

Und dann: Falls Ergebnisse erzielt werden, ist unklar, ob sie auch umgesetzt werden können. In Palästina wird der Druck auf Präsident Mahmud Abbas immer stärker, endlich die versprochenen Wahlen durchzuführen.

In Israel beschloss das Kabinett außerdem, ein Referendum abhalten zu lassen, falls es zu einer Vereinbarung kommen sollte, die die Räumung von Land vorsieht, das sich in Israel selbst befindet, wozu hier auch Ost-Jerusalem zählt, nicht aber das Westjordanland. Israels Rechte hofft, so einen Deal blockieren zu können. Allerdings: Einer Umfrage der Universität Tel Aviv zufolge sind nur 21 Prozent gegen einen Abzug aus dem Westjordanland. 18 Prozent sind gegen einen Landtausch, aber für einen Abzug. Immerhin 52 Prozent sagten, dass sie für einen Landtausch im Gegenzug für Frieden sind.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 30. Juli 2013


Auftakt in Washington

Israel und Palästinenser nehmen Gespräche wieder auf

Von Knut Mellenthin **


Israel und die Palästinenserregierung im besetzten Westjordanland wollen nach einer Unterbrechung von fast drei Jahren wieder verhandeln. Die erste Gesprächsphase sollte am Montag abend (Ortszeit) in Washington beginnen. Später soll im Nahen Osten weiterverhandelt werden. Israel wird in Washington durch seine ehemalige Außenministerin – jetzt Justizministerin – Tsipi Liwni und Netanjahus Berater Jitzchak Molcho vertreten. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schickte seinen langjährigen Chefunterhändler Saeb Erekat und den Wirtschaftsfachmann Mohammad Schtajjeh.

Zunächst geht es bei den Gesprächen nur um die Festlegung der Themen und einen Arbeitsplan mit Zeitrahmen für die nächsten Monate. Bisherige Äußerungen lassen darauf schließen, daß die palästinensische Seite frühzeitig über die Grenzen eines künftigen eigenen Staates diskutieren will. Dagegen will Israels Premier Benjamin Netanjahu zuerst über »Sicherheitsfragen« sprechen, ohne daß bisher klar gesagt wurde, was er damit meint. Vermutlich will die israelische Regierung schon in einem frühen Stadium der Gespräche die Anerkennung Israels als »jüdischen Staat« durch die Palästinenser fordern.

Die Wiederaufnahme der Verhandlungen ausgerechnet mit der rechtesten, unnachgiebigsten Regierung, die es jemals in Israel gab, ist unter den Palästinensern sehr umstritten, nachdem die israelische Seite über 20 Jahre lang nur auf Zeitgewinn gespielt hat, um in den besetzten Gebieten immer mehr irreparable Fakten zu schaffen. Als propagandistische Argumentationshilfe für Abbas hat die israelische Regierung deshalb die »schrittweise« Freilassung von insgesamt 104 gefangenen Palästinensern in Aussicht gestellt. Ein Ausschuß, an dessen Spitze Netanjahu steht, wird über den zeitlichen Ablauf der Operation entscheiden. Dieser soll sich daran orientieren, ob die Palästinenser »ernsthaften Verhandlungswillen« zeigen. »Jede Provokation von palästinensischer Seite wird die Freilassung beenden«, drohte Netanjahu.

Bei der Beratung im Kabinett stimmten am Sonntag 13 Minister für den Freilassungsplan und sieben dagegen; es gab außerdem zwei Enthaltungen. Netanjahu war den Kritikern zuvor entgegengekommen, indem er die Entscheidung über den Umgang mit arabischen Israelis unter den Häftlingen auf einen späteren Zeitpunkt vertagte. Einige Minister, vor allem von der rechtsextremen Bajit Jehudi, aber auch aus Netanjahus eigener Partei Likud Beteinu, schlossen sich den Protesten von mehreren hundert Menschen vor dem Amtssitz des Premiers in Jerusalem an. Die für die Freilassung vorgesehenen Gefangenen sind durchweg wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft Verurteilte, wobei es sich um Taten handelt, die schon vor der Aufnahme israelisch-palästinensischer Verhandlungen vor 20 Jahren begangen wurden.

Ebenfalls am Sonntag beschloß die israelische Regierung die Einbringung eines Gesetzes mit Verfassungscharakter, das zwingend eine Volksabstimmung vorschreibt, falls die »Aufgabe souveränen Territoriums« geplant ist. Das betrifft sowohl Überlegungen, kleine Gebiete Israels gegen Teile des Westjordanlands »einzutauschen«, als auch den Status von Ostjerusalem, das von Israel schon 1980 förmlich annektiert wurde. Dagegen bezieht sich das Referendumsgesetz nicht auf das Westjordanland, das in Israel meist »Judäa und Samaria« genannt wird. Der Beschluß dazu fiel am Sonntag fast einstimmig aus, nur Tsipi Liwni und ein weiteres Regierungsmitglied ihrer Partei Hatnua verweigerten die Zustimmung. Hatnua ist, ähnlich wie die oppositionelle Arbeitspartei, dagegen, eine eventuelle Verständigung mit den Palästinensern durch eine Volksabstimmung zu gefährden. Das Gesetz soll am Mittwoch in erster Lesung in die Knesset eingebracht werden. Da das Parlament anschließend in die Sommerpause geht, wird mit einer Verabschiedung jedoch nicht vor Oktober gerechnet. Bajit Jehudi und andere Rechte ihrerseits haben schon angekündigt, ein Gesetz vorzubereiten, das auch für die »Preisgabe« besetzter Gebiete im Westjordanland ein Referendum vorschreiben soll.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Juli 2013


Zurück zur Nahost-Seite

Zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage