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Abbas und Netanjahu in heikler Lage

Näher als eine Vereinbarung zum Nahostfrieden sind Zugeständnisse hinter den Kulissen

Oliver Eberhardt, Kairo *

Zur Unterstützung der verabredeten neuen Runde von Nahostfriedensgesprächen will die israelische Regierung rund 80 palästinensische Langzeithäftlinge freilassen. Dies teilte ein Regierungsvertreter am Montag mit, wobei jedoch Einzelheiten offenbar noch offiziell beschlossen werden müssen. Die EU will die Friedensinitiative unterstützen.

Schon in dieser Woche könnten sich Israelis und Palästinenser zu ersten Friedensgesprächen treffen; kein Thema solle dabei ausgespart werden, heißt es. In Palästina sind die Erwartungen allerdings gering. Denn in Israel macht bereits die mächtige Siedlerlobby mobil.

Stunde um Stunde wurde im Laufe der vergangenen Monate geredet, um, wie ein Mitarbeiter der US-amerikanischen Botschaft in Tel Aviv sagt, »vor allem Netanjahu dazu zu bringen, Dinge zu sagen, ohne sie zu sagen, damit Abbas hören kann, was er hören will«.

Und das, ergänzt jemand aus dem Gefolge von US-Außenminister John Kerry, der in diesem Jahr bereits sechs Mal in die Region reiste, sei »wirkliche Knochenarbeit«. Die sich, so scheint es, nun wenigstens teilweise auszahlt: Schon in diesen Tagen könnten sich Unterhändler der Regierungen Israels und Palästinas erstmals seit Jahren wieder am Verhandlungstisch treffen. Dass das passieren würde, galt bereits seit langem als sicher. Die Schwierigkeit lag in der Suche nach Sprachregelungen, die der anderen Seite suggerieren, dass ihre Forderungen erfüllt werden, ohne dass es so aussieht, als weiche man von den eigenen Positionen ab.

Denn sowohl Israels Premierminister Benjamin Netanjahu als auch Palästinas Präsident Mahmud Abbas befinden sich in innenpolitisch schwierigen Situationen: Abbas muss sich gegen die Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation durchsetzen. Und Netanjahu hat die Gegner des Friedensprozesses in der eigenen Regierung sitzen.

Am Montagmittag setzte die Siedlerpartei HaBajit HaJehudi dem Regierungschef die Pistole auf die Brust: Er solle alsbald dafür sorgen, dass gesetzlich verankert wird, Deals mit den Palästinensern ein Referendum durchlaufen zu lassen. Sonst werde man den Jahreshaushalt blockieren, der innerhalb der kommenden Wochen durchs Parlament muss. Problematisch: Die Arbeitspartei ist zwar bereit, anstelle der Siedler in die Regierung einzutreten, um den Friedensprozess zu unterstützen, aber nicht mit diesem Sparhaushalt.

Doch näher als eine Vereinbarung sind die Zugeständnisse, die Netanjahu möglicherweise hinter den Kulissen gemacht hat. Da ist ein Baustopp in den Siedlungen. Schon seit Monaten erlauben die Behörden nur die Fertigstellung bereits begonnener Gebäude – ein Schritt, den HaBajit HaJehudi damals zähneknirschend hingenommen hat. Die ausgehandelte Sprachregelung hier sei, heißt es aus Regierungskreisen, dass die Behörden nun alle Bauaktivitäten unterbinden, dies aber über das Gerücht hinaus nicht offiziell bestätigt wird.

Im Raum steht aber auch die Freilassung von einigen palästinensischen Gefangenen, die zum Teil bereits seit Anfang der 90er Jahre in Haft sind. Dabei handelt es sich um einen überwiegend symbolischen Akt, wie Mitarbeiter von Abbas sagen: Viele dieser Häftlinge hätten ohnehin bald entlassen werden müssen. Dennoch hat auch dieser Schritt das Potenzial für Ärger in Öffentlichkeit und Koalition Israels. Bei der Kernforderung der Palästinenser, der sogenannten 67er-Grenze, einigte man sich darauf, die US-Amerikaner sagen zu lassen, dass diese Linie die »Verhandlungsgrundlage sein sollte«, ohne dass Netanjahu darauf öffentlich reagiert.

Angesichts der Tatsache, dass die schwierigen Vorgespräche zu einem Ergebnis geführt haben, äußerten sich israelische Menschenrechtsorganisationen verhalten optimistisch: »Wir freuen uns, dass sich die Regierung zu Gesprächen bereit gefunden hat, und hoffen, dass Netanjahu nun den Weg bis zum Ende geht«, heißt es bei Schalom Achschaw (Peace Now). Und Gusch Schalom äußerte sich, alles hänge nun davon ab, ob Israel zu einem Rückzug auf die 67er-Grenze bereit sei.

In Palästina hingegen überwiegt die Skepsis: Zu oft hat man im Laufe der vergangenen Jahrzehnte Verhandlungen zugesehen, die am Ende im Nichts versandeten.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013


Sommerloch-Faxen

Distanzierung der Bundesregierung von der Israel-Politik der EU gemeldet

Von Knut Mellenthin **


Die Bundesregierung hat sich von den umstrittenen EU-Leitlinien zu Förderprogrammen für Israel distanziert.« Das behauptet zumindest der Unionsabgeordnete Philipp Mißfelder seit Freitag auf seiner Website. Einige Medien, darunter Springers Welt und die israelische Jerusalem Post, haben die Nachricht ungeprüft weiterverbreitet, obwohl Mißfelder für seine Aussage keinerlei Beleg geliefert hat und sich für diese auch im Internet keine Bestätigung finden läßt. Anfragen der jungen Welt bei Mißfelder selbst, bei Bundeskanzlerin Angela Merkel und bei Bundesaußenminister Guido Westerwelle blieben am Montag unbeantwortet.

Die am Freitag veröffentlichten Richtlinien schreiben vor, daß israelische Körperschaften, die ihren Sitz in den besetzten Gebieten haben, keine Fördermittel der Europäischen Union erhalten dürfen. Das entspricht, wie auch israelische Regierungsmitglieder ausdrücklich bekundeten, der bisherigen »stillschweigenden Praxis«. Mit der Fixierung in Form einer schriftlichen Direktive setzte die EU-Kommission lediglich einen Beschluß der europäischen Außenminister vom 10. Dezember 2012 um.

Seit die neuen Leitlinien am vorigen Montag, noch vor ihrer offiziellen Veröffentlichung, durch die israelische Tageszeitung Haaretz bekannt gemacht wurden, stehen die Mitgliedstaaten der EU unter starkem Druck der israelischen Regierung und der internationalen Pro-Israel-Lobby, die Direktive wieder aus dem Verkehr zu ziehen. Die Kampagne konzentriert sich in erster Linie auf die deutsche Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel, weil diese erfahrungsgemäß als das schwächste, am leichtesten beeinflußbare Kettenglied angesehen wird, wenn es um die Zurückweisung von Kritik an Israel oder auch den USA geht. Die Lobbyisten operieren dabei mit krassen Fehlinformationen über den Inhalt der Richtlinien und mit den üblichen obszönen Vergleichen. So fühlt sich beispielsweise das Pariser Büro des Wiesenthal-Centers in seiner Presseerklärung an den judenfeindlichen Nazi-Boykott der 1930er Jahre erinnert. Der ehemalige stellvertretende israelische Außenminister Danny Ayalon umschmeichelte die Kanzlerin in einem offenen Brief und baute ihr eine Brücke, indem er unterstellt, die Direktive der »EU-Bürokratie in Brüssel« sei für sie »eine unerwartete Überraschung« gewesen.

»Es ist zu begrüßen, daß sich die Bundesregierung von den EU-Leitlinien distanziert«, heißt es in Mißfelders Presseerklärung, denn diese seien »reine Ideologie und Symbolpolitik«. Schließlich sei Israel in den Palästinensergebieten »die anerkannte Verwaltungsmacht«. Ob der Abgeordnete damit einem Wink von Merkel folgte, die sich selbst nicht so direkt äußern mochte, oder ob er das Wochenende und die Sommerpause für einen dreisten Streich genutzt hat, muß sich erst noch herausstellen.

Mißfelder wird von den Medien gern als aussichtsreichster Nachwuchspolitiker der Union hofiert. Mit 26 Jahren als Vorsitzender der Jungen Union in den Bundestag eingezogen, wurde er vier Jahre später, gerade mal dreißigjährig, zum außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion befördert. Die Türkei gehört nach seinem Urteil nicht zu Europa, Demonstranten vergleicht er gern mal mit Terroristen, und für die vermeintlichen Interessen Israels tut er gewohnheitsmäßig fast alles.

Eine Mitteilung der Unionsfraktion an die junge Welt läßt vermuten, daß Mißfelder sich mit seiner Behauptung, die Bundesregierung habe sich von der EU-Direktive distanziert, auf einen Artikel der Welt bezogen haben könnte. Dort hieß es am Freitag, unter Berufung auf die Bild: »Das deutsche Außenministerium distanzierte sich von der umstrittenen EU-Leitlinie.« In Wirklichkeit stellten allerdings die zitierten Äußerungen, die die Bild einer nicht namentlich genannten »Sprecherin« des Ministeriums zugeschrieben hatte, keine Distanzierung dar und waren selbst bei sehr phantasievoller Auslegung nicht in diesem Sinn interpretierbar.

** Aus: junge Welt, Dienstag. 23. Juli 2013


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