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Israelische Gewalt lässt Nahostrunde platzen

Absage nach Tod von drei Palästinensern *

Eine für Montag vereinbarte neue Runde der Nahostfriedensgespräche ist wegen der Tötung von drei Palästinensern durch israelische Streitkräfte kurzfristig abgesagt worden.

Wie ein Sprecher der Palästinenserführung mitteilte, wurde das für den Montagnachmittag in Jericho vereinbarte Treffen »aufgrund des israelischen Verbrechens heute in Kalandija« annulliert. Im Flüchtlingslager Kalandija nahe Jerusalem entwickelten sich die tödlichen Zusammenstöße bei einem nächtlichen Polizeieinsatz.

»Die Vorgänge heute in Kalandija zeigen die wahren Absichten der israelischen Regierung«, sagte Nabil Abu Rudeina, Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Er rief die Regierung der USA auf, »ernsthafte und rasche Schritte« zu unternehmen, um das Scheitern der Friedensbemühungen zu verhindern.

Die behandelnden Ärzte berichteten, dass in Kalandija, das zwischen dem besetzten Ostjerusalem und Ramallah liegt, drei Palästinenser erschossen und 18 weitere zum Teil schwer verletzt wurden. Zwei Männer im Alter von 30 und 22 Jahren erlitten Brustschüsse, ein 20-Jähriger starb an schweren Hirnverletzungen. Auch alle Verletzten hätten Schusswunden erlitten, berichtete ein Krankenhaussprecher.

Nach Angaben einer israelischen Polizeisprecherin war »in den frühen Morgenstunden eine Einheit von Grenzpolizisten in das Kalandija-Camp eingedrungen, um einen feindlichen Terroraktivisten festzunehmen«. Nach Festnahme des Verdächtigen hätten bis zu 1500 Lagerbewohner die Polizisten umzingelt, mit Brandflaschen und Steinen beworfen und so »das Leben der Sicherheitskräfte gefährdet«. Diese hätten sich mit »Mitteln zur Aufruhrbekämpfung« gewehrt, was den Einsatz von Schusswaffen ausschließt. Eine Armeesprecherin berichtete auf Anfrage, zu Hilfe gerufene Soldaten seien von drei Seiten ins Lager eingerückt, um die Polizisten zu befreien. »Sie waren gezwungen, zum Selbstschutz scharf zu schießen«, sagte sie.

Überschattet wurden die Verhandlungen von Beginn an durch die Bekanntgabe von israelischen Plänen, die Siedlungen in den besetzten Gebieten weiter auszubauen. Mehr als 2000 Wohnungen für etwa 10 000 jüdische Neusiedler wurden von den Behörden in den vergangenen Wochen genehmigt. Zusätzlich verabschiedete am Sonntag der Finanzausschuss des Jerusalemer Stadtrates eine öffentliche Investition von rund 13 Millionen Euro in den Bau der Infrastruktur für eine neue Siedlung bei Ramat Schlomo in Ostjerusalem.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. August 2013


Kein Mentalitätswechsel

Von Roland Etzel **

Die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern in Jericho wurden gestern von letzteren abgesagt. Wie es hieß, wegen einer tödlichen israelischen Polizeiaktion. Also eine erwartbare Reaktion im Rahmen des üblichen Diplomateninstrumentariums? Vielleicht mehr.

Es ist davon auszugehen, dass die Wut der palästinensischen Administration sehr tief sitzt. Für die Weltöffentlichkeit scheint das Thema Nahostfrieden nach hinten gerückt zu sein. Die Tatsache, dass beide Seiten nach drei Jahren Pause überhaupt wieder miteinander reden, wird vielerorts damit gleichgesetzt, dass man dabei auf gutem Wege der Einigung sei. Mag es auch häufig ein gutes Zeichen für ernsthafte Gespräche sein, wenn über sie nichts an die Öffentlichkeit dringt. Im Falle der Jericho-Gespräche ist daran zu zweifeln. Jeglicher Stillstand festigt den Status quo. Premier Netanjahu kann damit vollauf zufrieden sein, die Palästinenser keinesfalls.

Sie haben am Montag mit dem brutalen Vorgehen der Israelis im Flüchtlingslager Kalandija schmerzvoll erfahren, dass Netanjahu das Zeitfenster für Nettigkeiten krachend zugeschlagen hat. Abbas und Co. hatten vermutlich kaum anderes erwartet, denn die Freude über die Freilassung von Langzeitgefangenen wurde durch die Landenteignung für 10 000 jüdische Neusiedler mehr als getrübt. Die Gespräche werden sicher bald fortgesetzt. Aber Abbas wollte gestern wohl darauf hinweisen, dass bei Netanjahu kein Mentalitätswechsel stattgefunden hat.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. August 2013 (Kommentar)


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