"Mit Scharon gibt es keinen Frieden"
Ein Interview mit der Hamburger Nahostexpertin Margret Johannsen
Die in Nordhessen, Südniedersachsen und in Teilen Thüringens erscheinende Tageszeitung HNA (Hessisch-Niedersächsische Allgemeine) veröffentlichte am 3. April 2002 ein Interview mit der Hamburger Friedenswissenschaftlerin und Nahostexpertin Dr. Margret Johannsen. Johannsen arbeitet am Hamburger ISFH (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der
Universität Hamburg). Die Fragen stellte Ines Pohl für die HNA. Wir dokumentieren die wichtigsten Passagen.
... gibt es überhaupt noch
eine Vision für ein friedliches Zusammenleben in Nahost?
Johannsen: Die einzige Möglichkeit, mit der in die Region
Frieden gebracht werden kann, ist
die Gründung zweier Staaten mit sicheren Grenzen. Diese
Vision wird derzeit allerdings von
Trümmern und Leichen zugedeckt.
Rund drei Millionen palästinensische Flüchtlinge wollen
zurück nach Israel ... Die Gründung zweier selbstständiger Staaten würde
dieses Problem nicht lösen.
Johannsen: Die meisten Palästinenser wollen, dass endlich
anerkannt wird, dass ihnen
Unrecht widerfahren ist. Es geht letztendlich um die
Wiederherstellung ihrer Würde. Und die
spielt in den arabischen Ländern eine wesentlich größere
Rolle als bei uns. Deshalb glaube
ich, dass das Flüchtlingsproblem nur so gelöst werden kann,
indem das Recht der
palästinensischen Flüchtlinge zurückzukehren zwar anerkannt,
aber nicht umgesetzt wird.
Es ist für Israel, das sich ja immer nur in der Opfer- und
nie in der Täter-Rolle sieht, schwer
genug, zuzugeben, dass es den Palästinensern Unrecht getan
hat. Aber wenn das
geschehen würde, könnte man pragmatische Lösungen finden.
Dazu braucht es Geld, dazu
braucht es einen lebensfähigen palästinensischen Staat, in
dem die Flüchtlinge sich eine
neue Existenz aufbauen könnten.
Welche Möglichkeiten hat die internationale Gemeinschaft, die
scheinbar endlose Spirale
der Gewalt zu unterbrechen?
Johannsen: Sie kann mittelfristig das Entstehen eines
palästinensischen Staates
unterstützen, denn das braucht dringend die Hilfe von
Externen. Denn Elend, Armut und
Perspektivlosigkeit brüten letztendlich ja auch Gewalt aus.
Kurzfristig gibt es die
Möglichkeit, auf die Konfliktparteien Druck auszuüben. Da
haben die Vereinigten Staaten
jedoch größere Einflussmöglichkeiten als die Europäische
Union.
Welche Möglichkeiten haben die USA, Druck auszuüben?
Johannsen: Vor allen Dingen wirtschaftliche. Denn
letztendlich sind die USA der
Existenzgarant Israels. 1992, als die israelische Regierung
versucht hat, den Madrider
Friedensprozess einerseits bis ins Unendliche hinauszuzögern
und gleichzeitig ihre
Siedlungstätigkeit fortgesetzt hat, hat die US-Administration
unter Bush senior
beschlossen, Kreditgarantien in Höhe von zehn Milliarden
Dollar auszusetzen, solange der
Siedlungsbau weitergeht. Das hat klare Wirkungen gezeigt.
Warum üben die USA derzeit nicht ihre wirtschaftliche Macht
aus?
Johannsen: Die US-Administration ist nicht wirklich frei in
ihren Möglichkeiten. Wir dürfen
nicht vergessen, dass die Israel-Lobby einen großen Einfluss
auf den amerikanischen
Kongress hat. Sie finanziert viele Kampagnen und nimmt damit
Einfluss auf die Senatoren
und die Kongressabgeordneten. Und die braucht die
Bush-Administration ja auch, um
beispielsweise die Gelder für ihren Krieg gegen den
Terrorismus zu bekommen.
Kann es mit Ariel Scharon überhaupt Frieden geben?
Johannsen: Ich glaube nicht, dass es mit Scharon Frieden
geben kann. Seine ideologische
Ausrichtung, nämlich die Fortsetzung der zionistischen
Landnahme, ist überhaupt nicht
vereinbar mit einem friedlichen Nebeneinander von Israelis
und Palästinensern. Wenn er
davon nicht abrückt, ist an eine Verhandlungslösung nicht zu
denken. Denn eine Lösung, die
nicht darauf dringt, dass der allergrößte Teil der
israelischen Siedlungen aufgelöst wird, ist
nicht tragfähig.
Wie bewerten Sie den Vorschlag von Scharon, dass Arafat
abziehen darf, wenn er in einem
anderen Land Asyl bekommt?
Johannsen: Mit diesem Vorschlag will Scharon Arafat loswerden
und damit die Symbolfigur
des palästinensischen Befreiungskampfes aus der Arena
entfernen. Das bedeutet, dass der
Einzige, der legitimiert ist, Kompromisse bei den
Palästinensern durchsetzen, entfernt wird.
Das würde ein politisches und personelles Vakuum
hinterlassen, das niemand ausfüllen
kann. Denn was bleibt sind eine Reihe von Männern, von denen
keiner auch nur annähernd
die Unterstützung in der Bevölkerung genießt wie Arafat. Und
von denen keiner auch nur
annähernd die Legitimation hätte, eine Verhandlungslösung
durchzusetzen. Insofern hat
dieser Vorschlag keine politische Zukunft.
Aus: HNA, 3. April 2002
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