Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Den Druck auf Israel erhöhen"

Vorbedingungen für Verhandlungen von Tel Aviv, nicht von Palästinensern. Gespräch mit Souheil Al-Natour

Souheil Al-Natour leitet das Zentrum für menschliche Entwicklung im palästinensischen Flüchtlingslager Mar Elias in Beirut und ist Vertreter der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas, DFLP.

Warum hat sich die DFLP gegen die »direkten Gespräche« in Washington ausgesprochen?

Prinzipiell sind wir nicht gegen Verhandlungen. Allerdings müssen sie auch Ergebnisse bringen, und da haben wir andere Erfahrungen mit den Israelis gemacht. Jetzt sind wir dagegen, weil die Israelis deutlich gemacht haben, daß sie nicht die Absicht haben, sich an das Völkerrecht zu halten. Es gibt keine Richtlinien. Sie wollen weiter zulassen, daß die Siedler unser Land kolonialisieren, sie wollen die Judaisierung der Westbank und von Ostjerusalem vollenden, sie wollen unser Land. Worüber soll gesprochen werden, wenn es keine Richtlinien gibt?!

Die Israelis haben gesagt, daß sie keine Vorbedingungen akzeptieren, und Sie sprechen von fehlenden Richtlinien. Sind damit nicht diese »Vorbedingungen« gemeint, die Israel ablehnt?

Wenn überhaupt, handelt es sich um Vorbedingungen, die die Internationale Gemeinschaft in Form von UN-Resolutionen festgelegt hat. Das ist doch Wortklauberei. Der Westen schützt Israel und seine Kriegsverbrecher. Die USA üben sogar Druck auf die europäischen Demokratien aus, ihre Gesetzgebung zu ändern. Das ist in Belgien passiert, damit der »unschuldige« Herr Scharon nicht festgenommen wurde. Dieser Doppelstandard, den der Westen anlegt, wenn es um israelische Zionisten geht, wird von uns nie akzeptiert werden.

Was für Richtlinien fordern Sie?

Nicht Kriterien wie Israel sie interpretiert oder wie sie die Palästinenser interpretieren. Es gibt international akzeptierte Kriterien für solche Gespräche, die wollen wir. Aber was wir sehen, ist, daß die Kriterien Israels übernommen werden; das akzeptieren wir nicht. Sie wollen das Thema »Palästina als Land« beenden und unsere Leute in kleinen Ecken in der Westbank einsperren. Und dann stellen sie es uns frei, das Palästina zu nennen. Was ist mit den Wasserressourcen, was mit den Baustellen der Siedler, was mit der Judaisierung und den Sonderstraßen und -wegen? Sind diese Tatsachen, die sie geschaffen haben, keine »Vorbedingungen«? Haben sie nicht diese Tatsachen geschaffen, und wir sollen sehen, wie wir damit fertigwerden? Nicht die Palästinenser schaffen Vorbedingungen, das weiß jeder. Aber die Amerikaner übernehmen Terminologie und Interpretation der extremistischen israelischen Regierung.

Warum hat Abbas zugestimmt, an den Gesprächen teilzunehmen, obwohl ihm das alles bekannt ist und so große Teile der Palästinenser dagegen sind?

Abbas hat sich auf Verhandlungen festgelegt, um unsere Rechte zu erreichen. Damit schwächt er sich und die Position aller Palästinenser, er vertraut nicht auf die Stärke seines Volkes. Wir als DFLP fordern feste Richtlinien, einen festen Zeitrahmen und einen Mechanismus, der die Israelis zwingt, Vereinbarungen umzusetzen. Gegen das anhaltende Joch der Besatzer unterstützen wir Proteste, Demonstrationen in der Westbank und Gaza. Gleichzeitig muß der Druck erhöht werden, UN-Resolutionen gegen die Kriegsverbrecher in Israel oder gegen die Mauer umzusetzen. Anders geht es nicht.

Kurz vor Beginn der Gespräche hat die Bundesregierung der palästinensischen Polizei in der Westbank Funkgeräte übergeben. Wofür?

Für diejenigen, die die Bewegungen der palästinensischen Massen kontrollieren wollen. Für die Sicherheit der Palästinenser, für ihre soziale und menschliche Sicherheit sind sie nutzlos. Aufgabe der palästinensischen Polizei ist es jedoch, für die Sicherheit der Besatzer zu sorgen.

Die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Catherine Ashton, hat gegenüber Israel ja einen durchaus kritischen Ton angeschlagen. Wird die EU-Politik sich ändern?

Ich bin überzeugt, daß alle EU-Abgeordneten genau wissen, wie weit die Israelis von Gerechtigkeit und der Einhaltung des Völkerrechts entfernt sind. Aber sie sprechen darüber nicht offen, weil sie Angst haben, als »antisemitisch« diffamiert zu werden. Gut, Europa hat seine dunkle Geschichte mit den europäischen Juden, doch Israel nutzt das aus und hat mehr oder weniger durchgesetzt, daß die Politik Israels die Politik aller Juden ist, ganz gleich, wo in der Welt sie leben. Hinzu kommen natürlich die wirtschaftlichen Interessen in der Region, das Öl. Die EU hat ihre Politik eng an die der USA im Mittleren Osten gekoppelt, da wird sich also nicht viel ändern. Dabei stützen sie sich auf die arabischen Regimes, in denen die schlimmsten Menschenrechtsverletzer, die korruptesten Politiker sitzen, die die Region jemals gesehen hat. Und die werden wiederum vom Westen und den Amerikanern gestützt, weil sie das Rückgrat der westlichen Interessen in der Region bilden.

Interview: Karin Leukefeld, Beirut

* Aus: junge Welt, 4. September 2010


Zurück zur Nahost-Seite

Zur Israel-Seite

Zur Palaestina-Seite

Zurück zur Homepage