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In Nahost wird wieder gependelt

US-Gesandter Mitchell soll die Friedensdiplomatie beleben

Zu Beginn einer neuen Vermittlungsrunde des US-Nahostgesandten George Mitchell hat die Palästinenserführung eine klare Wende im Friedensprozess gefordert.

Der Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jassir Abed Rabbo, sagte, man verlange vor neuen direkten Gesprächen mit Israel eindeutige Festlegungen. Dies betreffe etwa eine ausdrückliche Anerkennung der Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 für einen Palästinenserstaat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt sowie einen vollständigen Ausbaustopp in den israelischen Siedlungen.

Rabbo äußerte sich am Montag (13. Dez.) in Ramallah nach Beratungen des PLO-Exekutivkomitees zum Auftakt einer neuen Gesprächsrunde Mitchells in der Region. Der US-Gesandte will an diesem Dienstag in Ramallah Palästinenserpräsident Mahmud Abbas treffen.

Wenige Stunden vor den Gesprächen mit Mitchell lobte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montag die Forderung der USA nach Beratungen über die Kernfragen des Nahost-Konflikts. »Die USA haben verstanden, dass es wichtig ist, zu den wichtigen Themen zu gelangen, den essenziellen Themen einschließlich der Kernfragen, die die Basis des Konflikts zwischen uns und den Palästinensern bilden«, sagte Netanjahu in Tel Aviv.

US-Außenministerin Hillary Clinton hatte sich am Wochenende enttäuscht darüber geäußert, dass der Friedensprozess in Nahost wieder auf Eis liege. Sie kündigte eine Rückkehr zur Pendeldiplomatie an und forderte von beiden Seiten, konkret ihre Vorschläge für ein Friedensabkommen darzulegen. Die Gespräche in Nahost sind unterbrochen, seit Israel sich Ende September weigerte, einen zehnmonatigen Baustopp in den Palästinensergebieten zu verlängern.

Die Palästinenser hatten bislang immer kritisiert, Netanjahu wolle die Verhandlungen endlos hinziehen und Beratungen über besonders explosive Kernfragen wie Jerusalem und die Flüchtlingsfrage aufschieben. Netanjahus rechtsorientierte und siedlerfreundliche Koalitionspartner drohen mit einem Ausstieg aus der Regierung, sollten Themen wie Jerusalem auch nur auf den Tisch kommen.

»Um einen Frieden zu erzielen, müssen wir über die Themen reden, die einen Frieden wirklich verhindern: Die Frage der Anerkennung (Israels als jüdischer Staat), die Sicherheitsfrage, die Frage verschiedener Abkommen, die Flüchtlinge und Ähnliches, und natürlich viele andere Themen«, sagte Netanjahu. Als Kernfragen gelten Grenzen, Sicherheit, Jerusalem, Flüchtlinge und Wasser.

Die Europäische Union beharrt auf einem Stopp des israelischen Siedlungsbaus im Westjordanland. Frieden sei nur durch eine Zweistaaten-Lösung möglich, daher sehe die EU den fortgesetzten Siedlungsbau »sehr kritisch«, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle am Montag in Brüssel. Er warnte vor einem Aus der Verhandlungen: »Das schlechteste Ergebnis wäre, wenn jetzt diese Friedensgespräche endgültig abgebrochen würden.« Die Außenminister wollten eine Erklärung annehmen, in der sie das Nein der israelischen Regierung zu einem verlängerten Baustopp bedauern.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2010


Brodeln in Nahost

Mission impossible für US-Sondervermittler Mitchell. Abbas droht mit Auflösung seiner Behörde

Von Karin Leukefeld **


Der US-Sondervermittler für Frieden im Mittleren Osten, George Mitchell, hat am Montag (13. Dez.) neue Gespräche gestartet. Nach einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu stand ein Gespräch mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, auf dem offiziellen Terminplan. Im Laufe der Woche ist ein Ministertreffen der Arabischen Liga in Kairo geplant, bei dem über das weitere Vorgehen der PA beraten werden soll. Mitchell soll den Boden für indirekte Gespräche bereiten, bei denen es um alle »Kernpunkte« des Konflikts gehen soll. Seitens des US-Außenministeriums zählen dazu die Festlegung der Grenzen, Sicherheit, Wasser, die Zukunft Jerusalems, die Siedlungen in den von Israel besetzten Gebieten und das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge.

Netanjahu begrüßte den Kurswechsel in Washington als »gut für Israel, gut für den Frieden« und forderte von den Palästinensern erneut, Israel als jüdischen Staat, die Forderungen Israels nach Sicherheit und hinsichtlich der palästinensischen Flüchtlinge zu akzeptieren. Israel will das besetzte Jordantal aus »Sicherheitsgründen« weiter besetzt halten, lehnt das Rückkehrrecht der 1948 und 1967 vertriebenen Palästinenser ab und beansprucht ganz Jerusalem als Hauptstadt seines jüdischen Staates. Nach dem Völkerrecht und einer Reihe von UN-Resolutionen sind diese Forderungen Israels Unrecht.

Ein anonymer Sprecher Netanjahus distanzierte den Regierungschef derweil von Äußerungen seines Verteidigungsministers Ehud Barak, der in Washington erklärt hatte, die israelischen Siedlungen um Ostjerusalem gehörten zwar zu Israel, die arabischen Viertel sollten jedoch Teil eines souveränen palästinensischen Staates werden. Umweltminister Gilad Erdan lehnte einen Rückzug aus der besetzten Westbank und Ostjerusalem ab, weil diese dann zu »Stützpunkten für die mit Iran verbündeten Islamisten« werden würden.

Schützenhilfe bekam die Netanjahu-Regierung auch von dem niederländischen rechtsradikalen Populisten Geert Wilders. Die israelischen Siedlungen seien eine »strategische« Notwendigkeit für das Überleben Israels, sagte er bei einem Besuch in Tel Aviv. Die »jüdischen Städte und Dörfer in Judäa und Samaria (gemeint ist die palästinensische Westbank) sind kleine Vorposten der Freiheit gegen ideologische Kräfte, die nicht nur Is­rael, sondern dem gesamten Westen das Recht auf ein Leben in Frieden, Würde und Freiheit absprechen«, so Wilders. »Wenn Israel fällt, fällt der Westen.« Die Palästinenser sollten in dem palästinensischen Staat leben, den es schon gäbe, »in Jordanien«.

Die PA und Mahmud Abbas zeigten derweil deutliche Unruhe über den US-Kurswechsel in Sachen israelischem Siedlungsbau. Abbas drohte im palästinensischen Fernsehen mit der Auflösung seiner Behörde, wenn Israel nicht einlenke. Der palästinensische Unterhändler Mohammad Estayeh stellte indirekte Verhandlungen mit Israel grundsätzlich in Frage, und Yasser Abed Rabbo von der PLO meinte gegenüber der Tageszeitung Al Hayat, der bisherige Weg sei ergebnislos gewesen; es sei »unakzeptabel, so weiterzumachen«. Jetzt wolle man von den Amerikanern wissen, ob »sie einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt anerkennen«. Seit einigen Monaten mobilisiert die PA internationale Anerkennung dafür und hofft so, den Druck auf Israel zu erhöhen.

** Aus: junge Welt, 14. Dezember 2010


Punktsieger Netanjahu

Von Roland Etzel ***

Der US-Sondergesandte Mitchell muss wieder auf Reisen. Er soll pendeln zwischen Israelis und Palästinensern, damit sich wenigstens noch etwas bewegt im Nahostverhandlungsprozess. Die israelische Regierung wird damit nicht unzufrieden sein. Ihre Jahresbilanz ist erfolgreicher, als sie es wohl selbst erwartet hatte. Der Krieg gegen Gaza und der Überfall auf ein Hilfsschiff im Mittelmeer blieben für Netanjahu, Lieberman und Co. ohne schwerwiegende Konsequenzen – nichts Sensationelles angesichts der politisch-militärischen Gegebenheiten.

Mit Spannung aber war den Kraftproben im Verhältnis Israel – USA entgegengesehen worden. Zwei etwa zeitgleich ins Amt gelangte Regierungschefs – Netanjahu und Obama – hatten zur Zukunft des Nahen Ostens Standpunkte entwickelt, die sich nicht vereinbaren ließen. Und der Sieger nach Punkten heißt dieses Jahr Netanjahu. Ein Ende von Besatzung, Okkupation, Landnahme, unerlässlich für die Gründung eines Staates Palästina, all das verschwand im schwarzen Loch unerfüllter Verheißungen einstiger Ansprüche Obamas.

Während die EU-Außenminister gestern in Brüssel noch einmal einen israelischen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten forderten – von Räumung und Rückzug ist ja schon gar keine Rede mehr – muss sich Netanjahu wohl selbst mit dieser Mini-Forderung nicht mehr beschäftigen. Nach anderthalb Jahren habe die US-Regierung verstanden, dass die Diskussionen über die »nebensächliche Frage« des Siedlungsbaus zu nichts führten. Obama hat auch diese Demütigung offenbar ohne öffentliche Reaktion hingenommen.

*** Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2010 (Kommentar)


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