Kuhhandel um neuen Baustopp im Westjordanland
Basis für weitere Nahostverhandlungen schwindet immer mehr
Von Oliver Eberhardt *
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu will angeblich den Baustopp
im Westjordanland verlängern. Doch die Verhandlungen mit der Regierung
der Palästinensischen Autonomiegebiete wird dies vermutlich nicht
retten: Beide Seiten sind handlungsunfähig. Auch Palästinenser-Präsident
Mahmud Abbas hat wenig Spielraum.
Dienstag morgen: Im Blitzlicht-Gewitter der Medien ziehen Arbeiter in
einer israelischen Siedlung in der Nähe von Nablus die Wände eines
Kindergartens hoch. Ein paar Kilometer weiter, im Siedlungsblock Ariel,
hieven Kräne Beton auf das Dach des Rohbaus eines Wohnblocks. Ein Bild,
dass sich zur Zeit in den meisten der 121 offiziellen jüdischen
Siedlungen in den palästinensischen Gebieten außerhalb Ost-Jerusalems
biete, berichtet Sarit Michaeli von der Menschenrechtsorganisation Betselem.
In West-Jerusalem und in Ramallah wird derweil getagt: In Jerusalem hat
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu einige vertraute Minister zum
Frühstück zusammengerufen, um mit ihnen über eine zweimonatige
Verlängerung des Baustopps in den Siedlungen zu sprechen. In Ramallah,
der Verwaltungshauptstadt der Palästinensischen Autonomiegebiete, ist
zur gleichen Zeit das Kabinett der Palästinensischen Autonomiebehörde
zusammengekommen. Thema: Was tun, wenn der nächste Baustopp kommt?
Denn die Dinge sind bei Weitem nicht so einfach, wie sie scheinen; die
Fortsetzung des Baustopps, der am 26. September nach zehn Monaten
beendet worden war, ist längst zum beherrschenden Inhalt der jüngsten
Verhandlungen geworden: Die Debatte rückt in den Hintergrund, dass sich
die Verhandlungspartner so gut wie gar nichts anzubieten haben, und das
in einer Zeit, da der internationale Druck, vor allem aus den USA, so
stark ist, wie selten zuvor.
Denn es geht um viel Geld: Zwar ist die internationale Finanzkrise
weitgehend spurlos an beiden Seiten vorbeigegangen. Doch dies liegt vor
allem daran, dass Jerusalem und Ramallah immer wieder in die Geldbörse
gegriffen haben, um kommentarlos angeschlagenen Unternehmen zu helfen.
Mit dem Ergebnis, dass sowohl Israelis als auch Palästinenser in ihren
Etats Löcher zu stopfen haben, worin wiederum das Weiße Haus seine
Chance gesehen hat: Dort machte man die Unterstützung für zusätzliche
Finanzhilfen von neuen Verhandlungen abhängig, denn Präsident Barack
Obama droht in den Halbzeitwahlen in der Mitte seiner Amtszeit die
Mehrheit in Kongress und Senat zu verlieren.
Und so erklärt das Weiße Haus die Verhandlungen zum Erfolg: »Wenn
verhandelt wird, ist das immer eine gute Sache«, erklärte ein Sprecher
Obamas. »Wir können nur vermitteln. Die Ergebnisse werden erzielt, wenn
beide Seiten dazu bereit sind.«
Und das sind sie im Moment nicht. Die Positionen sind noch genauso
festgefahren, wie sie es vor zehn Jahren waren, während die Bereitschaft
zu Kompromissen geringer geworden ist.
Denn in den palästinensischen Gebieten haben der Wahlsieg der Hamas
Anfang 2006 und die Machtübernahme der Radikalislamisten im
Gaza-Streifen im Sommer 2007 die Möglichkeiten der Fatah von Präsident
Mahmud Abbas stark eingeschränkt und ihr neue Stoppschilder für
Zugeständnisse an Israel gesetzt. Präsidentschafts-, Parlaments- und
Kommunalwahlen sind längst überfällig. Und will die Fatah dann nicht
vollständig ihre Macht verlieren, müssen die Grenzen vor Beginn des
Juni-Krieges von 1967 als maximaler Kompromiss gelten. Während sie für
Israel ein momentan unmögliches Zugeständnis wären. Denn in der
Koalition Netanjahus mischen neben seinem rechtskonservativen
Likud-Block und der sozialdemokratischen Arbeiterpartei auch eine Reihe
von rechten und religiösen Parteien mit, die selbst den Baustopp, der
ursprünglich die Sozialdemokraten hatte besänftigen sollen, nur
zähneknirschend mitgetragen haben - und das, obwohl er nie wirklich
durchgesetzt wurde.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Oktober 2010
Zurück zur Nahost-Seite
Zur Israel-Seite
Zur Palaestina-Seite
Zurück zur Homepage