Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Verhandlungen auf ungleicher Basis

Das Dilemma der Palästinenser

Von Nassar Ibrahim *

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat das von Washington vorgeschlagene Einfrieren des weiteren Siedlungsbaus im Westjordanland um weitere zwei Monate von einer Bedingung abhängig gemacht: Präsident Obama soll zu der »Garantiezusage« stehen, die 2004 dem damaligen israelischen Premierminister Ariel Scharon von Präsident George W. Bush gegeben wurde. Scharon hatte von Bush die schriftliche Zusage erhalten, daß die USA Israels Position unterstützen würden, die demografischen Veränderungen in den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten zu »berücksichtigen, wenn die Grenzziehung zwischen dem israelischen und einem palästinensischen Staat« vorgenommen werde. Diese Zusage wird von Israel als Unterstützung seiner Bestrebungen verstanden, die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland zu annektieren. Diese umfassen das Jordantal, Gush Etzion, Ariel-Kedmim, Maale Adumim, Kiryat Arba und Beit El mit zusammen rund 500000 Siedlern.

Nach einem Bericht der Tageszeitung Al Hayat vom 8. Oktober 2010 beinhaltet das Garantieschreiben weiter, daß die USA das Rückkehrrecht der (1948 vertriebenen) palästinensischen Flüchtlinge nach Israel ablehnen und daß ihnen eine Rückkehr ausschließlich innerhalb der Grenzen eines palästinensischen Staates gestattet werden könne. Das Blatt schreibt weiter, daß Bushs Brief auch eine Passage enthält, nach der eine »palästinensische Verpflichtung« verlangt werde, »bewaffnete Aktivitäten und jede Gewalt gegen Israelis einzustellen, wo immer diese sich befinden, und die offiziellen palästinensischen Institutionen jegliche Aufwiegelung gegen Israel beenden werden«.

Israel verlangt also einen enormen politischen Preis für einen nur zweimonatigen Stopp des Siedlungsbaus. Wie hoch wird dann der Preis für die nationalen Rechte der Palästinenser erst sein, wenn die Schlußrunde der Verhandlungen beginnt?

Zwei Monate wären schnell vorbei, und es gibt keine Aussichten für ernsthafte Diskussionen über eine politische Konfliktlösung. Die Palästinenser und Araber würden schließlich abermals gezwungen sein, um einen weiteren Siedlungsstopp nachzusuchen. Die ganze Diskussion würde sich schließlich nur um einen weiteren Siedlungsstopp für vielleicht 20 Tage, eine Woche oder gar einige Stunden drehen. Was wäre der Preis, den die Palästinenser für diese Stunden zahlen müßten, und was wären die Garantien, die Netanjahu fordern würde, um die Verhandlungen fortzusetzen?

Das Dilemma, vor dem die Palästinenser stehen, ist, daß sie sich auf neue Verhandlungen auf ungleicher Grundlage eingelassen haben. Verhandlungen kann es aber nur auf der Grundlage klarer Prinzipien geben, auf Basis der internationalen Resolutionen und der Weigerung, die Legitimität der israelischen Besatzungsmacht und ihres Handelns in den besetzten palästinensischen Gebieten anzuerkennen. Dies umfaßt nicht verhandelbare Angelegenheiten wie die Siedlungen, die Trennmauer, Exil und Abschiebung, Bevölkerungstransfer und Deportation, die Plünderung von Naturressourcen, die Judaisierung von Jerusalem, die Aberkennung des Aufenthaltsrechts für Jerusalemer, Grenzveränderungen und demografische Veränderungen sowie tausende weiterer Maßnahmen und Militärbefehle während der Jahrzehnte anhaltenden Besatzung, die dem einzigen Ziel dienen, die Verhältnisse vor Ort systematisch zu verändern. Wir Palästinenser und Araber können die Besatzung nicht anerkennen. Es ist an der Besatzungsmacht, sich darauf einzustellen, daß sie finanziell, rechtlich und moralisch für die Verbrechen bezahlt, die sie jahrzehntelang dem palästinensischen Volk zugefügt hat.

Nur mit einer solchen klaren Haltung können wir uns auf Verhandlungen einlassen. Unser Ziel kann nur ein Ende der israelischen Besatzung mit all ihren negativen Auswirkungen sein, um die nationalen Rechte der Palästinenser in Übereinstimmung mit den maßgeblichen internationalen Entschließungen und den Menschenrechten sicher zu gewährleisten. Dazu zählen das Recht auf Rückkehr und Selbstbestimmung sowie ein unabhängiger palästinensischer Staat mit voller Souveränität des palästinensischen Volkes und Jerusalem als Hauptstadt.

* Unser Autor ist Leiter des Alternative Information Center in Bait Sahur.

Übersetzung: Hermann Dierkes

Aus: junge Welt, 13. Oktober 2010


Zurück zur Nahost-Seite

Zur Israel-Seite

Zur Palaestina-Seite

Zurück zur Homepage