Israel und Palästina – ein historischer Rückblick
Besetzung und Siedlungspolitik sind die Schlüsselfragen
Die nachfolgende Zusammenstellung wichtiger historischer Etappen der israelisch-palästinenischen Beziehungen verdanken wir einem Artikel, der am 6. April 2002 im "Neuen Deutschland" erschien. Wir fassen die wesentlichen Punkte zusammen.
Von Knut Mellenthin
...
Nach dem ersten Weltkrieg übertrug der Völkerbund, der Vorläufer der UNO, Palästina als
Mandatsgebiet an Großbritannien, mit der Maßgabe, dort eine jüdische »Heimstätte« zu schaffen.
Zwischen 1922 und 1936 wuchs der jüdische Bevölkerungsanteil im Mandatsgebiet von 86.000 (11
Prozent) auf 400.000 (30 Prozent). Der am 29. November 1947 beschlossene UNO-Teilungsplan sah die
Bildung eines jüdischen und eines arabischen Staates vor. Während nicht viel mehr als ein Drittel der
Bevölkerung Palästinas Juden waren, sollte der jüdische Staat 54 Prozent des Territoriums erhalten. Als
Hintergrund dieser Resolution ist zu sehen, dass nach dem Völkermord des deutschen
Nationalsozialismus an den europäischen Juden der internationale Rückhalt für die Bildung eines
lebensfähigen jüdischen Staates mit einem aufnahmefähigen Territorium sehr groß war.
Unrealistischer Teilungsplan
Der UNO-Teilungsplan von 1947 bedeutete aber auch, dass zahlreiche Dörfer und mehrere Städte mit
ausschließlich arabischer Bevölkerung (insgesamt rund 500.000 Menschen) gegen ihren Willen dem
Staat Israel zugeschlagen werden sollten und dass jeder der beiden Staaten aus drei voneinander
getrennten bzw. nur durch enge Korridore miteinander verbundenen Teilgebieten bestehen sollte.
Angesichts der Tatsache, dass die Feindseligkeit zwischen beiden Bevölkerungsgruppen sehr hoch war
– gerade damit begründete die UNO ihren Teilungsbeschluss! – waren mit dieser Landkarte Konflikte
programmiert. Nicht nur die arabische Seite lehnte den UNO-Teilungsplan ab. Auch die von den
späteren israelischen Regierungschefs Begin und Schamir geführten rechten Milizen Irgun und Lehi
erklärten, der Vorschlag sei illegal und für das jüdische Volk nicht bindend.
Als unmittelbare Reaktion auf die UNO-Teilungsresolution verschärfte sich die bewaffnete Konfrontation
zwischen den Bevölkerungsgruppen. Anfang April 1948 begannen die zionistischen Milizen eine
koordinierte Großoffensive gegen die überwiegend arabisch besiedelten Gebiete. In wenigen Wochen
erreichten sie fast vollständig die im Teilungsplan vorgesehenen Linien. Eine Massenflucht der
arabischen Bevölkerung setzte ein, besonders nachdem das von den rechtszionistischen Milizen
begangene Massaker im Dorf Deir Jasin bekannt wurde. Als am 14. Mai 1948 das britische Mandat
endete und der Staat Israel offiziell proklamiert wurde, griffen die arabischen Nachbarstaaten,
insbesondere Jordanien und Ägypten, in die Kämpfe ein. Entgegen immer noch verbreiteten falschen
Darstellungen – Israel habe gegen eine 25-fache Übermacht um seine nackte Existenz kämpfen
müssen – setzten die arabischen Staaten zu keiner Zeit mehr als insgesamt 50.000 Soldaten ein. Das
waren weniger, als Israel selbst zu dieser Zeit mobilisieren konnte. Die arabische Intervention stellte für die Streitkräfte des jungen Staates kein wirkliches militärisches Problem dar.
Als Ergebnis des Krieges von 1948/49 vergrößerte Israel sein Territorium gegenüber dem
UNO-Teilungsplan um rund 50 Prozent. 600.000 bis 700.000 Araber wurden während des Krieges
gewaltsam vertrieben oder flohen vor den Kampfhandlungen. Eine Rückkehr wurde ihnen nach dem
Krieg von Israel verweigert. Jordanien annektierte im geheimen Einverständnis mit der israelischen
Regierung das Westjordanland einschließlich Ostjerusalems, Ägypten kontrollierte den Gaza-Streifen.
Im Juni-Krieg 1967, den Israel mit einem »Präventivschlag« gegen Ägypten, Jordanien und Syrien
ausgelöst hatte, besetzten israelische Truppen das Westjordanland und das Gebiet von Gaza. Erneut
flüchteten mehrere hunderttausend Palästinenser in die Nachbarländer.
Im November 1967 beschloss der UNO-Sicherheitsrat die Resolution 242, die seither die Grundlage aller
Friedensverhandlungen wurde. Die Hauptpunkte sind:
-
Rückzug Israels aus den Gebieten, die es im Juni-Krieg besetzt hatte.
-
Einstellung aller kriegerischen Erklärungen und Handlungen. Anerkennung und Respektierung der Souveränität und Integrität aller Staaten der Region.
-
»Eine gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems«.
Resolution 242 spricht also nicht von der Gründung eines palästinensischen Staates – die sich nur auf
die Resolution 181 aus dem Jahre 1947, den UNO-Teilungsplan, berufen kann. Deshalb und wegen der
Anerkennung Israels, die auch als Anerkennung aller seit 1947 geschaffenen Fakten interpretiert wurde,
weigerte sich die PLO jahrelang, bis 1988, die Resolution 242 zu akzeptieren. Auf israelischer Seite
lehnten der Likud und die rechten Parteien die Resolution ebenfalls ab. Die Sozialdemokraten erkannten
sie zwar formal an, aber nur mit einem sinnentstellenden Trick: Weil die englische Version nur von
einem »Rückzug aus besetzten Gebieten« statt von einem »Rückzug aus den besetzten Gebieten«
spricht, stellte sich die israelische Arbeitspartei auf den Standpunkt, die Resolution 242 verlange gar
nicht den Rückzug aus allen besetzten Gebieten, sondern überlasse es Israel selbst, wieweit es sich
zurückziehen möchte. Diese Interpretation ist aber im Kontext der Resolution eindeutig unzulässig.
Denn diese besagt auch eindeutig, im Einklang mit der UNO-Charta, »dass es nicht zulässig ist,
Territorium durch Krieg zu erobern«.
Siedlungspolitik soll Fakten schaffen
Gleich nach Ende des Juni-Kriegs begann die damals regierende sozialdemokratische Arbeitspartei mit
einer systematischen Siedlungspolitik, um die Besetzung des Westjordanlands und des Gaza-Gebietes
praktisch unumkehrbar zu machen. Die Siedlungen wurden strategisch so geplant, dass sie die
wichtigsten Verbindungslinien kontrollierten und das von Palästinensern bewohnte Gebiet in viele Inseln
aufsplitterten. Menachem Begin, dessen rechte Likud-Partei 1977 die Regierung übernahm, steigerte
diese Siedlungspolitik noch weiter.
Was künftig mit den besetzten Gebieten geschehen sollte, blieb unklar. Konsens der meisten
israelischen Parteien war und ist, sie nicht in das Staatsgebiet zu integrieren, da man den
Palästinensern sonst auf Dauer nicht die Bürgerrechte verweigern könnte. Das aber würde die klare
jüdische Bevölkerungsmehrheit und Prägung Israels gefährden. Konsens war zweitens, keinen
palästinensischen Staat zuzulassen.
Erst mit der im Dezember 1987 begonnenen Intifada begann sich die politische Situation der
Palästinenser zu verbessern. Ein knappes Jahr später beschloss der Nationalrat, das palästinensische
Parlament, die Gründung eines eigenen Staates. Mit deutlicher Mehrheit akzeptierte das Gremium die
bis dahin umstrittene UNO-Resolution 242, die die Anerkennung des Existenzrechts Israels einschließt.
Damit war von palästinensischer Seite der Weg zu gleichberechtigten Verhandlungen frei. Aber immer
noch weigerte sich Israel, direkt mit den Palästinensern zu sprechen. An der Konferenz in Madrid im
November 1991, die den Auftakt einer langen Reihe von überwiegend in den USA und Norwegen
geführten bilateralen Verhandlungen bildete, durften nur von Israel zugelassene Palästinenser als Teil
einer jordanischen Delegation teilnehmen. Doch danach schien es zunächst erstaunlich schnell
voranzugehen. Am 9. und 10. September 1993 kam es zur gegenseitigen Anerkennung zwischen der
PLO und Israel. Damit war der Weg frei zum ersten Abkommen, der Grundsatzerklärung zur
palästinensischen Autonomie, das am 13. September 1993 in Washington unterzeichnet wurde. Es wird
auch als Oslo-Abkommen (I) bezeichnet, weil es dort ausgehandelt wurde. Oslo I sah die Bildung einer
palästinensischen Übergangsregierung durch freie Wahlen unter internationaler Beobachtung vor. Zuvor
sollten sich die israelischen Truppen schrittweise aus allen Städten und Bevölkerungszentren des
Westjordanlands und Gazas zurückziehen. Das Abkommen sollte für eine Übergangsperiode von
höchstens fünf Jahren gelten und bis dahin zu einer dauerhaften Lösung auf Grundlage der
UNO-Resolution 242 führen. Die zweite Etappe der Verhandlungen, über die gemeinsame Gestaltung
einer endgültigen Regelung, sollte 1996 beginnen.
Die Anfangsschritte schienen erfolgversprechend zu verlaufen. Am 13. Mai 1994 kam Jericho als erste
Stadt der besetzten Gebiete unter palästinensische Verwaltung. Am 18. Mai 1994 war der Rückzug der
israelischen Streitkräfte aus dem Gaza-Gebiet abgeschlossen. Am 28. September 1995
unterzeichneten der sozialdemokratische Ministerpräsident Rabin und PLO-Chef Arafat in Washington
ein neues Abkommen, das den Zeitplan für den Rückzug Israels aus sechs weiteren Städten vorgab.
Baraks Angebot enttäuscht Palästinenser
Der Wahlsieg des Sozialdemokraten Barak im Mai 1999 veränderte das Verhandlungsklima nur
geringfügig zum Positiven. Im September 1999 konnte endlich die zweite Gesprächsphase, über eine
endgültige Regelung beginnen, drei Jahre später als im 1. Oslo-Abkommen vorgesehen. Inzwischen war
schon die 1993 vereinbarte fünfjährige Übergangsperiode abgelaufen, auf die nach palästinensischen
Vorstellungen eigentlich der vollständige Rückzug Israel aus den besetzten Gebieten und die volle
staatliche Unabhängigkeit hätten folgen sollen. Tatsächlich hatte sich die Armee zwar aus den Städten
zurückgezogen, kontrollierte aber immer noch den größten Teil des Westjordanlandes. Die
palästinensische Autonomie-Verwaltung erstreckte sich tatsächlich auf kaum 20 Prozent der Gebiete.
Im Juli 2000 legte Barak bei den Verhandlungen in Camp David das nach israelischer Interpretation
denkbar »großzügigste« Angebot vor. Die Ablehnung dieses Vorschlags wird häufig als Beweis
angeführt, dass die palästinensische Seite an einer konstruktiven Lösung gar nicht wirklich interessiert sei, sondern nichts geringeres als die Zerstörung Israels anstrebe. Den Palästinensern musste dieses »großzügige Angebot« jedoch wie Hohn erscheinen. Indem Barak damit das Höchstmaß des überhaupt mit Israel verhandelbaren markierte, machte er deutlich, dass die Hoffnung vieler Palästinenser, auf dem bisherigen Verhandlungsweg einen eigenen Staat zu erreichen, nur auf Illusionen und Täuschung beruhte.
Baraks »großzügiges Angebot« sah vor, dass Israel 10 Prozent des Westjordanlandes mit den
wichtigsten Siedlungen, darunter den Großraum von Ostjerusalem, direkt annektieren würde. Darüber
hinaus wollte Israel »aus Sicherheitsgründen« weitere 10 Prozent des Westjordanlandes auf
unbegrenzte Zeit militärisch besetzt halten, darunter das gesamte Grenzgebiet nach Jordanien. Das
Westjordanland wäre dadurch in vier Einzelgebiete aufgesplittert worden, die nur durch schmale,
jederzeit von Israel leicht zu unterbrechende Korridore verbunden wären. Das palästinensische
Territorium hätte keine eigenen Außengrenzen, sondern wäre ringsum von »militärischen
Sicherheitszonen« Israels umgeben.
Dafür hätten sich die Palästinenser auch noch verpflichten müssen, die fast vollständige Annexion
Ostjerusalems ausdrücklich zu akzeptieren. Ferner hätten sie offiziell auf das Rückkehrrecht der über
2,5 Millionen Flüchtlinge verzichten müssen, die zur Zeit außerhalb Palästinas leben. Das ist in
Wirklichkeit keine praktische Frage, da Gaza und Westjordanland, wo jetzt schon mehr als eine Million
Menschen in Flüchtlingslagern leben, gar nicht aufnahmefähig wären. Aber der politische Stellenwert
des Streits ist hoch: Offizielle Preisgabe des Rückkehrrechts würde so interpretiert werden, dass die
Flüchtlinge außerhalb Palästinas abgeschrieben werden. Als zusätzlich ungerecht wird dabei von den
Palästinensern empfunden, dass Israels eigenes »Rückkehr«-Gesetz ganz selbstverständlich jedem auf
der Welt, der nach fragwürdigen und umstrittenen Kriterien als Jude gilt, das Niederlassungsrecht auf
seinem Staatsgebiet zugesteht.
Ein Staat auf dem zersplitterten, winzigen, ringsum von israelischen Truppen eingeschlossenen
Territorium, das Baraks »großzügiges Angebot« vorsah – nicht einmal halb so groß wie
Schleswig-Holstein, aber mit etwas mehr als der gleichen Einwohnerzahl –, wäre weder politisch
souverän noch wirtschaftlich lebensfähig. Sein Funktionieren wäre permanent von der Gnade Israels
abhängig, das schon in der Vergangenheit immer wieder aus unterschiedlichen Anlässen Teile der
besetzten Gebiete abgeriegelt hat.
Seit Unterzeichnung des ersten Oslo-Abkommens 1993 hat sich die jüdische Bevölkerung in den
besetzten Gebieten mehr als verdoppelt. Gleichzeitig befindet sich die Wirtschaft der besetzten und von
Israel isolierten Gebiete auf einem Tiefpunkt. Am 28. September 2000 begann die so genannte zweite
Intifada. Auslöser war ein provokatorischer Auftritt Scharons am Tempelberg, in der Nähe der
Al-Aksa-Moschee. Scharons Kalkül ging auf – die vorgezogenen Parlamentswahlen im Februar 2001
brachten ihn an die Regierung und der Region die schlimmste Eskalation der letzten 20 Jahre.
Aus: Neues Deutschland, 6. April 2002
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