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Genfer Initiative für Nahost: Scharons Krieg zum Opfer gefallen?

Interview mit Jamal Zakout, Vizepräsident der Demokratischen Union Palästinas

Es ist wieder still geworden um die im Dezember 2003 so hoffnungsvoll ins Leben gerufene "Genfer Initiative", die dem Friedensprozess im Nahen Osten neue Impulse verleihen wollte. Die Eskalation der Gewalt hat sich bisher als stärker erwiesen als die Vernunft.
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das die Tageszeitung "junge Welt" mit einem der Mitbegründer der Genfer Initiave geführt hat.



jW sprach mit Jamal Zakout, Vizepräsident der Demokratischen Union Palästinas, die sich an der Genfer Initiative (GI)* beteiligt. Interview: Harald Neuber

Frage: Seit vergangenem Jahr hat der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon kraft seiner militärischen Befehlsgewalt eigene Fakten in der Region geschaffen. Welchen Einfluß hat die Genfer Initiative also noch?

Jamal Zakout: Nach dem Mißerfolg der Taba-Verhandlungen im Dezember 2001 hat es eine enorme Negativentwicklung gegeben. Schon Scharons Vorgänger Ehud Barak hat sich klar für die militärische Option entschieden. Mit der Genfer Initiative wollten wir denjenigen Akteuren den Wind aus den Segeln nehmen, die behaupten, es gebe keine Verhandlungspartner auf der palästinensischen Seite. Der Gründung der GI sind drei Jahre Gespräche und Verhandlungen zwischen beiden Seiten vorangegangen. In dieser Zeit wurden pragmatische Lösungen für die schwierigsten Probleme gefunden: Jerusalem, die Grenzfrage, Zwei-Staaten-Lösung, das Flüchtlingsproblem. Währenddessen wurde die objektive Lage immer schlechter.

F: Sie haben also mit der aktuellen Entwicklung gerechnet?

Scharon hat eine bestehende Tendenz in der israelischen Politik aufgegriffen und verschärft. Zu seinen erklärten Zielen zählt es, alle möglichen Verhandlungspartner auszuschalten – auch und gerade militärisch. Auf diese Weise schafft er sich seine eigenen »Negativpartner«, die er zum Erhalt seiner Politik benötigt. Gerade weil wir eine solche Entwicklung befürchteten, haben wir die GI gegründet.

F: Welche Antwort kam von der Regierung in Israel?

Ariel Scharon entpuppte sich als der schärfste Kritiker der Initiative, womit bewiesen ist, daß er selbst sich als Gesprächspartner disqualifiziert. Es ist unsere Aufgabe, beide Regierungen zur Übernahne ihrer Verantwortung zu drängen. Die palästinensische Regierung hat sich gegen die Widerstände aus dem eigenen Lager schon mehrmals zu Verhandlungen bereit erklärt. Und auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene gibt es Hunderte, vielleicht Tausende Konferenzen und Treffen, in denen deutlich wird, daß es auf beiden Seiten den Willen zu einer dauerhaften Lösung gibt. Es gibt den Willen für zwei Staaten, zur Etablierung der Grenzen von 1967, zur Teilung der Hauptstadt Jerusalem. Die israelischen Partner der GI akzeptieren die UN-Resolution 194 als Basis möglicher Verhandlungen, und die palästinensische Seite ist auf pragmatische Lösungsvorschläge des Flüchtlingsproblems eingegangen und von ihrer Forderung der kollektiven Rückführung abgewichen. All das wird von Scharon mißachtet ...

F: ... während die extremistischen Kräfte in den palästinensischen Gebieten Zulauf erhalten. Sie selbst haben zusammen mit anderen palästinensischen Politikern und Intellektuellen einen Aufruf gegen Selbstmordattentate unterzeichnet. Auf welche Resonanz treffen solche Initiativen in der palästinensischen Gesellschaft?

Zunächst haben wir in dieser Erklärung das Recht der Palästinenser auf Widerstand anerkannt, um dann die Frage nach den Mitteln aufzuwerfen. Unserer Meinung nach schaden Attacken auf Zivilisten unserem legitimen Kampf um Unabhängigkeit. Scharon hat diese Angriffe für den von seinem Lager forcierten Kriegszustand genutzt. Er hat die These in den Köpfen der Israelis verankern können, daß wir nicht für ein Ende der Besatzung, sondern gegen den israelischen Staat kämpfen würden. Aber ich möchte bei diesem Thema auch die Frage aufwerfen, weshalb ein junger Mensch bereit ist, sich mit einem Bombengürtel in die Luft zu sprengen. Dafür gibt es objektive Gründe: Repression, Elend, Hoffnungslosigkeit. Damit entschuldige ich keine Selbstmordattentate. Ich liefere aber eine mögliche Erklärung, auch für die Mitschuld der internationalen Staatengemeinschaft, die durch ihre Untätigkeit das Gefühl der Ohnmacht bei den Palästinensern verstärkt hat.

* Am 1. Dezember 2003 haben eine israelische und eine palästinensische Delegation unter Führung des früheren Justizministers Yossi Beilin und des ehemaligen Mitglieds der Palästinensischen Autonomiebehörde, Yasser Abed Rabbo, ein Dokument unterschrieben, das als »Genfer Initiative« (GI) bezeichnet wurde. Die GI bietet Grundlagen für die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts an.

Aus: junge Welt, 3. Juli 2004


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